Jeder kennt wohl das Gefühl, dass der Job nicht alles sein kann. Christian Apel (Name geändert) aus Stuttgart ging es da nicht anders. Er hat sich ein Wohnmobil gekauft und reist nun quer durch Europa. Dabei unterstützte er auch die Seenotrettung auf Sizilien.

Stuttgart - Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass der Stuttgarter Christian Apel keinen Grund zu klagen hatte. Ein guter Job als Ingenieur, eine gemütliche Wohnung in der Hauptstadt und ein geregeltes Leben. Aber er war dennoch unzufrieden. Als eine zeitliche Reduzierung des Jobs nicht möglich war, wurde die Laune nicht besser. „Auch wenn mir schon klar ist, dass das jammern auf hohem Niveau ist“, wie er zugibt. Aber es war klar, dass es so nicht bleiben wird. Er kaufte sich kurzerhand ein altes, günstiges Wohnmobil, das er selbst wieder auf Vordermann brachte. Dann machte er sich auf die Reise quer durch Europa. Die Devise war dabei denkbar simpel: „So weit ich komme und solange das Geld reicht.“

 

Über Venedig und den Balkan begann der Stuttgarter seine Reise

Im März 2018 ging es also für den Stuttgarter los. Der erste Stop war Venedig, von dort aus ging es über Griechenland, den Balkan entlang nach Norden in die Alpen, nach Slowenien und Österreich. Wenn möglich, suchte er immer einen schönen Platz an der Küste. „Aber das ist oft gar nicht möglich, da die Küsten überall vollgebaut und touristisch erschlossen werden“, erklärt Apel. Sogar in Albanien wird kräftig für Touristen gebaut. „Wenn man ein bisschen sucht und sich von der Küste entfernt, findet man aber eigentlich immer einen schönen Platz“.

Umherreisen ist zwar schön, aber eben nicht alles, dachte sich Apel. Und so suchte er im Juni nach einer Aufgabe und der Möglichkeit, sich in der Welt nützlich zu machen. „Ich habe eigentlich mehr aus einer Laune heraus verschiedene NGOs angeschrieben und meine Hilfe angeboten“, erklärt er. Die „Mission Lifeline“ hat sich gemeldet. Eines der Schiffe wurde in Pozzallo auf Sizilien beschlagnahmt und am Schiff waren einige Reparaturen notwendig. „Also hab ich mich auf den Weg nach Sizilien gemacht“, sagt Apel.

Die „Mission Lifeline“ bat um Unterstützung auf Sizilien

Die „Mission Lifeline“ ist eine Organisation, die vor den Küsten Italiens in Seenot geratene Flüchtlinge rettet und in einen sicheren Hafen bringt. Aktuell war das Schiff jedoch beschlagnahmt und lag im Hafen von Pozzallo. Das Schiff wurde mehr oder weniger spontan von den Aktivisten gekauft und seetauglich gemacht. „Da das alles immer recht schnell geht, gab es einige Sachen, die im Nachhinein verbessert werden mussten“, erklärt der Ingenieur. „Also habe ich da vier Wochen am Schiff rumgeschraubt und zum Beispiel Wartungsarbeiten am Motor gemacht.“

Auch wenn das Schiff nur im Hafen liegen durfte, bekam Apel dennoch einen Einblick in das politische Feld der Seenotrettung und was es bedeutet, wenn ein Schiff plötzlich von der Bildfläche verschwindet. „Dann weiß man eben, dass die entweder nach Libyen zurückgeschleppt wurden, oder wieder 150 Leute ertrunken sind“, sagt Apel und ergänzt: „Das fühlt sich scheiße an.“ Auch die Gespräche mit den Geflüchteten waren teilweise ernüchternd. Die Menschen kommen häufig aus dem Sudan über Libyen und wollen weiter nach Europa, teilweise sind sie seit Jahren unterwegs. „Wir können uns das nicht vorstellen, aber Libyen ist aktuell ein rechtsfreier Raum. Wenn sich zwei Leute treffen, hat der mit der Waffe eben recht“, erklärt Apel und stellt fest: „Da merkt man, auf welchem Niveau wir manchmal selbst jammern.“

