Vor rund 200 Unternehmern hat eine Initiative am Dienstagabend in Winnenden für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen geworben. Der Kabarettist Christoph Sonntag hat als Moderator auch berichtet, wie er einst seine eigenen Berührungsängste abgebaut hat.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Winnenden - Das „Inklusionsbarometer Arbeit“ deutet auf ein zunehmend besseres Klima hin. Die jüngste Erhebung zeige positive Tendenzen auf, sagt Dagmar Greskamp von der Aktion Mensch, die die Befragung unter gut 500 Unternehmen und 800 Arbeitnehmern mit Behinderung seit fünf Jahren durchführt. Dennoch sei die Situation noch nicht zufriedenstellend: Nach wie vor sei die Arbeitslosenquote bei Menschen mit Handicap doppelt so hoch wie bei Menschen ohne, und der Anteil der Behinderten an der Zahl der Gesamtbeschäftigten stagniere seit Jahren auf einem Wert unter fünf Prozent, obwohl diese Quote gesetzlich eigentlich vorgegeben sei.

 

Fachkräfteallianz betont die Chancen

Im Rems-Murr-Kreis hat eine gemeinsame Veranstaltung der örtlichen Fachkräfteallianz, des Kreisjugendrings und der Stiphtung Christoph Sonntag am Dienstagabend im Kärcher-Auditorium in Winnenden nicht nur darauf aufmerksam gemacht. Vor rund 200 Unternehmern haben die Initiatoren vor allem die Chancen betont, welche die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen biete – von der Möglichkeit, fehlende Fachkräfte zu gewinnen, über die Eröffnung ganz neuer Lösungsansätze bis hin zur der Verbesserung des Arbeitsklimas.

Denn Menschen wie Gerhard Utz, der seit vier Jahren in der Verpackung bei Kärcher arbeitet, zeigen im Rahmen ihrer Möglichkeiten nicht nur Leistung, sondern geben auch menschlich viel zurück. Der 54-Jährige, den eigenen Angaben zufolge bisweilen eine „kognitive Teilleistungsschwäche“ einschränkt, hat sich an dem Abend bei dem „Arbeitgeberforum zur inklusiven Fachkräftegewinnung“ per Videobotschaft über seinen Job geäußert. Es sei „einfach schön, jeden Tag hierherkommen und arbeiten zu dürfen“, sagt er mit einem Leuchten in den Augen. Am allermeisten aber freue ihn noch eine andere Sache: „Dass ich Kollegen habe, die mich unterstützen.“

Kollegen eigenhändig die Treppe hochgetragen

Wolf-Dietrich Hammann, Ministerialdirektor im baden-württembergischen Ministerium für Soziales und Integration, berichtete von einem früheren Kollegen, der auf einen Rollstuhl angewiesen war. Dessen Anstellung wäre beinahe daran gescheitert, dass der denkmalgeschützte Bau der Arbeitsstätte nicht barrierefrei war. Kollegen hätten sich daraufhin bereit erklärt, den Mann jeden Tag die Treppe rauf und runter zu tragen. Alle seien letztlich froh gewesen, dieses Wagnis eingegangen zu sein – „Ansonsten hätten wir diesen tollen Kollegen nie kennengelernt.“

Kein Arbeitgeber müsse befürchten, allein gelassen zu werden, sagt Hammann. Bei der Arbeitsagentur, der Industrie- und Handelskammer oder anderen Verbänden könne man sich über technische und finanzielle Unterstützung beraten lassen. Ein Sachverhalt, der laut Dagmar Greskamp längst noch nicht allen Firmenchefs bewusst ist. „Gerade viele Kleinunternehmen kennen die Möglichkeiten der staatlichen Förderung nicht“, sagt sie. Und noch immer gebe es große Berührungsängste.

Das Recht, verarscht zu werden

Der Kabarettist Christoph Sonntag, der als Moderator durch den Abend geführt hat, kann sich noch gut an die eigenen erinnern, die er vor rund zehn Jahren bei einem Auftritt hatte, als er bemerkte, dass die Frau in der ersten Reihe, die er auf die Schippe nehmen wollte, im Rollstuhl saß. Heute hat er diese Ängste längst abgelegt. Vielleicht auch dank Jürgen: Als Christoph Sonntag sich um einen einschlägigen Scherz herum wand, hatte ihn der Mann mit Handicap angeraunzt: „Ich habe das gleiche Recht, von dir verarscht zu werden, wie jeder andere auch.“