Sektrunden im Innenministerium, ein von allen gerühmter Spitzenbeamter, der sich vor Gericht verantworten muss – und ein Innenminister, der vertrauliche Schreiben weiterreicht, das aber über Monate leugnet.
An pikanten Details mangelte es nicht im parlamentarischen Untersuchungsausschuss rund um die Vorgänge im Innenministerium und den Inspekteur der Polizei. Am 1. Juni 2022 wurde der Ausschuss vom Landtag eingesetzt. Die wichtigsten Erkenntnisse: Ausgangspunkt des Untersuchungsausschusses ist der Vorwurf der sexuellen Nötigung gegen den höchsten uniformierten Polizisten im Land und das Handeln des Innenministeriums in diesem Zusammenhang. Andreas Renner wird verdächtigt, eine Hauptkommissarin, über deren Laufbahn er mitzuentscheiden hatte, in einer Kneipennacht im November 2021 sexuell genötigt zu haben. Der Fall wird derzeit vor dem Landgericht Stuttgart verhandelt. Der Inspekteur ist vom Dienst freigestellt. Ein Urteil wird im Juli erwartet. Renners Anwälte weisen die Vorwürfe zurück – seine Verteidigerin sieht ihn als Opfer einer ungerechtfertigten Beschuldigung. Ein Disziplinarverfahren ist aktuell ausgesetzt und dürfte sich an das Strafverfahren anschließen. Ungeachtet dessen sagte Innenminister Thomas Strobl (CDU) jüngst im Landtag, er könne sich „persönlich nur schwer vorstellen, dass es eine Rückkehr ins Amt des höchsten uniformierten Polizisten im Land geben kann“. Ein Fehlverhalten des Inspekteurs will kein Vorgesetzter bemerkt haben. „Kein Mensch hätte je gedacht, dass wir so etwas mit dem Inspekteur der Polizei erleben“, sagte etwa der Staatssekretär im Innenministerium, Wilfried Klenk (CDU), im Untersuchungsausschuss.
Sektrunden im Innenministerium
Den Untersuchungsausschuss beschäftigen weniger die genauen Details der Tat – wohl aber die Umstände im Innenministerium. Die Hauptkommissarin, die später die Vorwürfe gegen Renner erhob, wollte in den höheren Dienst aufsteigen. An einem Freitagnachmittag im November 2021 führten die beiden ein Gespräch, das sie auf das Auswahlverfahren vorbereiten sollte, so beschrieb es die Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz während ihrer Vernehmung im Ausschuss. Als sie hinzukam, wurde bereits Sekt getrunken. Hinz setzte sich kurz dazu, griff aber nicht ein.
Später räumt sie ein, vor dem Hintergrund der gravierenden Folgen für die Frau würde sie heute anders handeln. Seit Kurzem hat sich ihre Abteilung ein Alkoholverbot auferlegt. Die Opposition sieht zudem Fehler der Landespolizeipräsidentin bei der Führung des Disziplinarverfahrens. Hinz wehrte sich gegen die Vorwürfe, sie wolle den Inspekteur schützen. Außerhalb des Parlaments hat eine Privatperson deswegen Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt gestellt. Die Staatsanwaltschaft prüft den Vorwurf allerdings noch.
Ausgerechnet die Landespolizeipräsidentin und der Inspekteur standen für eine Wertekampagne bei der Polizei. Für den Innenexperten der Grünen, Oliver Hildenbrand, ist daher eine wichtige Frage, wie diese Werte in der Polizeiführung umgesetzt werden: „Werte leben heißt Haltung zeigen“, sagt er. Bei Fehlverhalten anderer müsse hingeschaut und eingeschritten werden.
Die Beförderung
Die andere wichtige Frage ist, wie Andreas Renner überhaupt mit 47 Jahren als jüngster Inspekteur der Polizei in der Geschichte des Landes ins Amt gekommen ist. Er hatte vor seiner Beförderung eine ungewöhnlich gute Bewertung erhalten. Der frühere Leiter des Personalreferats im Landespolizeipräsidium berichtete zudem, Strobl habe vor der Beurteilung deutlich gemacht, dass er den künftigen Inspekteur für den am besten Geeigneten halte. Andere Zeugen bestätigten den Eindruck.
