Vor einem Jahr haben sich auf der Rheintalbahn die Gleise abgesenkt – was für wochenlanges Chaos im Schienenverkehr sorgte. Noch immer ist die Ursache des Unglücks bei Rastatt unklar, der Weiterbau liegt auf Eis. Eine Zwischenbilanz.

Rastatt - Am kommenden Sonntag jährt sich die Tunnel-Havarie, die für eine sieben Wochen währende Streckensperrung auf der Rheintalbahn, anhaltendes Chaos im Güterverkehr und für immensen volkswirtschaftlichen Schaden sorgte. Und noch immer ist die Ursache für die Absenkung des Gleisbettes vor einem Jahr ungeklärt. Zur Erinnerung: Die wichtige Nord-Süd-Achse hatte vom 12. August bis zum 2. Oktober 2017 gesperrt werden müssen, nachdem Wasser und Erdreich in den Tunnel der Neubaustrecke unterhalb der bestehenden Bahnlinie eingedrungen waren. Tausende Züge fielen aus oder mussten umgeleitet werden.

 

Die Bahn wagt keine Prognosen

Die Mühlen der Bahn mahlen erkennbar langsam. „Die Entfernung des Betonpropfens im Tunnel gestaltet sich technisch aufwendig“, heißt es – wobei ein erster Teil dieser Arbeiten jetzt abgeschlossen ist. Tausende Tonnen Beton, insgesamt rund 10 500 Kubikmeter, ließ das bundeseigene Unternehmen zuletzt aus dem Tunnel entfernen – nachdem dieser unmittelbar nach der Gleisabsenkung in den Untergrund gepumpt worden war, um die Oberfläche zu stabilisieren. „Sorgfalt geht hier vor Schnelligkeit“, sagte Michael Baufeld, der Sprecher des DB-Geschäftsfeldes Infrastruktur, gegenüber unserer Zeitung. Es gebe „keine Blaupause für solch ein außergewöhnliches Ereignis“. Daher wäre es aus Sicht von Baufeld „zum jetzigen Zeitpunkt auch unseriös, Prognosen zur Fortsetzung des Tunnelvortriebs zu machen“.

Die Arbeiten unter Tage stehen nach wie vor still – auch bei der benachbarten Weströhre, dem zweiten Tunnel. In der Oströhre, wo sich die Gleisabsenkung ereignete, steckt die Vortriebs-maschine im Betonkleid fest. Wann die Maschine geborgen wird, bleibt offen. Seit Mitte Mai arbeitet die „Arbeitsgemeinschaft Tunnel Rastatt“, die den Tunnel baut, ein Bohrprogramm ab. Fünf Maschinen sind vor Ort.

Das Schlichtungsverfahren wird länger dauern als geplant

Das was die Bahn selbst auf Anfrage nicht kommunizieren will, steht in einem – nicht öffentlich behandelten – Papier des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag: Die Bohrungen sind demnach unmittelbar Folge des im Herbst 2017 vom Bauherrn Bahn und von den Bauunternehmen eingerichteten Schlichtungsverfahrens. Laut einer Sitzungsvorlage, die dem Ausschuss Ende Juni vorgelegt wurde – und die unserer Zeitung im Original vorliegt –, soll nach Abschluss der Bohrungen „eine technische und juristische Gutachterentscheidung“ folgen, wer die Verantwortung für den Schaden übernehmen muss. Bisher, so besagt das Papier, hätten die Gutachter und Parteien „zirka 3500 Dokumente“ gesichtet. Auch wurde entschieden, das Schlichtungsverfahren über die zunächst vorgesehenen sechs Monate hinaus zu verlängern – es wird wohl bis Anfang nächsten Jahres dauern.

Die Anwohner müssen erneut Bohrlärm ertragen

Der Sprecher des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen (NEE), Peter Westenberger, hält die Zwischenbilanz für deprimierend und konstatiert einen Vertrauensverlust in den schienengebundenen Güterverkehr. Dessen Verband hat im April bereits eine Studie zu den volkswirtschaftlichen Schäden der Sperrung der Rheintalbahn vorlegt: in Summe zwei Milliarden Euro. Mit dem Vorschlag seines Verbandes, wenigstens die intakte Weströhre vorzeitig in Betrieb zu nehmen, fand Westenberger kein Gehör. „Bevor die Ursache nicht geklärt ist, wird nicht weitergebaut“, habe ihm eine Bahn-Sprecherin dieser Tage mitgeteilt. Der Vorstandschef der DB Netz AG, Frank Sennhenn, beteuert: „Wir haben aus Rastatt gelernt und uns auf die Fahne geschrieben: Da werden wir besser.“ So seien klare Prozesse und schnelle Kommunikationswege für ein internationales Störungsmanagement vereinbart worden.

Aus Sicht der Politik sind aus dem Fall diverse Lehren zu ziehen. „Die Politik selbst, aber vor allem auch die Eisenbahnunternehmen sind dabei gefordert“, betonte der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Steffen Bilger (CDU), gegenüber unserer Zeitung. Unter anderem müsse bei solch einschneidenden Ereignissen die Kommunikation auf allen Ebenen und in allen Schnittstellen verbessert werden. Aber mehr noch gehe es darum, „ein hochprioritäres Netz zu definieren“, sagt Bilger, zugleich Bundestagsabgeordneter für Ludwigsburg. Gemeint ist damit ein Netz, das die im Regelfall genutzten Strecken und Knotenpunkte umfasst, aber für jeden Abschnitt zugleich die jeweiligen Umleitungsmöglichkeiten benennt. Beim Unglück auf der Rheintalbahn hatte es lange gedauert, Ausweichkorridore zu finden.

Neues Sicherheitssystem

Der Ministerialdirektor im Landesverkehrsministerium, Uwe Lahl, erachtet die Zeiträume bei der Aufarbeitung der Tunnel-Havarie von Rastatt als „äußerst unbefriedigend“. Es bestehe der Eindruck, dass vor dem Hintergrund der Schadenersatzfragen der Aufklärung größere Priorität eingeräumt werde als den Fragen des Weiterbaus. „Wenn dies so wäre, wäre es fatal“, sagte Lahl – zumal angesichts des zunehmenden Verkehrs auf der Rheintalstrecke.