Er hat in Lahore einen Text von Osama bin Laden gelesen und wurde in Islamabad wie ein Kaiser bewirtet: Nach neun Monaten in Pakistan sieht der 23-jährige Böblinger Sebastian Ambros die Welt mit anderen Augen.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Böblingen/Lahore - Carpe iuventutem, nutze die Jugend, steht über seinem Bett geschrieben. Oft schläft Sebastian Ambros, 23, nicht mehr im Böblinger Elternhaus. Nach dem Abitur bereiste er Syrien, betreute in Frankreich für eine katholische Hilfsorganisation Obdachlose und begann in Passau ein Jurastudium. Das führte ihn überraschenderweise bis nach Pakistan. Ein Gespräch über den Islam.
Herr Ambros, warum haben Sie sich freiwillig in ein Land begeben, das als eines der gefährlichsten der Welt gilt?
Ich wollte wissen, wie es für mich ist, in einer islamischen Gesellschaft zu leben. Ich war schon oft in muslimisch geprägten Ländern – x-fach in der Türkei, drei Mal in Marokko und 2008 in Syrien. Aber als Tourist kratzt man nur an der Oberfläche, um sich wirklich ein Bild machen zu können, muss man mindestens ein halbes Jahr in einem Land verbringen. Und dann hat mir die Universität Passau mit einem einmaligen Austauschprogramm ermöglicht, zwei Semester an der Lahore University of Management Sciences zu studieren.

Wie wurden Sie in Lahore aufgenommen?
Mit offenen Armen. Pakistanische Studenten haben mich am Flughafen empfangen. Die Uni in Lahore ist beeindruckend: rote Ziegelbauten und ein Garten, der einem mit seiner Schönheit die Sinne vernebelt. Im Wohnheim teilte ich mit Asif, einem herzensguten Kerl, ein 14-Quadratmeter-Zimmer. Überall in Pakistan ist man mir vollkommen unvoreingenommen gegenübergetreten. Diese Unvoreingenommenheit habe ich in allen islamischen Ländern angetroffen, während wir in Deutschland Fremden gegenüber auf Distanz gehen.

Den pakistanischen Frauen durften Sie aber vermutlich nicht allzu nahe kommen.
Selbstverständlich sind die Wohnheime nach Geschlechtern getrennt, und man gibt einer Frau nicht die Hand. Aber in den Hörsälen, den Seminarräumen und auf dem Campus sitzen Männer und Frauen beisammen. Drei meiner Kommilitoninnen haben mir die Altstadt von Lahore gezeigt. Auch daran störte sich niemand.

Auf Ihren Erinnerungsfotos sehen Sie nicht wie ein Böblinger aus.
Ich habe mich typisch pakistanisch gekleidet – mit einem Schalwar, so heißen die Pluderhosen, und einer Kurta, einem langen Hemd. Bei der Affenhitze ist das ein praktisches Gewand. Außerdem konnte ich den Pakistanern damit auch optisch meine Verbundenheit zu ihrer Kultur zeigen.

Sie sind aber nicht zum Islam übergetreten.
Ich gehöre aus Überzeugung keiner Religionsgemeinschaft an. Ich kann es nachempfinden, wenn Menschen an etwas glauben, kritisch sehe ich allerdings den organisierten Glauben. Ich habe folglich auch nicht die Schahada ausgesprochen, das islamische Glaubensbekenntnis.

Im Islam sind Ungläubige verpönt.
Für die Muslime bin ich ein Christ, weil mein Vater Katholik ist. Christen oder auch Juden werden nach den Worten des Korans respektiert oder zumindest toleriert. Wenn ein guter Muslim über Mohammed, Jesus oder Moses spricht, sagt er anschließend als Ehrerbietung stets „Friede sei auf ihm“.