Der Psychologe Mirko Allwinn erklärt die Betroffenheit der Menschen angesichts des Mords an einem achtjährigen Jungen am Frankfurter Hauptbahnhof und welche Maßnahmen sinnvoll wären.

Stuttgart - Ein unschuldiger Achtjähriger war zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort und ist jetzt tot. Wie Menschen mit der schockierenden Nachricht umgehen, was manche fatalerweise daraus schließen und welche Rückschlüsse man auf psychische Erkrankungen ziehen kann, erklärt der kriminalpsychologische Experte Mirko Allwinn (30).

 

Herr Allwinn, warum macht uns dieser ungewöhnliche Fall so betroffen?

Es gibt Orte, an denen wir uns tagtäglich bewegen, Cafés, Fußballplätze, Konzerthallen, und die wir nicht mit Gewalt assoziieren. Wenn an solchen Orten dann Gewalttaten passieren, trifft uns das besonders schwer. Dazu gehört auch der Bahnhof in Frankfurt, an dem täglich eine halbe Million Menschen aus- und einsteigt. Zum anderen handelt es sich um eine Mutter mit Kind, also um „Symbole der Unschuld“. Viele Menschen sind selbst Eltern , daher schafft der Fall eine hochemotionale Nähe und Gemeinsamkeit. Außerdem ist der Täter selbst dreifacher Vater, was die Tat für viele noch unbegreiflicher erscheinen lässt.

Es wird nun viel über erhöhte Sicherheitsmaßnahmen, mehr Polizeipräsenz diskutiert. Ist das der richtige Weg?

Das ist schwer zu sagen. Oft steigert das vor allem nur das subjektive Sicherheitsgefühl. Letztlich kann man solche Taten kaum verhindern. Sichert man nun die Bahnsteige, passiert es beim nächsten Mal womöglich auf der Straße. Die Menschen neigen dazu nach solchen Ereignissen möglichst schnell Lösungen und Strategien zu finden zu wollen, um eine vermeintliche Ordnung wieder herzustellen.

Und oft werden Schuldige gesucht.

Ja und das ist in diesem Einzelfall fatal. Aus der Verzweiflung wächst oft Wut und Feindbilder werden instrumentalisiert. Das kann man in einschlägigen Foren, in denen zur Selbstjustiz aufgerufen wird, nachlesen.

Woher kommt der Drang der Menschen nach solchen Taten möglichst schnell Lösungen zu finden?

Das hat etwas von Schnappatmung. Aus einem Gefühl der Hilflosigkeit heraus möchte man Schadensbegrenzung betreiben, möchte das Unerklärliche erklärbar machen. Oft werden solche Situationen politisch instrumentalisiert, Feindbilder präsentiert und einfache Lösungen angeboten. Aber um Ursachen zu bekämpfen, braucht es zunächst Zeit und eine gründliche Aufarbeitung. Erst dann sind sachliche, vernünftige Analysen möglich.

Wer kümmert sich um die vielen Kinder, die die Tat zufällig mitansehen mussten?

Das wäre zum Beispiel ein Punkt, an dem man sowohl präventiv als auch nachhaltig ansetzen könnte. Haben wir genügend psychologisch geschultes Personal, das in solchen Fällen akut Hilfe leistet? Und haben Betroffene auch im Nachhinein Anlaufstellen, wo sie aufgefangen werden? Andauernde Belastungssymptome sind nicht selten und treten oft erst später auf.

Zur Person Mirko Allwinn