Tausende von Touristen reisen jedes Jahr nach Nordspanien und feiern mit den Katalanen Wochenende für Wochenende wahre Zwiebelorgien.

Valls/Tarragona - So viel Aufwand für ein paar verkohlte Zwiebeln! Seit dem Vormittag haben die Organisatoren und Gäste die „Calçotada“, wie die Frühlingsfeste in Katalonien heißen, vorbereitet. Prächtige Frühlingszwiebeln wurden auf lange Drähte gefädelt oder auf Grillroste verteilt. Ein großes Feuer wurde entfacht und bis auf die richtige Flammenstärke herunterbrennen lassen. Die Männer hatten dafür Rebholz gehackt, während die Frauen Mandeln und Knoblauch für die Salvitxada, eine Art Romesco-Soße, kleingestampften. Es zischt und qualmt, als die Zwiebelkränze aufs Feuer geworfen werden. Schwarz verkohlt werden die Frühlingszwiebeln aus den Flammen geangelt und sofort in Zeitungspapier gewickelt, wo sie fertig garen.

 

Das soll nun also einer der kulinarischen Höhepunkte der nordspanischen Region Katalonien sein? Kaum vorstellbar, dass jedes Jahr Tausende von Touristen dafür anreisen und die Katalanen während des gesamten Frühjahrs Wochenende für Wochenende aufs Land ziehen, um wahre Zwiebelorgien zu feiern. Im katalanischen Hinterland brennen von Februar bis Ende April überall die Rebholzfeuer, der typische Ruß- und Zwiebelgeruch hängt über den trockenen Feldern.

Einer der Höhepunkte ist das Wett-Essen

In Valls in der Provinz Tarragona, der inoffiziellen Hauptstadt der Zwiebelfeste, wird die Saison Ende Januar mit der „Gran Festa de la Calçotada“ eröffnet. Mehr als 30 000 Besucher drängen sich dann durch die engen Gassen der Altstadt, um bei traditioneller katalanischer Musik und Sardana-Tanz Berge der süßlich-milden Zwiebeln zu essen. Einer der Höhepunkte in Valls ist neben der Prämierung der schönsten Zwiebel und der besten Soße das Wettessen. Adrià Wegrzyn, Sieger der dritten Ausgabe des Wettbewerbs, hatte 2,7 Kilo – etwa 380 Zwiebeln – in 45 Minuten verdrückt. Dafür braucht man nicht nur einen strapazierfähigen Magen, sondern vor allem viel Geschick.

Es dauert eine Weile, bis Anfänger den Trick heraushaben: Man hält das Gemüse an der verkohlten Außenhaut, packt mit der anderen Hand den grünen Schopf und zieht das weiche, elfenbeinfarbene Innere heraus. Dann werden die schlüpfrigen Gemüsefasern durch den Soßengemeinschaftstopf gezogen und – den Kopf weit in den Nacken gelegt – mit einem schlurfenden Geräusch in den Mund gesaugt. In der Tat schmeckt das zarte Gemüse außergewöhnlich gut. Ein schöner Anblick ist das Essen allerdings nicht, da Gesicht, Hände, Tisch und Kleidung im Nu mit Ruß und Soße verschmiert sind. Die Katalanen lieben indes gerade das Rustikale an ihren Festen.

Wein und Tomatenbrot für die Bekömmlichkeit

Da die Zwiebeln zwar gesund, aber nicht gerade leicht verträglich sind, isst man dazu große Mengen sogenanntes Pà amb tomaquet, typisches Tomatenbrot, und lässt den Wein in kräftigem Strahl aus dem Porró genannten Trinkgefäß direkt in den Mund schießen. Eine Calçotada zieht sich meist über den ganzen Tag hin, denn oft wird nach einer längeren Pause Fleisch und Wurst auf die Glut gelegt. Diese immer gleiche Menüabfolge kann die Einheimischen auch nach der sechsten oder siebten Calçotada noch immer in Verzückung versetzen.

55 Millionen Calçots werden üblicherweise von Januar bis April in Katalonien verkauft, damit wird etwa 3,5 Millionen Euro Umsatz gemacht – und das obwohl jeder Dritte der 7,5 Millionen Einwohner der Autonomieregion seine Zwiebeln selbst anbaut. 2012 war bisher allerdings ein schlechtes Zwiebeljahr: Statt der gewohnten milden 15 bis 20 Grad hatte das Thermometer im Februar wochenlang unter minus 10 angezeigt. Das hat nicht nur die Feierlaune getrübt, sondern auch einen Teil der Zwiebelernte vernichtet. Das lange Warten lässt die Liebhaber dafür im März und April nun umso kräftiger zuschlagen.