Erst Krieg, Not oder Verfolgung, dann eine oft gefährliche Flucht – und nun, endlich am Ziel, erst einmal Warten auf eine ungewisse Zukunft. In Ankerzentren sollen Migranten in kürzerer Zeit Klarheit über ihre Perspektiven bekommen. Doch die Zentren bleiben umstritten.

München - (dpa) Die CSU feiert sie als Erfolg, Flüchtlingshelfer fordern eine schnelle Abschaffung: Seit einem Jahr gibt es die von Bundesinnenminister Horst Seehofer und seiner CSU durchgesetzten Asyl- und Abschiebezentren, kurz Ankerzentren. Die Bilanz ist umstritten.

 

Die Grünen im Bundestag und der Bayerische Flüchtlingsrat sehen das Projekt als gescheitert. Die erzwungene Unterbringung in Massenunterkünften verhindere, dass von Flucht und Verfolgung gezeichnete Menschen menschenwürdig versorgt und bei der Integration unterstützt würden, sagt die migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Filiz Polat. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hingegen ist des Lobes voll. „Unsere sieben bayerischen Anker-Einrichtungen haben sich in der Praxis absolut bewährt. Die Asylverfahren sind schneller und effizienter geworden.“ So sieht es auch das Bundesinnenministerium.

Die im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vereinbarten neuen Ankunftszentren für Migranten gibt es bislang nur in drei Bundesländern. Bayern ist Vorreiter gewesen und am 1. August 2018 mit sieben Zentren - einem in jedem Regierungsbezirk - gestartet. Zudem gibt es bisher ein Zentrum in der sächsischen Hauptstadt Dresden und eins im saarländischen Lebach. Das war’s. Andere Bundesländer folgten dem Vorschlag nicht, argumentieren aber, sie hätten Einrichtungen mit vergleichbaren Strukturen. Laut Bundesinnenministerium gibt es bundesweit 14 Ankerzentren oder „funktionsgleiche Einrichtungen“.

Enge in den Unterkünften sorgt oft für Probleme

Anker steht keineswegs für einen rettenden Hafen, sondern für An(kunft), k(ommunale Verteilung), E(ntscheidung) und R(ückführung). Die Zentren sollen nach dem „Masterplan Migration“ von Bundesinnenminister Seehofer die Asylverfahren und damit auch eine Abschiebung derjenigen beschleunigen, die kein Bleiberecht bekommen. In den Einrichtungen arbeiten aus diesem Grund Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), der Bundesagentur für Arbeit, der Jugendämter und Ausländerbehörden eng zusammen.

Das Zusammenspiel der beteiligten Behörden unter einem Dach hat sich laut Bundesinnenministerien bewährt. Die Verfahren dauerten 1,9 Monate, in anderen Bamf-Außenstellen 3,1 Monate. Auch bekämen Schutzsuchende bereits 11 Tage nach der Stellung ihres Asylantrags und damit deutlich schneller als in anderen Zentren einen Termin für eine Anhörung. Das bayerische Innenministerium nennt ähnliche Zahlen: Die Verfahren könnten mittlerweile in rund zwei Monaten erledigt werden, nach dem früheren System waren es drei Monate. „Asylbewerber haben somit schneller Klarheit über ihre Perspektiven in unserem Land. Wir werden in Bayern daher auch weiterhin auf das erfolgreiche Anker-Konzept setzen“, sagt Minister Herrmann.

In Sachsen sah Landesinnenminister Roland Wöller (CDU) das Projekt schon Ende 2018 auf gutem Weg. Die durchschnittliche Verfahrensdauer für Erstanträge auf Asyl liege bei weniger als drei Monaten, sagte er damals. Allerdings habe Sachsen die Kapazität von bis zu 1500 Plätzen auf zwei Standorte verteilt. Man könne so Menschen besser nach Herkunftsländern, aber auch religiösen Gruppen trennen. Auf diese Weise ließen sich von vornherein Konflikte vermeiden.

Die Enge, in der viele Menschen unterschiedlicher Herkunft untätig aufeinander sitzen, fördert laut Flüchtlingshelfern Konflikte. Nächtliche Abschiebungen ängstigten die teils traumatisierten Menschen. Besonders für Frauen fehlten Rückzugsräume. Immer wieder kommt es zu Streits, Schlägereien oder Übergriffen auf Personal. Mal flögen Steine, mal würden Messer gezückt. Laut Polizei spielt Alkohol oft eine Rolle, die Stimmung eskaliere teils bei nichtigen Anlässen, etwa wegen einer Drängelei beim Anstehen fürs Essen.

Lockerung des Arbeitsverbots für Flüchtlinge gefordert

Gewaltschutzkoordinatoren sollen nun seit Jahresbeginn in bayerischen Ankerzentren dabei helfen, Ausschreitungen zu verhindern. Die Caritas, deren Helfer in einigen Zentren wie im oberbayerischen Manching beratend aktiv sind, begrüßt das. Allerdings zeige allein die Notwendigkeit solcher Gewaltschutzkoordinatoren, dass Betreuung und Integration in den großen Zentren nicht optimal funktionierten. „Einiges ist besser geworden, einiges ist schlecht geblieben, manches schlechter geworden“, sagte der Caritasdirektor von München und Oberbayern, Georg Falterbaum. „Die Aufenthaltsdauer der Zufluchtsuchenden hat sich nicht wirklich verkürzt.“

So profitierten nur anerkannte Asylbewerber durch kürzere Aufenthalte, hieß es. „Rund 80 Prozent der Flüchtlinge leben nach unserer Kenntnis länger als ein Jahr dort. In Manching harren etwa 100 Menschen sogar länger als zwei Jahre in der ehemaligen Kaserne aus.“ Verbessert habe sich teils die gesundheitliche Versorgung. In Manching - das Seehofer als Vorbild für die Zentren sah - könnten Flüchtlinge allerdings in Erstorientierungskursen die deutsche Sprache und Kultur kennenlernen. Bei Kinderbetreuung und Schulbesuch gebe es Fortschritte - aber noch „viel Luft nach oben“.

Die Caritas, andere Flüchtlingshelfer und die Grünen verlangen eine Unterbringung der Menschen in kleineren dezentralen Einrichtungen - und eine Lockerung von Arbeitsverboten, vor allem für Migranten, die sich kooperativ zeigen. Falterbaum: „So entstehen Win-win-Situationen für Migranten und Betriebe, für Nachbarn, Staat und Gesellschaft.“