„Buy or Burn“ will vor allem jugendlichen Einkäufern eine App zur Verfügung stellen, die das Feedback von Freunden einfach macht. Für Sarah Haid und Clemens Walter ist es die zündende Idee, die sie aus einer konventionellen Arbeitnehmerexistenz aufbrechen lässt.

Stuttgart - Clemens Walter erinnert sich noch gut an den Morgen, als er mit dem Angestelltendasein innerlich abgeschlossen hat. Bei dem Automobilzulieferer in Reutlingen, zu dem er einige Monate zuvor von seinem ersten Job bei einem Personaldienstleister gewechselt war, wartete er eines Morgens vor dem Werkstor. „Da sind wir alle vom Parkplatz durchs Drehkreuz. Und ich stand mittendrin in dieser Reihe von Leuten, die mechanisch und marionettenhaft ihre Mitarbeiterkarte zückten“, erzählt Walter. „Da habe ich mir gesagt: Clemens, du gehörst hier nicht hin.“

 

Satt und abgesichert zu sein, das schien für Walter keine Perspektive - obwohl er zu schätzen wusste, dass er im Vergleich zu seiner ersten Arbeitsstelle nicht unter ständigem Druck stand und gut bezahlt wurde. „Ich hatte meine 35-Stunden-Woche, ich hatte Gleitzeit, einen Betriebsarzt, Kantine, Super-Kollegen, Urlaubsgeld. Das war die Zeit in meinem Leben, wo meine Oma gesagt hat: Junge, du hast alles richtig gemacht,“ sagt er. „Alle um mich herum, waren schon Jahre in der Firma – aber genau das war mein Problem.“

Für den 27-Jährigen war es nicht ein Geistesblitz, nicht eine konkrete Erfindung, die ihn zum Gründer gemacht hat, sondern ein Lebensgefühl: Lebenszeit ist kostbar, das war die Lektion, die sich ihm in seiner Zeit als Zivildienstleistender in der Sterbebegleitung eingeprägt hat. Der Impuls zur Gründung war da - nun suchte der studierte Wirtschafts- und Kommunikationswissenschaftler nach dem richtigen Konzept. Walter kannte als Ex-Unternehmensberater das ökonomische Einmaleins. Für eine Gründung kam in erster Linie die IT-Branche in Frage: Hier zählt die Idee und das Gespür für Trends. Die Investitionen sind überschaubar.

Erst war der Impuls zum Gründen da – dann die konkrete Idee

Es sollten noch Monate vergehen, bis die passende Idee gefunden war. Einmal bereits stand Walter kurz vor dem Weg zum Notar, um einen Versandhandel zu gründen, der im Abonnement preisgünstige Rasierklingen verschicken sollte – eine Geschäftsidee, die in den USA sehr gut funktioniert. Doch ein Freund, der mitmachen und bei der Anschubfinanzierung helfen wollte, bekam kalte Füße: „Die meisten unterliegen zunächst einer romantischen Vorstellung von einem Start-up. Aber was das konkret bedeutet, wird unterschätzt.“

Doch Walter ließ sich nicht entmutigen. Es war Ende 2012, als er in einem Laden in der Stuttgarter Königstraße das Aha-Erlebnis hatte. Er stand in der Kleiderkabine und probierte lustlos ein paar Jeans aus, die partout nicht richtig sitzen wollen. Wohl oder übel zog er sich die am besten passende Hose über – machte ein Foto und schickte eine E-Mail seiner Freundin. „Das Nein kam zum Glück prompt“, sagt Walter – dem so ein Fehlkauf erspart blieb. Noch im Laden begann er zu grübeln, ob das nicht eine Situation war, vor der jeden Tag vor allem viele Jugendliche stehen. Passt mir das neue Outfit? Was halten meine Freunde davon? Auf seiner Facebook-Seite will man nicht jede Kaufentscheidung herausposaunen. „Wenn du einen Verlobungsring kaufst, willst du nicht, dass alle Welt davon weiß“, sagt Walter. Warum also nicht ein soziales Netzwerk für die Shopping-Beratung etablieren? „Buy or Burn“ hat er das Projekt genannt. „Buy “ als Feedback heißt: Greife zu. „Burn“ hingegen bedeutet: Finger weg. Walter wagte einen riskanten Schritt. Um seine Idee voranzutreiben, reichte er die Kündigung ein.

