Im Kreis Böblingen liefert man alte Verpackungen und andere Abfälle persönlich ab. Ein Tag in der Sammelstelle Hulb, die sich jedes Wochenende zu einem Marktplatz verwandelt.

Der Berliner schlendert samstags gerne über den Flohmarkt, der Münchner pilgert zum Einkaufen auf den Viktualienmarkt. Und der Böblinger macht sich auf zum Wertstoffhof. Bepackt mit Taschen und Tüten, den Kofferraum voller Kartonagen, fährt er vor. Dabei hat er die Qual der Wahl. 31 solcher Müllsammelstellen gibt es Kreis, mindestens eine in jeder Kommune. Die größte und beliebteste ist die im Böblinger Gewerbegebiet Hulb. „2000 Leute kommen im Schnitt am Samstag, unter der Woche die Hälfte“, sagt Denis Mustafov. Der 25-Jährige ist gemeinsam mit seinem Kollegen Yusuf Gündüz stellvertretender Chef auf der Hulb.

 

Eine breite überdachte Straße, links und rechts gesäumt von orangefarbenen Containern – das ist das erklärte Ausflugsziel der mülltrennenden Bürger. An jedem Samstag zwischen 10 und 13 Uhr ist Rush-hour mit Staus wie im allmorgendlichen Berufsverkehr. Im Minutentakt fahren die voll bepackten Kombis und Kleinwagen, dicke Mercedes und bis unters Dach gefüllte Kleintransporter vor. Zu der Stoßzeit um kurz nach 11 Uhr parken die Fahrzeuge zwei- oder sogar dreireihig. Kofferraum auf – und dann geht es ans Sortieren.

Wohl dem, der bereits zu Hause vorsortiert hat. Für alle anderen wird es kompliziert. Nicht nur Zuwanderer aus dem Ausland, auch Neubürger, die aus einem Nachbarkreis zugezogen sind, stehen zunächst hilflos vor den unzähligen Containern. Alles, was sie je über Mülltrennung gelernt haben, können sie wieder vergessen. Jede Sorte Wertstoff wird extra gesammelt. Große Plastiktüten kommen in das eine Behältnis, kleinere Folien in ein anderes. Plastikflaschen müssen in große Körbe geworfen werden, Milch- und Safttüten hingegen kommen schräg gegenüber in den Container für Tetrapacks. Konservendosen aus Weißblech dürfen auf keinen Fall mit Aluminium vermengt werden. Es gibt Container für Altglas, Papier und Plastikeimer.

Schummeln geht nicht

Schummeln geht nicht auf dem Wertstoffhof. Sortiert wird stets unter dem strengen Blick der kreisweit 160 Aufpasser, davon 30 fest angestellte. Denis Mustafov und Yusuf Gündüz haben alles im Blick. Mustafov, Vater zweier Kleinkinder, kann sich keinen schöneren Beruf vorstellen. „Man ist den ganzen Tag an der frischen Luft. Seit ich hier arbeite, war ich nicht mehr krank.“ Der Einsatz der Kontrolleure lohnt sich. „Wir haben weniger als fünf Prozent Restmüll, der aussortiert werden muss“, sagt Mustafov stolz. „Im Gelben Sack sind es 40 Prozent.“ Dies bestätigt Wolfgang Bagin, der Chef des Abfallwirtschaftsbetriebs im Kreis. „Weil der Gelbe Sack kostenlos abgeholt wird, werfen viele Bürger auch Abfall hinein, den sie sonst in der Restmülltonne entsorgen müssten.“ Deren Leerung aber kostet Gebühren.

Einen Gelben Sack, wie in den meisten anderen Städten und Kreisen, hat es für die 370 000 Bürger im Kreis Böblingen noch nie gegeben. Seit mehr als 20 Jahren setzt man auf das Bring- statt das Abholsystem. „Bevor der Gelbe Sack überhaupt in Deutschland eingeführt worden ist, hatten wir hier schon Wertstoffhöfe. Und dabei ist man geblieben“, erklärt Bagin.

Für Dominik Schulz ist die samstägliche Fahrt zum Wertstoffhof selbstverständlich. Gemeinsam mit seiner neunjährigen Tochter Skadi verteilt er die Joghurtbecher, Saftflaschen und Verpackungsfolien auf die jeweiligen Container. Den Gelben Sack vermisst er nicht. „Ich kenne es ja nicht anders. Früher hab ich in Schönaich gewohnt, da bin ich zur dortigen Sammelstelle. Jetzt gehe ich eben hier auf die Hulb.“

Das Böblinger Bringsystem

Umstellen musste sich vor anderthalb Jahren Gita Zemberga. „Bei mir zu Hause stehen in den Höfen verschiedene Sammelbehälter. Da werfen wir alles rein“, sagt die 30-Jährige aus Lettland. An das Böblinger Bringsystem habe sie sich aber schnell gewöhnt. Auch das umständliche Sortieren beherrscht sie mittlerweile perfekt. „Ja, hier ist das sehr streng, in Lettland ist es bequemer. Aber das genaue Sortieren ist sicher besser für die Umwelt.“