Strobl verneinte im Ausschuss, Einfluss auf das Verfahren genommen zu haben. Er machte aber kein Hehl daraus, was er über Renner dachte: „Ja, ich hielt große Stücke auf ihn und war sicher, dass er die optimale Besetzung ist.“
Der Landtagsabgeordnete Sascha Binder sieht es als erwiesen und belegt an, dass die Beförderung Renners die Entscheidung des Innenministers war. Die FDP-Obfrau im Ausschuss, Julia Goll, befand im Laufe des Ausschusses: „Wäre vor Personalentscheidungen sorgfältig und umfassend geprüft worden, statt dem eigenen Haus informell einen Wunschkandidaten vorzugeben, wäre den Beamtinnen und der Polizei insgesamt einiges erspart geblieben.“ Bislang kaum beleuchtet ist die Rolle des CDU-Landtagsabgeordneten Siegfried Lorek, der – darauf deuten Aussagen hin – gute Kontakte ins Ministerium gepflegt haben soll.
Ermittlungen gegen den Minister
Vor allem zu Beginn hatten die damals noch laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Innenminister den Ausschuss beschäftigt. Thomas Strobl hatte Ende 2021 einen Brief des Anwalts des Inspekteurs an einen Journalisten unserer Zeitung geben lassen. Strobl begründete die Weitergabe mit maximaler Transparenz, denn aus seiner Sicht konnte daraus der Vorschlag herausgelesen werden, den Vorfall auf dem kurzen Dienstweg zu regeln. Doch über Monate verschwieg das Innenministerium, wer den Brief weitergegeben hatte. Selbst die Staatsanwaltschaft wurde im Dunkeln gelassen. Als Strobl schließlich das Geheimnis lüftete, wurde gegen ihn und den Journalisten ermittelt. Schließlich stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Strobl mit einer Geldauflage von 15 000 Euro ein. Der Landesdatenschutzbeauftragte stellte später formal einen Verstoß gegen den Datenschutz fest.
Die Opposition stellte im Landtag einen Antrag auf Entlassung des Innenministers – ohne Erfolg. Ganz vom Haken gelassen wurde Strobl damit aber noch nicht. FDP und SPD verdächtigen ihn inzwischen in einem Punkt der uneidlichen Falschaussage im Untersuchungsausschuss – es geht um den Quellenschutz. Die Staatsanwaltschaft will den Vorwurf nach Abschluss der Beweisaufnahme im Ausschuss prüfen.
Der politische Umgang
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) versuchte lange, sich möglichst aus der Sache herauszuhalten. Ganz gelang es ihm nicht: Im Herbst sagte der Regierungschef, der selbst schon als Zeuge gehört wurde, dass er den politischen Umgang mit dem Thema für „ziemlich aufgeblasen“ hält.
Sein Vize Strobl spann den Gedanken noch weiter und sagte in einem Interview über den Untersuchungsausschuss: „Wissen Sie, was ein Soufflé ist? Da ist viel Luft drin – und nach einer gewissen Zeit macht’s pffft.“ Die Äußerung stieß auf Empörung. Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) sprach von Respektlosigkeit gegenüber dem Parlament. Strobl ruderte später zurück und ließ klarstellen, seine Vorwürfe richteten sich gegen die Opposition – nicht gegen den Untersuchungsausschuss.
Die Aussichten
Noch wenig beleuchtet ist das Feld der sexuellen Belästigung in Landesbehörden insgesamt. Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses hatten eigentlich schon vergangenen Juli beschlossen, Ermittlungsbeauftragte zu berufen, die die gemeldeten Fälle der vergangenen zehn Jahre beleuchten sollen. Doch die Suche nach einer geeigneten Person gestaltet sich schwierig. Innerhalb der Landesbehörden hat sich bisher wenig getan. Sozial- und Innenministerium haben Dienstvereinbarungen gegen sexuelle Belästigung geschlossen. Darüber hinaus will das Innenministerium eine sogenannte Vertrauensanwältin einrichten, die als juristischer Ansprechpartner für Betroffene fungieren soll.
Der weitere Zeitplan
Verlängerung
Dass der Untersuchungsausschuss bis September 2023 ein Ergebnis vorlegen würde, damit hatte wohl kaum jemand gerechnet. Inzwischen stehen die Termine bis Ende des Jahres. Doch auch das dürfte angesichts der Zeugenliste kaum ausreichen.
Zeugen
Die Liste liest sich wie das Who’s who der baden-württembergischen Polizei. Als Nächstes wird der frühere Präsident des Landeskriminalamts, Ralf Michelfelder, gehört. Daneben werden auch der CDU-Landtagsabgeordnete Siegfried Lorek und natürlich der Inspekteur der Polizei selbst aufgerufen. Vor Gericht hatte der Inspekteur bisher keine Aussage gemacht.