Das Geschäftsmodell ist typisch für die Online-Welt: Die App gibt es gratis, die Währung, mit der die Nutzer bezahlen, sind ihre Daten. Für den Einzelhandel sei die Tatsache interessant, dass sich die Kunden genau in dem Moment, an dem sie vor einer Kaufentscheidung stehen, bei einer solchen Plattform einwählen: „Der Nutzer erfasst, was er einkaufen will und wo er steht,“ sagt Walter. Technisch sei die App kein Hexenwerk. „Buy or Burn“, das von einem vierköpfigen Kernteam getragen wird, arbeitet dafür mit freiberuflichen IT-Spezialisten zusammen. „Ich kann keine einzige Zeile Code programmieren“, sagt Walter: „Das überlassen wir den Profis. Aber wir wissen, worauf wir achten müssen.“ Die Umsetzung und die Vermarktung seien der Schlüssel. Es gibt freilich Hürden: Viele Läden verbieten es, im Laden Fotos von ihrer Ware zu machen. „Buy or Burn“ will das Problem mit Kooperationen lösen. Walter hat sogar das Verbraucherschutzministerium auf das Problem hingewiesen. Im Zeitalter der Handykameras dürfe man Fotos nicht einfach verbannen, sagt er.

Das junge Unternehmen ist bereits Forschungsobjekt

Anfang dieses Jahres hat das Projekt „Buy or Burn“den Förderpreis „BW goes mobile“ der MFG Innovationsagentur für IT und Medien des Landes Baden-Württemberg gewonnen, was nicht nur ein Preisgeld von 10000 Euro einbrachte, sondern auch den Kontakt zu Mentoren, welche die Geschäftsidee fördern wollen. Erste Kooperationspartner haben angedockt, etwa Europas größter Barcode-Anbieter oder ein großer deutscher Dienstleister für Telefon- und Internetauskünfte. Seit Februar 2013 begleitet die Fachhochschule Heilbronn im Rahmen eines Projektes zu neuen sozialen Medien den Unternehmensstart – was wertvolle Daten über die potenziellen, vor allem jugendlichen Nutzer erbracht hat. Studenten der Heilbronner Hochschule sind die ersten Praktikanten der jungen Firma. Für die künftige Expansion laufen Gespräche mit möglichen Geldgebern.

Im Herbst soll die App in einem geschlossenen Nutzerkreis an den Start. Ob man dann das Weihnachtsgeschäft mitnehmen kann, hängt an der Frage, ob bis dahin die technische Infrastruktur perfekt funktioniert. „Da sind wir wieder bei einer für Deutschland typischen, kulturellen Komponente: Da muss von Anfang an alles stehen“, sagt Walter. Statt in großen Sprüngen wie in den USA, würden hier Ideen lieber Stück um Stück umgesetzt. „In den Vereinigten Staaten wird die Erfahrung des Scheiterns fast verlangt. Da bewerten dich bestimmte Investoren danach, ob du schon einmal einen Fehler gemacht hast – dann erst bist du interessant.“

Ohne das richtige soziale Umfeld läuft nichts

Doch die Verwandlung zum Unternehmer hat auch eine persönliche Komponente. Alleine wäre Walter nie an den Start gegangen, wenn er nicht neben sich eine Person gehabt hätte, die seit Teenagerzeiten ihren eigenen Weg geht. Walter hat seine Freundin Sarah Haide, die Teilhaberin an der jungen Firma ist, in seinem früheren Job bei einem Personaldienstleister in Heidelberg kennengelernt. Da war die heute 25-Jährige lange abseits ausgetretener Karrierepfade unterwegs. Mit 16 ist Haide von zu Hause ausgezogen. Nach der Schule und der Ausbildung zur Wirtschaftsassistentin hatte sie sich ihren Traum erfüllt und war nach Neuseeland gegangen.

