Der katholische Stadtdekan Christian Hermes hat die Führung des Rates der Religionen an Ali Ipek übergeben und verspricht für die Zukunft mehr Transparenz über die Arbeit des Rates. Erstmals seit der Gründung führt mit Ali Ipek nun ein Muslim das Bündnis der Religionsgemeinschaften in Stuttgart an.

Stuttgart - Der Rat der Religionen hat seit seiner Gründung vor etwas mehr als vier Jahren ein eher ruhiges Dasein geführt. Bis auf die dürren Zeilen, die der Rat auf seiner Internetseite von seinen Treffen veröffentlichte, war selten etwas zu hören – auch die Sitzungen waren nicht öffentlich.

 

Das hat sich nun geändert. Erstmals seit seinem Bestehen hat die Zusammenkunft der Religionsgemeinschaften einen Berichterstatter zugelassen. Wahrscheinlich auch, weil der Anlass außerordentlich war. Denn nachdem zunächst der evangelische Stadtdekan Søren Schwesig und danach sein katholisches Pendant Christian Hermes die Führung des Rates innehatten, folgt nun erstmals ein muslimischer Vertreter. Die Mitglieder des Rates wählten am Mittwochabend in den Räumen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (besser unter der Bezeichnung Mormonen bekannt) in Weilimdorf den Dialogbeauftragten der DITIB-Moscheen in der Landeshauptstadt, Ali Ipek, einstimmig für zwei Jahre zum neuen Koordinator.

Der Rat öffnet sich

„Unser Ansatz ist zu zeigen, dass dieser Rat nicht nur von einem katholischen oder evangelischen Moderator geleitet werden soll, sondern diese Funktion quer durch alle Religionen gehen soll“, sagt Hermes. Genau genommen wird der Bund damit auch seiner selbst gesteckten Mission gerecht: „Der Rat der Religionen verfolgt das Ziel, Kontakt, Verständnis und Dialog der Religionen in Stuttgart untereinander und mit der Stadtgesellschaft zu fördern und zu pflegen sowie gemeinsam interessierende Themen zu beraten und Positionen dazu abzustimmen.“

In der Personalie Ali Ipek verbindet sich auch ein Neuaufbruch. Der Rat will in Zukunft in seiner Arbeit transparenter werden. „Nach der Findungs- und Konsolidierungsphase überlegen wir, nun auch stärker in die Öffentlichkeit zu gehen“, sagt Hermes. Dass dies in den vergangenen Jahren noch nicht geschehen sei, habe auch damit zu tun, „dass wir - bis in die jüngsten Sitzungen - jeweils noch neue Mitglieder dabei hatten und es erst einmal eine Vertrautheit brauchte“.

Nun also eine Öffnung, die schon in der ersten Sitzung neuer Zeitrechnung wichtige Botschaften an die Stadtgesellschaft aussendet. Sprachrohr dessen war Sitzungsgast Michael Blume. Der Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung mahnte: „Antisemitismus bedroht uns alle.“ Antisemitische Tendenzen seien eine Bedrohung für unsere Gesellschaft und letztlich für alle Religionen, referierte Religionswissenschaftler Blume. Denn die Geschichte und die Gegenwart solcher Tendenzen zeigten, dass gruppenbezogene Feindlichkeit, oft in Verbindung mit Verschwörungsmythen, sich beliebig neue und wechselnde Feindbilder suche.

Traurige Nachrichten von den Stuttgarter Juden

Wissend lauschten die jüdischen Vertreter, Michael Kashi und Susanne Jakubowski, zunächst seinem Vortrag, ehe sie aus dem Leben der Stuttgarter Juden erzählten. Davon, dass Kinder aus Sorge als Juden erkannt zu werden, auf einen Eintrag der Note im Fach Religion des Schulzeugnisses verzichten. Oder dass die jüdische Gemeinde den Davidstern auf den Briefumschlägen abgeschafft hat, damit jüdische Mitbürger nicht als solche in der Nachbarschaft erkannt werden. „Es ist sehr traurig“, sagte Michael Kashi, „dass wir 80 Jahre nach dem Krieg wieder so etwas erleben müssen.“ Mit tiefer Betroffenheit reagierte Christian Hermes auf die Schilderungen der jüdischen Ratsmitglieder: „Eine grundlegende Überzeugung von uns allen ist, dass wir gemeinsam hinstehen müssen und gemeinsam stark sein können. Wer eine Religion angreift, der greift alle an.“ Dieses Gefühl der Gemeinsamkeit bei aller religiöser Vielfalt will der Rat nun auch durch ein Zeichen (Hermes) nach außen senden. Geplant ist, eine multireligiöse Feier am Karlsplatz zum Volkstrauertag am 17. November (11.30 Uhr). Dabei wird Michael Kashi mit zehn jüdischen Glaubensbrüdern das Kaddisch beten. Mindestens ebenso symbolkräftig ist jedoch die erste öffentliche Moderation des neuen muslimischen Leiter des Rates, Ali Ipek.