Die Stuttgarter Wilhelma plant eine neue Elefantenanlage. Der Zoo in Zürich zeigt bereits, was möglich ist. Sein Neubau hat die Haltung der Tiere revolutioniert.

Stuttgart - Der Weg führt auf verschlungenen Pfaden den Hügel hinab. Leise streicht der Wind durch das filigrane Bambusgras. Es steht dicht und versperrt die Sicht ins Tal der Elefanten. Hinter einer Wegbiegung öffnet sich plötzlich der Blick auf eine sanft abfallende Landschaft aus Sand mit einzelnen Wasserstellen. Tote Bäume ragen wie gewaltige Zahnstocher aus dem Sandboden in die Höhe. Noch ist kein Elefant zu sehen, aber in der Ferne erhebt sich schon das Dach ihres Hauses, das im späten Mittagslicht an den Panzer einer Schildkröte erinnert.

 

Das Elefantenhaus ist eine Schweizer Präzisionsarbeit, es wurde im Juni dieses Jahres eröffnet – die Anlage für asiatische Dickhäuter „ist derzeit das Maß aller Dinge“. So sieht es zumindest Thomas Kölpin. Der Chef der Wilhelma blickt besonders aufmerksam nach Zürich, wo der Kaeng-Krachan-Elefantenpark Zehntausende von Besuchern zusätzlich angelockt hat. „Das Elefantenhaus ist grandios geworden, das Dach ist eine fantastische Konstruktion“, schwärmt Kölpin. Sein Lob für Zürich ist eines mit Hintergedanken: Er plant in Stuttgart ebenfalls einen Neubau für die Elefanten, schon im nächsten Jahr könnte der Planungswettbewerb beginnen. Die Anlage soll der erste große Schritt im neuen Masterplan werden, den Kölpin gerade für die Wilhelma entwickelt.

Zwar hat auch in der Schweiz das Geld beim Neubau eine Rolle gespielt, aber nicht die entscheidende: Der Zoo investierte umgerechnet 47 Millionen Euro in die 11 000 Quadratmeter große Anlage, die asiatischen Elefanten haben in Zürich große Spuren hinterlassen. Die Zoobesucher entdecken sie als Vertiefungen im Asphalt: Die Spuren verlaufen quer über den Weg zum Elefantenhaus, sie führen zu einer typisch thailändischen Hütte made in Switzerland. Hier sehen die Besucher eine Kochstelle, Familienfotos hängen an den Wänden, die Stimme eines thailändischen TV-Kommentators überschlägt sich während einer Fußballübertragung. Zur möglichst authentischen Inszenierung gehört eine von Landschaftsarchitekten angelegte Ananasplantage. Alex Rübel sieht sich die umgeknickten Pflanzen rund um die Plantage an, der Direkter des Züricher Zoos ist zufrieden mit der gezielten baulichen Zerstörung des Orts. Für den 59-Jährigen fügen sich die Fußspuren, die Hütte und die vermeintlich niedergetrampelten Pflanzen zu einem stimmigen Bild zusammen: Das Bild erzählt eine Geschichte, die Tausende von Kilometern entfernt von Zürich spielt – in Thailand, wo Menschen und Elefanten am Rande des Kaeng-Krachan-Nationalparks viele Jahre lang in schlechter Nachbarschaft miteinander lebten: Die Elefanten trampelten durch die Felder der Bauern, die die Tiere auch wegen ihrer wertvollen Stoßzähne jagten.

Ein überdachter Regenwald

Die Geschichte des neuen Züricher Elefantenparks hat in Asien ihren Anfang genommen. „Bevor wir eine neue Anlage bauen, sehen wir uns um, mit welchem Wildnisprojekt wir zusammenarbeiten könnten“, erzählt Alex Rübel. So fußt der überdachte Masoala-Regenwald im Züricher Zoo auf einer Zusammenarbeit mit dem gleichnamigen Nationalpark auf Madagaskar. Seit die Schweizer ihren eigenen Miniaturregenwald besitzen, unterstützen sie den madegassischen Nationalpark mit Geld und wissenschaftlichem Knowhow.

Für moderne Zoos wird es immer wichtiger, ihren Besuchern zu erklären, weshalb sie exotische Tiere fernab von deren Heimat in Gehegen zeigen. In Zürich hat Alex Rübel unweit von der Ananasplantage einen Wachturm nachbauen lassen – in Thailand schlafen Bauern am Rande des Nationalparks auf solchen Bambuspodesten. Sobald ein Elefant aus der Schutzzone versucht, auf ihre Felder einzudringen, wird ein Alarm ausgelöst, gemeinsam vertreiben die Bauern die Tiere. Diese Geschichte wollen die Schweizer mit ihrem Nachbau im Tierpark erzählen.

