Der junge Raumfahrtingenieur Alexander Kelm hat die Welt gesehen; jetzt aber ist er nach Heilbronn zurückgekehrt und restauriert Geigen.

Heilbronn - - Alexander Kelm ist noch keine 40 Jahre alt. Es kann weder die Midlife-Crisis gewesen sein noch die sich ankündigende Geburt von Zwillingen, die ihn vor zweieinhalb Jahren bewogen haben, seiner inneren Stimme zu folgen. Sie wurde unüberhörbar beim Klang einer bestimmten Stradivari, die er bei einem Freund seines Vaters, einem berühmten Sammler von Violinen, spielen konnte. Kelm hat schon auf vielen Meistergeigen, auch Stradivaris, gespielt. Diese eine aber beeindruckte ihn so sehr, dass das der Moment war, sein Leben zu ändern. „Das klingt fast banal“, meint er „aber es war so.“

 

Kelm, der sein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität Stuttgart als Diplomingenieur abschloss, schaffte nebenher – aber nicht nebenbei – noch weitere Studien: Business Computing, Wirtschaftswissenschaft und Promotion. Dazu packte der Bundespreisträger von „Jugend musiziert“ und Händelpreisträger des SWR (1995) in das Dezennium nach dem Abi auch noch seinen Zivildienst, das Studium im Fach Violine an der Hochschule für Musik in Stuttgart bei Professor Gerhard Voss, Konzerte und Tourneen, CD-Einspielungen, und, und ,und. Nur einmal sagte er Nein: zu einem Stipendium bei Dorothy DeLay an der Juilliard School of Music in New York.

Die Welt kennengelernt

Kelm ging in die Industrie, begann als Projektleiter und war am Ende General Manager einer Produktionsfirma. Für große deutsche Autokonzerne konzipierte und baute er die Fertigungsstraßen für die Automontage und lernte dabei die Welt kennen: „Technik hat mich immer fasziniert, und so eine Fertigungsstraße und die Arbeit daran, das kann man mit einem Orchester vergleichen; auch da muss alles harmonisch ineinanderspielen“, sagt er.

Nach dem Stradivari-Erlebnis kehrte Kelm zurück zu seinen Wurzeln, nach Heilbronn, kaufte ein Haus und richtete sich hier auf seine neue Zukunft ein: als Geigenbauer. In diesem Metier kann er sein musikalisches Können und sein technisches Wissen auf eine einmalige Art zusammenbringen. Denn Kelm ist ehrgeizig, er will in der Liga der Besten seiner Profession agieren. In seiner Werkstatt, in der er italienische und französische Geigen, Bratschen und Celli restauriert und – wenn es sich ergibt – auch kauft oder verkauft, ist das „Prunkstück“ ein Stereomikroskop, wie es in der Hirn- und Gefäßchirurgie oder in Museen eingesetzt wird. In dieser Woche wird eine Guarneri bei ihm als „Patient“ eintreffen.

Mikrochirurgische Analyse- und Restaurierungsverfahren

Kelm arbeitet wie ein Arzt mit mikrochirurgischen Analyse- und Restaurierungsverfahren. Er macht Eigen-Holzfaser-Transplantationen und die ästhetische Optimierung unschön geleimter Risse. Diese unter dem Mikroskop und mit skalpellartigen Instrumenten durchgeführten „Schönheitsoperationen“ an Holz und Lack sollen so perfekt sein, dass sie sich dem bloßen Auge entziehen. Die maximale Erhaltung von Originalholz und -lack ist mehr als Kosmetik, Lack greift tief in das Wesen und den Klang einer Geige ein. Das gilt es zu bewahren oder wiederherzustellen, wissend, dass deren Geheimnis nie ganz zu klären ist. Stradivari hat an die tausend Geigen gebaut, erzählt Kelm, den wunderbaren, eigenen Klang hätten sie längst nicht alle.

Verlieben kann man sich aber auch in die Optik schöner Geigen, in Maserung und Holzton, wie die Schnecke geschnitzt und das Griffbrett gestaltet wurde. Eine gute Schule für seine handwerklichen Fähigkeiten sei der Modellbau gewesen, erzählt Kelm, schon als Kind habe er Flugzeugmodelle aus Holz gebaut. Jedes Instrument ist „Natur pur“: Holz, Knochenleim, Grundierung und Lack und die dafür verwendeten Harze lassen sich auch mit modernsten Möglichkeiten nicht bis ins letzte analysieren oder gar nachvollziehen. Dafür wird dann stundenlang mit Musikern getestet, wie die Platzierung von Stimmstock und Bassbalken den Klang bestimmen.

Zauber der Geigen

Dass der Zauber der Geigen auch sehr gefährlich sein kann, ist Alexander Kelm sehr bewusst; er ist auch Vertrauensmann der renommierten Schweizer Maggini-Stiftung, die Meisterinstrumente sammelt und an Künstler und Studenten verleiht. Im Geigenmarkt geht es seit Jahrzehnten um Millionengewinne. Es gibt Sammler, Geigenbauer und Händler, die über die Jagd nach den besten Instrumenten abgehoben haben und schließlich kriminell wurden, während sich andere ein Leben lang für eine einzige Geige verschuldeten.

Von all dem hält sich Kelm strikt fern. Dafür ist er ja auch wieder in Heilbronn. Hier stellt er auch jungen Nachwuchsgeigern großzügig gute Geigen zur Verfügung, beginnt gerade damit, Vorträge zu halten und Kammerkonzerte zu veranstalten, die Musik in seinem Haus „baden gehen“ zu lassen: Da wo jetzt noch ein funktionsfähiges Hallenbad ist, soll ein kleiner Konzertsaal entstehen.