In Heilbronn erstellt Möbel Rieger einen 65 Millionen Euro teuren Neubau, der die ganze Branche im nördlichen Bereich der Landeshauptstadt in Bewegung bringt. Nutznießer der zunehmenden Konkurrenz könnten die Kunden sein.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Heilbronn - Benno Rieger, der Chef von Möbel Rieger, hat von seinem Schreibtisch aus einen herrlichen Blick über die Dächer der Stadt Göppingen bis hin zum Hohenstaufen, einem der drei Kaiserberge am Rande der Schwäbischen Alb. Das passt insofern, als das Unternehmen seine Fühler längst weit über den heutigen Hauptsitz hinaus ausgestreckt hat: einst von Heidenheim ausgehend über Aalen, Reutlingen und Esslingen bis nach Mönchenholzhausen bei Erfurt und Gera. Und jetzt kommt mit Heilbronn der siebte Standort dazu, der die Möbelbranche nördlich der Landeshauptstadt kräftig aufwirbelt. Denn der Riese XXXL-Bierstorfer residiert gleich vis à vis der neuen Rieger-Dependance und die großen Einrichtungshäuser von Hofmeister in Bietigheim und Ikea in Ludwigsburg sind nicht weit weg. Für Heilbronns Oberbürgermeister Harry Mergel ist klar, dass sich durch die sich abzeichnenden Veränderungen der Wettbewerb verschärfen wird.

 

„Wir sind keine Hasardeure“

Benno Rieger, der am Donnerstag Richtfest gefeiert hat und nächstes Frühjahr eröffnen will, sieht das entspannt: „Wir sind keine Hasardeure“, sagt der 53-jährige Geschäftsführende Gesellschafter. Er fühlt sich durch mehrere Gutachten bestätigt, in denen der prosperierenden Stadt von Audi und Lidl mit ihrem großen Einzugsbereich unausgeschöpfte Kaufkraft bescheinigt wird. Der Handelsexperte Stefan Holl, Geschäftsführer der in Ludwigsburg ansässigen Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung, bestätigt diese Erkenntnisse, deutet aber zugleich die Herausforderungen an. „Im Bereich des großflächigen Möbeleinzelhandels geht es auch darum, die Satten hungrig zu machen“, sagt er, sprich: die Verbraucher zu einer Erneuerung zu ermuntern, selbst wenn das Mobiliar noch gut in Schuss und vielleicht nur ein wenig aus der Mode gekommen ist.

Rieger setzt in Zeiten des zunehmenden Onlinehandels beim Werben um die Kundschaft auf einen von den Stuttgarter Architekten Blocher und Partner geplanten Bau. Er schwärmt von einem neuartigen „Erlebnishaus“, denn mit Möbelkisten früherer Art ist es längst nicht mehr getan. Sogenannte Pop-Up-Stores sollen innerhalb des 65 Millionen Euro teuren Komplexes von Gastfirmen oder auch mal von Künstlern bespielt werden, um für Abwechslung zu sorgen. Eine hochwertige Gastronomie gehört dazu und ein eigener Kinderzirkus. Aber auch beim Kerngeschäft soll das Niveau hoch gehalten werden. „Wir wollen dafür sorgen, dass unsere Kunden mit allen Sinnen genießen können“, sagt Rieger, der ein breites Segment oberhalb der Discounter und unterhalb der Luxusobjekte abdecken will. Dabei macht er kein Hehl daraus, dass ein gewisser Zwang zum Wachstum besteht – etwa auch, um bei den Lieferanten gute Preise herauszuschlagen.

Die Firma mit ihren insgesamt 1500 Mitarbeitern und einem Umsatz von aktuell rund 240 Millionen Euro sieht sich im Herzen des Landes verwurzelt. Dies gilt auch für den zweiten großen Familienbetrieb in der Region: Möbel Hofmeister, 1882 in Kirchheim am Neckar ebenfalls als Schreinerei gegründet. Hofmeister, rund 1200 Mitarbeiter stark bei einem Umsatz von rund 200 Millionen Euro, erweiterte sein Stammgebiet vor Jahren in Richtung Süden, unter anderem gen Sindelfingen. „Der Kunde kann sich nur wünschen, dass es Konkurrenz gibt“, sagte der Geschäftsführer Frank Hofmeister jüngst gegenüber unserer Zeitung: „In Monokulturen erhöht sich nämlich nur eins: der Preis.“

Hohe Kaufkraft in der Region

Im Übrigen reagiert Hofmeister bereits auf den Rieger’schen Angriff. Im Bietigheimer Haus sollen ein Gartencenter und ein Zoofachmarkt hinzu kommen, ein Online-Shop ist im Aufbau. Ikea sucht schon lange nach einem dritten Standort in der Region neben Ludwigsburg und Sindelfingen. Und dann ist es vor allem die österreichische XXXLutz-Gruppe, die mit jetzt zehn Einrichtungshäusern die Präsenz im Land wie rund um die Landeshauptstadt verstärkt hat. In Heilbronn erweitert XXXL im Moment das Domizil auf 32 000 Quadratmeter. Die Region rund um Stuttgart mit ihrer florierenden Wirtschaft genieße einen sehr hohen Stellenwert, betont ein Sprecher: „Die Kaufkraft ist hoch, die Kunden nehmen unser Angebot optimal an.“

Fest steht nach Einschätzung des Branchenfachmanns Holl trotz mancher Neueröffnung: die Möbelhandelsflächen haben in den vergangenen Jahren in der Region Stuttgart kaum zugenommen. Denn speziell in Stuttgart selbst sind große Häuser auch verschwunden – wie Firnhaber oder Möbel Beck. Aus Sicht des Einzelhandelsverbandes Baden-Württemberg ist gleichwohl klar, dass der Ausblick für die Möbelbranche mittelfristig positiv bleibt, wie Sprecher Hilmar Pfister sagt – durch Wohnungsneubau, immer mehr kleinere Haushalte oder den Trend zum „Cocooning“, zum Rückzug ins eigene Heim. Langfristig aber könnte sich diese Entwicklung wegen des demografischen Wandels umkehren.