Doch mit Pädagogik allein ist es nicht getan. Der Zoo der Zukunft soll neueste Erkenntnisse aus der Forschung mit High-tech verbinden. In der Wildnis wandern Elefanten täglich rund sieben Kilometer durch die Landschaft. In Zürich überlegten sich die Kuratoren und die Landschaftsarchitekten, wie sie die Tiere in der neuen Anlage auf Trab bringen könnten. „Wir haben deshalb 40 verschiedene Futterstellen in die Anlage eingebaut“, erzählt Alex Rübel. Zeitschaltuhren regeln, wann und an welchem Ort Futter nachgeschüttet wird, die Klappen öffnen und schließen sich dann mit Hilfe von Magneten.

Am frühen Nachmittag sehen die Zoobesucher, wie die Elefantendamen Indi, Farha und Chandra im Wiegeschritt durch den Park laufen. Chandra ertastet in der modellierten Landschaft mit ihrem Rüssel eine kleine Höhle, in der sie schon öfter Nahrung gefunden hat. Anschließend wälzen sich die Tiere in einer Suhle und baden an den Wasserstellen. Früher schrubbten und spritzten die Pfleger die Elefantenkühe ab, aber mit der neuen Anlage haben sich die Spielregeln zwischen Pflegern und Elefanten grundlegend verändert. Die Revolution in der Tierhaltung schwappt derzeit aus den USA hinüber nach Europa – sie heißt „protected contact“.

Matriarchat im Elefantengehege

Der geschützte Kontakt zwischen Pflegern und Elefanten löst das bisherige Modell ab, bei dem – wie Alex Rübel sich ausdrückt – ein „Super-Alpha-Tierpfleger“ in der Herde den Ton angab. Damit ist es vorbei: Die Pfleger stehen am Rand der Elefantenanlage an einem Zaun, der sie von den Tieren trennt. Sie berühren die Tiere mit schmalen Stäben durch den Zaun hindurch – die Elefanten strecken den Pflegern daraufhin ihre Füße entgegen, oder sie öffnen ihre Mäuler. In monatelanger Arbeit haben die Tiere gelernt, auf die Hinweise ihrer Pfleger zu reagieren. Das Training ist aufwendig, es markiert einen Wendepunkt in der Haltung der Tiere: An die Stelle des „Super-Alpha-Tierpflegers“ rückt jene Rangordnung, die die Tiere selbst untereinander wählen: Bei den Schweizer Elefantendamen herrscht das selbstbestimmte Matriarchat – die freie Machtentfaltung in der Kommune der Dickhäuter.

Das Damenregiment soll auch in der Wilhelma eingeführt werden, wenn dereinst dort eine eigene Zuchtherde leben wird. Mehr als ein Dutzend Tiere soll es einmal auf dem Gebiet zwischen dem Schaubauernhof und dem Menschenaffenhaus geben. Derzeit brüten Tierärzte, Kuratoren und externe Experten über den Details jener Machbarkeitsstudie, die der Zoo Ende des Monats dem Finanzministerium vorlegen will. Die Studie soll den Weg weisen für ein „Elefantenhaus, das es so noch nicht gibt auf der Welt. Wir wollen etwas Besonderes bauen“, sagt der Wilhelma-Chef Thomas Kölpin, ohne Details zu verraten. Kölpin ist kürzlich in den Süden Indiens gereist, um die größten frei lebenden Elefantenherden Asiens zu beobachten. Die Wildnis soll künftig mehr Eingang in die Zoos finden. Frühestens 2019 könnte eine eigene Zuchtherde in der Wilhelma eine neue Elefantenanlage bevölkern.

In Zürich genießen die Elefanten schon heute ihr „Schöner-Wohnen-Programm“: Durch das Dach des Elefantenhauses fällt das Licht streifenförmig in die Halle hinein. Es ist schwül, riecht nach Elefantendung und tropischer Vegetation. Das Dach des Hauses besteht aus 600 einzeln zurechtgeschnittenen Holzplatten. Die kleinteiligen Öffnungen erzeugen im Inneren der Halle eine Lichtstimmung, die jener in einem Regenwald mit einem dichten Blätterdach ähnelt. Diese Kulisse soll die Tiere und die Besucher ansprechen, mit seiner Anlage will Alex Rübel bei seinen Besuchern Emotionen wecken, die bestenfalls Mitgefühl und Engagement für die vom Aussterben bedrohten Tiere auslösen. Mit der Inszenierung von Erlebniswelten begeben sich die Zoos auf eine Gratwanderung. „Disney macht das sehr professionell, wir können von den Freizeitparks etwas lernen“, sagt der Zoodirektor und fügt schnell hinzu: „Bei uns wird aber nicht Mickey Mouse ausgestellt, sondern die Realität.“

Oder zumindest das, was die Architekten und Landschaftsdesigner für die Wirklichkeit halten. In der großen Halle der Elefanten tauchen die Besucher unvermittelt in einen Tunnel ein. Der Weg in die Dunkelheit führt durch einen hohlen Baum hindurch – die Landschaftsarchitekten haben mitten in der Halle einen umgestürzten Urwaldriesen modelliert. In seinem Inneren beginnt das große Krabbeln: Hinter Glasscheiben leben Skorpione und Vogelspinnen. Sie gehören zu jenen Nachbarn, mit denen die Elefanten in der thailändischen Wildnis keine Probleme haben.