Die Situation in Italien war frustrierend

Auch wenn in Italien die Hoffnung bestand, dass das Schiff bald wieder in See stechen könnte, änderte sich die Situation nicht. Bei dem 37-Jährigen machte sich Frustration breit. „Ich bin ein praktischer Typ, ich kann gut Dinge reparieren. Aber es ist ein hochpolitisches und mediales Thema“, erklärt er. „Da ist es wichtig, dass die Leute sich auf dieses politische und mediale Gebiet begeben, aber das ist nichts für mich.“ Sollte er bei der Seenotrettung wieder gebraucht werden, dann wäre er sofort dabei. Nach wie vor beschäftigt ihn die Thematik sehr. „Nur weil ein Boot weg ist, ist das Problem ja nicht weg. Und einfache Lösungen gibt es da wohl nicht“, so Apel.

Tourismus versus Einsamkeit

Neben den Gesprächen mit den Geflüchteten und den Seenotrettern gab es natürlich auch noch andere Aufeinandertreffen, die ihm im Gedächtnis geblieben sind. Während man in Frankreich und Italien einer von hunderttausend Touristen ist, ist man in Ländern wie Nordmazedonien und Albanien einer der wenigen Reisenden. „Ich habe das Gefühl, dass man in solchen Ländern die Menschen besser kennenlernen kann“, sagt Apel. Und dass, obwohl er keine slawische Sprache beherrscht und die Kommunikation so wortwörtlich mit Händen und Füßen stattfindet. Und so entstanden auch in den entlegensten Ecken Albaniens Begegnungen, die hängen bleiben. Als in einer Bergstraße an einem Fluss entlang die Straße endete, stieg Apel aus und wollte prüfen, ob die Brücke ihn tragen würde. „Da hat mich aus einem Kirschbaum plötzlich eine Stimme angequatscht“, berichtet er belustigt von dem Ereignis. Der Besitzer des Baumes war gerade dabei zu ernten, und bot Apel an, eine Nacht unter den Bäumen zu parken. „Zum Schluss habe ich dann noch einen Eimer Kirschen geschenkt bekommen“, erinnert sich der Stuttgarter. Völkerverständigung, ohne die Sprache des Anderen zu sprechen, klappt dann eben doch ganz gut.

Den Winter im warmen verbringen

Nach dem Zwischenstopp in Italien trat der Reisende den Weg nach Spanien an, um dort zu überwintern. Aktuell ist er in Andalusien. „Aber so ein bisschen packt mich gerade wieder die Suche nach einer Aufgabe“, gibt er zu.

Und wie soll es weitergehen? „Was aber auch noch auf meiner Liste steht, ist vielleicht ein Praktikum bei einem Biobauernhof“, sagt er. Ernährung, die industrielle Viehhaltung und Monokulturen sind Themen, die den Ingenieur beschäftigen. „Ich schimpfe da ja auch ganz gerne drüber, aber um eine Berechtigung zu haben, muss man eben auch die andere Seite kennen.“ Gibt es praktikable Alternativen zum Status Quo? Denn auf seiner Reise lernt der in Ulm aufgewachsene Stuttgarter auch, dass nachhaltiges Leben mit Wissen verknüpft ist: „Klar kannst du in einer Stadt nachhaltig leben und dich regional ernähren, aber dazu musst du erst mal wissen, wann der Markt geöffnet ist und welche Sachen man dort bekommt.“

Finanziell könnte der Stuttgarter problemlos noch zwei Jahre reisen, ausreizen möchte er diese Zeit allerdings nicht. „Damit aufhören, weil ich total abgebrannt bin, ist ja auch nicht so gut,“ sagt Apel lachend. „Ich hoffe also, dass ich vorher schon etwas finde, für das ich gerne meine Zeit opfere“. Auch hier schwankt er wieder zwischen Pragmatismus und Idealismus. „Bei einer sinnvollen Arbeit, tu ich das natürlich gerne, ansonsten würde ich hier lieber in Teilzeit arbeiten.“