Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Ein paar Jugendlichen ist es offenbar gelungen, ihre Eltern mit in den Store zu bringen. Die scheinen sich anzupassen, so gut es eben geht. Mütter laufen mit ihren Teenager-Töchtern Hand in Hand durch die Gänge. Oder scheuchen ihre Söhne in der Männerabteilung wie Hühner vor sich her. Die Langsamkeit der männlichen Jugend ist hier fehl am Platz, es muss zackig gehen, nicht trantütig. „Willst du noch bei den Pullis schauen?“ Stummes Schulterzucken. „Du kannsch doch da hinten im Eck gschwind neischlupfa?“ Und Klischees bestätigen sich, wenn die Väter und Ehemänner mit verlorenen Blicken auf den wenigen Hockern in den Ecken sitzen.

 

Vier Freundinnen stehen vor der BH-Abteilung. Die Etiketten der Büstenhalter schlagen vor: „Make an Impact! Gel Push up Bra!“, „Boost your bust“, „Provocative Plunge Bra“, „Flirty Balconette Push up Bra“ und „Maximize your assets“. Also: vergrößere dein Kapital! Und das Kapital ist der Körper, das ist klar. Die Mädchen greifen neugierig und fragend in die Unterwäschestapel, wie sie sonst wohl in die Schmuckschachteln ihrer Mütter patschen. Und die kleinen Hände sind nur halb so groß wie die harten, gigantischen Schalen, von denen diese Mädchen offenbar glauben, sie sich auf ihre Oberkörper schnallen zu müssen. Das ist rührend und tut auch weh.

Große Polyester-Ohren

Bei manchen liegen die Nerven blank

„Wow, wo hast du das da her?“ Ein Mädchen starrt in die Tasche eines anderen. Ein großer Strampler liegt darin: ein Ganzkörperschlafanzug mit Reißverschluss vorne. Darauf sieht man Pommestüten und den Schriftzug „I love chips!“. Es gibt noch mehr dieser Anzüge: im Batman-Style, in Koala-, Kuh- und Flamingo-Optik, mit großen Ohren an der Kapuze oder mit einem Schnabel. Zwei Jugendliche kreischen, als sie die Anzüge sehen, sind sofort angekommen im kindlichen Polyester-Paradies. Später werden sie wohl genau so auf den Sofas ihrer Eltern sitzen: als rosa Flamingos, und darunter der „Flirty Balconette Push up Bra“. Nirgendwo liegen die Sehnsucht, groß zu sein, und der Wunsch, ein Kind zu bleiben, so nah beieinander wie an diesem Ort. Hier hängt die stoffgewordene Pubertät.

Plötzlich dringt Geschrei aus einer Ecke. Alle schauen auf eine Frau mit kurzen wasserstoffblonden Haaren. Sie zerrt einen Kinderwagen aus der Menge: „So eine verdammte Scheiße!“ Bei manchen liegen die Nerven blank nach einer Stunde Primark-Shopping. Zwei Mädchen drehen sich kichernd weg und streicheln über ein Schaffelljäckchen.

„Mascha, die Hose ist zu klein“

Mitarbeiter schweben im geübten Zickzack durch die Gänge wie Kellner im Bierzelt, sammeln Heruntergefallenes auf, hängen, legen, streifen den Stoff wieder glatt. Ein lauter Gong ertönt, und eine Stimme sagt: „Dies ist eine Management-Durchsage. Rebecca bitte zu den Kassen im Untergeschoss.“ Denn das hier ist kein Laden, sondern ein Store. Hier arbeiten keine Geschäftsführer, sondern Manager.

Die Erwachsenen kommen nicht mehr mit

Die Menschenschlange an den Umkleiden verstopft den halben Laden. Zwei Mädchen drängen an den Wartenden vorbei zu Shirts, die an den Wänden hängen. Auf den Oberteilen sind Plattencover von Joy Division und Nirvana abgedruckt. Und die Eltern dieser Teenager müssen sich veräppelt fühlen von ihren Kindern, auf deren Massenwarenleibchen jetzt Bands zu sehen sind, die einst unbedingt anders sein wollten. Und das ist frech und fast schon wieder ein bisschen cool.

Wie gekonnt die Teenager hier einkaufen! Sie schnappen sich eilig eine der gigantischen Stofftaschen, die sie systematisch bis oben hin füllen mit Klamotten und Tand. Sie wissen genau, wo hinfassen. Dann schleifen sie die Taschen hinter sich her wie alte Frauen ihre Trolleys. Den Blick immer Richtung Umkleide. Eine ältere Dame steht mit hoch auftoupierten Haaren in der Schlange: „I schwitz wie domm.“ Sie lässt sich nicht zur Seite schubsen. Auf ihrem Arm trägt sie nur vier Kleidungsstücke. Da stimmt doch was nicht. Tatsächlich: sie ist mit ihrer Enkelin gekommen, und die schleppt eine randvolle Tasche. „28 Teile“, zählt die Verkäuferin vor den Kabinen.