In der immer noch von Pioniergeist geprägten Gesellschaft fand sie nach einer Zeit als Au-Pair-Mädchen einen Job bei einem IT-Start-up. Dortarbeitete sie sich bis zur Assistentin des Chefs hoch. Doch in der Wirtschaftskrise wurde ihre Arbeitserlaubnis nicht verlängert. Notgedrungen kam sie nach Deutschland zurück. Doch ein britischer Personaldienstleister gab Haide auch ohne Studium eine Chance – wegen ihrer Lebenserfahrung. Sie wurde beauftragt, IT-Kräfte auszuwählen. Dass für sie in ihrem Leben immer eine Türe aufgegangen sei, habe sie entspannter gemacht, sagt sie. Und so erschrak Haide auch nicht, als ihr Lebensgefährte mit dem Gedanken auf sie zukam, seinen Job für ein unternehmerisches Experiment aufzugeben. „Wir wussten, dass wir das zunächst nur mit unserer Überzeugungskraft und ohne Geld hinbekommen müssten“, sagt Haide.

„Zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Leute treffen“

Die Geschichte von „Buy or Burn“ zeigt, wie sehr eine Gründung den ermutigenden sozialen Kontext braucht. „Ich wollte schon als Praktikant so viel wie möglich machen können und bin deshalb in kleine Firmen gegangen“ , sagt Walter.“ Dabei lernte er Menschen kennen, die aus dem Raster der normalen Arbeitnehmerexistenz fielen. Seinen wichtigsten Partner hat er während seines Praktikums in der Thüringer Sportwagenmanufaktur Gumpert kennengelernt. Der 60-jährige, der mehrfach Unternehmen gegründet hat, ist nun finanzkräftiger Gesellschafter von „Buy or Burn“. Bei Gumpert traf Walter auch jenen 39-jährigen Unternehmer, der dort für einen Boliden 350 000 Euro in bar hinblätterte. Der Mann, der eine erfolgreiche Logistikfirma für Organ- und Blutttransporte gegründet hatte, habe ihn motiviert: „Clemens, du musst zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Leute treffen, hat er gesagt. Und wenn du eine Idee hast, von der du überzeugt bist, egal was alle anderen sagen – dann musst du das machen.“

Was bietet „Buy or Burn“ an?

Das Problem
– Vor allem für junge Menschen sind soziale Netzwerke heute das zentrale Kommunikationsvehikel. Einkaufen ist eine Aktivität, die sich für Feedback und Austausch gut anbietet. Die Entscheidung über Kaufen („Buy“) oder Nichtkaufen („Burn“) könnte zu einem sozialen Prozess werden. Bisher gibt es aber keine Möglichkeit, sich gezielt beim Shoppen auszutauschen – zumal viele Läden misstrauisch sind, wenn sich Kunden per Handy-Kamera Ratschläge einholen.

Die Lösung
– „Buy or Burn“ hat ein Smartphone-Programm (App) entwickelt, das ein spezielles Netzwerk für Kaufentscheidungen anbietet. Eine je nach Einkauf individuell ausgewählte Gruppe von Freunden und Ratgebern kann so zum virtuellen Begleiter werden und den Daumen heben oder senken, wenn es um die Kaufentscheidung geht. Das Prozedere soll nutzerfreundlich sein und ohne umständliches Hin- und Herschalten zwischen unterschiedlichen Anwendungen funktionieren.

Das Geschäftsmodell
– Das junge Unternehmen strebt gebührenpflichtige Kooperationen mit Läden an, denen eine Möglichkeit gegeben werden soll, im Moment der Kaufentscheidung mit den Nutzern zu kommunizieren. Dabei ist nicht an Werbung gedacht, sondern an konkrete Angebote. Für die Kunden ist die App kostenlos. Sie bezahlen sozusagen mit ihren Daten. Die teilnehmenden Firmen können etwa von der Information profitieren, dass der Kunde gerade im Laden ist.