Daran hat Ralf Boppel jedoch so seine Zweifel. „Es ist ökologisch wohl nicht sinnvoll, dass jeder Bürger seine Joghurtbecher mit dem Auto zum Wertstoffhof fährt.“ Er wohnt in der Stadtmitte von Weil der Stadt. „Wir erledigen alle Einkäufe zu Fuß. Wenn ich zum anderthalb Kilometer entfernten Wertstoffhof muss, nehme ich das Auto.“ Monetäre Interessen steckten hinter dem komplizierten Sortiersystem, sagt er. „Die Preise für die verschiedenen Wertstoffe differieren stark. Deshalb müssen die Bürger die Stoffe genau trennen.“

Dass der Kreis viel Geld mit dem Müllsammeln macht, ist unbestritten. Drei Millionen Euro bringt ihm das laut dem Abfallchef Wolfgang Bagin pro Jahr ein. Denn der Kreis verkauft die Wertstoffe an das Duale System. Dieses nimmt aber nur säuberlich getrennte Produkte an. Maximal fünf Prozent Fremdstoffe dürfen im Recyclingmaterial sein. 30 000 Tonnen Glas, 5000 Tonnen Kunststoffe und 9500 Tonnen Weißblech pro Jahr sammeln die Böblinger.

Vor zwei Jahren hatte es Ralf Boppel satt. Seine Kinder konnten nicht auf dem Balkon spielen, weil der voll gestellt ist mit diversen Mülleimern für die Vorsortierung der Wertstoffe. Boppel initiierte eine Online-Petition, mit der er den Gelben Sack für den Kreis Böblingen forderte. Fast 6000 Bürger unterschrieben. Und Boppel überreichte diese Unterschriften dem damaligen Vizelandrat Wolf Eisenmann, der sogleich bekundete: „Das wird unsere Haltung nicht ändern.“ Eisenmann war es gewesen, der einst das Bringsystem eingeführt hatte. Und die Mehrheit der Kreisräte steht bis heute hinter diesem System.

Die guten Sachen für Rumänien, der Rest für Mustafov

Auch Thomas Kohl ist damit zufrieden. Von Hildrizhausen aus betreibt er eine Entrümpelungsfirma. Zwei- bis dreimal die Woche ist er Kunde in der Sammelstelle auf der Hulb. Sein Transporter ist voll beladen mit alten Matratzen, Möbeln und allerhand Schrott. „Die guten Sachen bringen wir nach Rumänien ins Heimatdorf meiner Frau“, sagt Kohl, während er eine Holzplatte aus dem Wagen wuchtet und in die Presse wirft. „Den Rest liefern wir hier ab.“ Ein Vorteil sei, dass man auf dem Böblinger Wertstoffhof wirklich alles auf einmal entsorgen kann. „Vom Joghurtbecher bis zum Sperrmüll.“ Sogar Batterien, Altöl und ausgediente Computer wird man dort los. „Herr Kohl gehört zu unseren guten Anlieferern. Da wissen wir, dass er alles richtig ablädt“, lobt der Wertstoffchef Mustafov. Mit anderen Nutzern müsse er hingegen zuweilen diskutieren: „Die können richtig unverschämt werden, wenn man sie auf einen Fehler aufmerksam macht.“

Ralf Boppel hingegen klagt über den rüden Umgangston mancher Wertstoffmitarbeiter. „Noch vor einigen Jahren war das gang und gäbe. Inzwischen setzt sich mehr der Servicegedanke durch, und die Mitarbeiter helfen auch weiter.“ Doch viele unzufriedene Bürger würden den Wertstoffhof mittlerweile meiden, so Boppel. „Ich kenne Leute, die besorgen sich Gelbe Säcke und stellen ihren Müll lieber in Stuttgart auf die Straße.“

Auch er selbst ist nur noch auf dem Wertstoffhof, wenn er Sperrmüll abzugeben hat. Für den alltäglichen Plastikmüll leistet er sich nun eine orange Tonne. Diese hat der Landkreis vor einigen Jahren eingeführt, eigentlich zum Sammeln von Elektro- und Metallschrott. Doch auch andere Verbundstoffe, die darin landen, werden mitgenommen. Was Ralf Boppel dabei ärgert: „Jede Leerung muss ich zahlen. Das kostet pro Jahr 45,50 Euro.“

Der Bundestag entscheidet

Seinen Kampf für den kostenlosen Gelben Sack hat er nicht aufgegeben. Abwarten will er die endgültige Entscheidung über das neue Wertstoffhofgesetz. Schließt sich der Bundestag dem aktuellen Bundesratsbeschluss an, wonach der gelbe Sack Aufgabe der Kommunen werden soll, könnte der Kreis jedenfalls sein System weiter pflegen. Dann holt Boppel zum nächsten Schlag aus: „Ich will, dass Böblingen endlich wie alle anderen Landkreise den Müll der Leute abholt, statt dass diese ihn bringen müssen.“

Nicht alle Böblinger wären über die Abschaffung der Wertstoffhöfe glücklich. Für manche ist die samstägliche Ablieferung zum Ritual geworden. „Ich verbinde das stets mit dem Einkauf“, sagt etwa Marcel Kocalek. „Manchmal treffe ich hier einen Bekannten und schwätze noch ein wenig.“ Ein Müllhof kann auch ein Marktplatz sein.