Hinten ein tiefer schwarzer Gang. Umkleiden für Armeen. Irgendwo sagt jemand: „Ich kann Mama nicht erreichen.“ Ein Handy klingelt: „Nee Umkleide! . . . Ummmkleide!!! . . . Primark!!!“ – „Du nimmst ja gar nichts“, ruft ein Mädchen. „Doch, die Jeans will ich nehmen und das Schwarzweiße, das dir nicht so gefällt.“ – „Die Jeans kostet 13!“ Nebenan spricht eine Frau laut auf Türkisch, immer schiebt sie glatt und fremd das Wort „Umkleidekabine“ dazwischen. „Mascha, die Hose ist zu klein“, brüllt eine über die Kabinen hinweg. – „So ’ne ähnliche hast du doch eh.“ – „Reeeeesi! Reeeeeesiiiii!“ Eine zittrige Frauenstimme flutet die Umkleiden, verhallt irgendwo in den Tiefen des langen Gangs. Nebenan wieder die Turmfrisur. „Also, der Schal isch nix.“ – „Und der grüne Pulli?“ – „So abgnudelt.“

Bei Stadthipstern ist Primark verpönt

Die Erwachsenen kommen hier nicht mehr mit. Und vielleicht ist das der stille Triumph dieser Jugend, deren Eltern und Lehrer sie bis zu H&M und auf Facebook verfolgt haben, weil sie so unbedingt selber bunte Turnschuhe tragen und jung bleiben wollen. Bei Primark macht den Teenagern keiner etwas vor, hier können die Erwachsenen nur noch den Kopf schütteln und sich abwenden. Bei 30-jährigen Stadthipstern ist Primark verpönt, und die Eltern der Teenager haben kritische Berichte über den Laden gelesen und zynische Sprüche gehört wie „Von Kindern für Kinder“. Leben wir in einer Wegwerfgesellschaft? Unter welchen Bedingungen werden die Klamotten hergestellt? Kann man es verantworten, ein T-Shirt für drei Euro zu kaufen? Die Filiale in Stuttgart wurde unter Protesten eröffnet, dieser Laden stehe für Ausbeutung, hieß es auf der Demonstration.

Stoffgewordene Pubertät

Doch Bangladesch und Indien sind verdammt weit weg von den Schulhöfen in Rutesheim und Gerlingen. Und es gibt keine andere Lebensphase, in der das eigene Aussehen so wichtig scheint wie in der Pubertät. Eine langhaarige Brünette krallt sich jetzt eine dicke Perlenkette von einer meterhoch mit Schmuck behängten Wand. Sie hält sich die Kette an den Hals, reckt das Kinn nach oben und schaut tief in einen Spiegel.

Die Teenager sind wie im Rausch. „Boah voll geil, schau mal!“ Zwei Mädchen ist die Schlange vor den Umkleiden zu lang, sie probieren die Sachen aus ihren Taschen einfach mitten im Laden an, schlüpfen in Stiefel und halten sich Neon-BHs über die Pullis. „Kosten die zusammen fünf Euro oder einzeln?“ Die Preise sind ans Schülerbudget angepasst, und da sind fünf Euro nun einmal viel. Wer erinnert sich nicht an den Moment, als er früher im Freibad nachschauen musste: Habe ich noch genug Geld, um mir Pommes und saure Schlangen zu kaufen? Eine Blondine mit Dutt sagt: „Es gibt eine Sache, die wo ich halt dringend brauch: ein Weggeh-Oberteil!“

Die stoffgewordene Pubertät

Ein paar Jugendlichen ist es offenbar gelungen, ihre Eltern mit in den Store zu bringen. Die scheinen sich anzupassen, so gut es eben geht. Mütter laufen mit ihren Teenager-Töchtern Hand in Hand durch die Gänge. Oder scheuchen ihre Söhne in der Männerabteilung wie Hühner vor sich her. Die Langsamkeit der männlichen Jugend ist hier fehl am Platz, es muss zackig gehen, nicht trantütig. „Willst du noch bei den Pullis schauen?“ Stummes Schulterzucken. „Du kannsch doch da hinten im Eck gschwind neischlupfa?“ Und Klischees bestätigen sich, wenn die Väter und Ehemänner mit verlorenen Blicken auf den wenigen Hockern in den Ecken sitzen.

Vier Freundinnen stehen vor der BH-Abteilung. Die Etiketten der Büstenhalter schlagen vor: „Make an Impact! Gel Push up Bra!“, „Boost your bust“, „Provocative Plunge Bra“, „Flirty Balconette Push up Bra“ und „Maximize your assets“. Also: vergrößere dein Kapital! Und das Kapital ist der Körper, das ist klar. Die Mädchen greifen neugierig und fragend in die Unterwäschestapel, wie sie sonst wohl in die Schmuckschachteln ihrer Mütter patschen. Und die kleinen Hände sind nur halb so groß wie die harten, gigantischen Schalen, von denen diese Mädchen offenbar glauben, sie sich auf ihre Oberkörper schnallen zu müssen. Das ist rührend und tut auch weh.

Große Polyester-Ohren

Bei manchen liegen die Nerven blank

„Wow, wo hast du das da her?“ Ein Mädchen starrt in die Tasche eines anderen. Ein großer Strampler liegt darin: ein Ganzkörperschlafanzug mit Reißverschluss vorne. Darauf sieht man Pommestüten und den Schriftzug „I love chips!“. Es gibt noch mehr dieser Anzüge: im Batman-Style, in Koala-, Kuh- und Flamingo-Optik, mit großen Ohren an der Kapuze oder mit einem Schnabel. Zwei Jugendliche kreischen, als sie die Anzüge sehen, sind sofort angekommen im kindlichen Polyester-Paradies. Später werden sie wohl genau so auf den Sofas ihrer Eltern sitzen: als rosa Flamingos, und darunter der „Flirty Balconette Push up Bra“. Nirgendwo liegen die Sehnsucht, groß zu sein, und der Wunsch, ein Kind zu bleiben, so nah beieinander wie an diesem Ort. Hier hängt die stoffgewordene Pubertät.

Plötzlich dringt Geschrei aus einer Ecke. Alle schauen auf eine Frau mit kurzen wasserstoffblonden Haaren. Sie zerrt einen Kinderwagen aus der Menge: „So eine verdammte Scheiße!“ Bei manchen liegen die Nerven blank nach einer Stunde Primark-Shopping. Zwei Mädchen drehen sich kichernd weg und streicheln über ein Schaffelljäckchen.