Vincent Moissonnier weiß, wie man sich am Tisch benehmen sollte. Foto: Frank Rossbach/KI/Midjourney / Montage: Sebastian Ruckaberle
Was ist ein guter Gast, Herr Moissonnier? Ein Gespräch darüber, wie man ein gutes Restaurant erkennt, den Wert des deutschen Abendbrots und was sich am Tisch gehört.
Tim Mälzer sagt, es sei eines der besten Restaurants in Deutschland. Das Bistro Le Moissonier wird seit bald 40 Jahren von Vincent und Liliane Moissonnier geführt. Ein Gespräch über Michelin-Sterne, Manieren am Tisch, die Relevanz von Butter und woran man ein gutes Restaurant erkennt.
Herr Moissonier, lassen Sie uns über Qualität sprechen: Woran erkennen Sie ein gutes Restaurant?
Wissen Sie, ich bin ja quasi wie ein Hochleistungssportler, der genau weiß, wo sein Limit ist und wie er seine Kräfte dosieren kann. Ich habe andere Kriterien als Sie. Wenn Sie ins Restaurant gehen, ist das eher eine Seltenheit. Das ist nicht böse gemeint. Wir sind jeden Tag im Restaurant.
Ein eingedeckter Tisch mit Cocotte. Foto: Erik Chmil
Und das heißt?
Ich erkenne ein gutes Restaurant schon an der Außenspeisekarte. Wenn die sauber ist, nicht durch Feuchtigkeit, Wasser oder Schmutz von Fliegen gezeichnet ist, dann weiß ich, dass es gepflegt ist. Für mich ist die Sauberkeit eines Restaurants, wo Lebensmittel verarbeitet werden, sehr wichtig. Wenn Sie können: Ich würde empfehlen, dass Sie, bevor Sie etwas bestellen, den Wirt grüßen und kurz an der Küche vorbeigehen und schauen, wer darin arbeitet. Es gibt Restaurants, die im niedrigen Preissegment arbeiten. Das ist moderne Sklaverei in der Küche. Es sind teilweise Leute, die in ihrem Leben nie das Glück hatten zu lernen, was eine Pfanne, ein Topf, eine Schöpfkelle oder ein Messer ist. Denen bringt man drei, vier Rezepte bei, und die müssen sie stundenlang absolvieren. Und das ist für mich ein großes Kriterium: Wer arbeitet in der Küche, wie werden die Leute bezahlt? Das kann man oft nicht wissen. Ein Restaurant ist nichts anderes als ein Labor. Da muss es pico bello sauber sein. Und wenn Sie nicht in die Küche schauen können, erkennen Sie am Servicepersonal, wie gut das Restaurant ist. Wenn nur mit Aushilfen und Studenten gearbeitet wird, sagt das etwas aus. Ab einem gewissen Niveau hat der Gast das Recht zu erfahren, was er auf dem Teller bekommt oder wie ein Wein schmeckt, und das können Studenten oder Aushilfen teilweise gar nicht leisten.
Was sagt der Geruch über ein Restaurant aus?
Sehr viel. Geruch ist ebenfalls ein wichtiges Kriterium. Ein Warnsystem. Wenn es stark nach Fisch riecht, wenn Sie das Lokal betreten, dann würde ich sagen: „Schatz, nimm bitte keinen Kabeljau heute.„ Geruch ist wichtig. Der lässt uns erkennen, wenn sich ein Kellner nicht geduscht hat. Dann sage ich: „Schatz, hier sind wir nicht richtig.“
Was aber macht ein Restaurant zu einem besonderen Restaurant?
Es ist ein Restaurant, das seine Gäste sehr ernst nimmt. Der Gastgeber freut sich, dass sie kommen, für sie arbeiten zu dürfen und dass sich die Gäste diese zweieinhalb bis drei Stunden Zeit nehmen, in der er sie glücklich machen kann. Aber er muss sich auch mal rar machen, merken, wenn die Gäste ihn nicht brauchen. Ein Restaurantbesuch gleicht dem Theater. Das ist wichtig. Der Kunde zahlt für die Vorstellung. Es geht um alles: die Stimme, die Art und Weise, wie man spricht, wie man mit seinen Gästen ein bisschen Spaß hat oder wie man eine Ehe in einer kritischen Situation beruhigen kann. Du musst vielfältig sein. Das ist Hochleistungssport, ich bleibe dabei.
Wir haben 18 Tische. Da geht man durch alles: Warm, heiß, kalt, eiskalt, da gibt es Leute, die viel zu laut reden und lachen, sodass die anderen Gäste sich unwohl fühlen. Du musst permanent regulieren.
Sie führen seit bald vierzig Jahren ein legendäres Spitzenrestaurant in Köln. Warum sind Sie als Franzose denn am Rhein gelandet?
Das ist einfach eine Liebesgeschichte. Köln ist eine Stadt für alle. Und diese Freundlichkeit, diese Umarmung, diese Wärme, die hier ausgestrahlt wird, die bekommst du nur ganz schwer irgendwo anders. Ich liebe diese Stadt.
Ihr Restaurant hatte mal zwei Michelin-Sterne. Die wollten Sie aber nicht und haben dann abends nicht mehr geöffnet. Warum das?
Das mit den Sternen ist eine Sache, die man einfach nicht bestimmen darf. Das hast du als Gastronom gar nicht zu entscheiden. Da kannst du machen, was du willst, dich nackt ausziehen oder dich bemalen, das wird nichts ändern, der Michelin hat den Hebel in der Hand. Ich wollte einfach dieses Leben nicht mehr führen. 14 Stunden jeden Tag, immer perfekt sein. Da kommen wir zurück zum Hochleistungssport. Du spürst einfach irgendwann als Mittelstürmer, dass du nicht mehr die Kraft hast für 90 Minuten. Deshalb hatten wir entschieden, das Zwei-Sterne-Restaurant zu schließen und als Bistro zu eröffnen. Sie werden von mir nie ein böses Wort über den Guide Michelin hören. Er begleitet mich seit meiner Kindheit. Es ist und bleibt von allen Fressführern der vernünftigste, den es gibt. Die machen dort auch Fehler, so wie Sie, so wie ich. Das ist normal, das ist auch menschlich.
Warum bezeichnen Sie sich denn als Kneipier? Ist das nicht gänzlich untertrieben?
Kneipier ist kein schlechtes Wort. Besser als Gastronom, das sind doch alle. Auch die Ungelernten. Meinen Beruf habe ich mit großer Leidenschaft und sehr großem Druck gelernt. Bei einem hervorragenden Menschen. Das war Henry Levy in Berlin. Er war mein Lehrmeister und Mentor, der hat mich auch mal am Nacken gepackt und mich geradegebogen.
Vincent Moissonnier Foto: Frank Rossbach
Diesen Beruf zu lernen ist mühsam und schweißtreibend. Man weint vor Erschöpfung, man weint vor Verzweiflung, man weint, weil man die Nase voll davon hat, erniedrigt zu werden. Aber diese Erniedrigung ist nicht da, um dich fertig zu machen, sondern damit du kapierst, es ist es wert, aber lerne. Es gibt etliche Gastronomiebetriebe, die von gescheiterten Rechtsanwälten, von gescheiterten Journalisten, von gescheiterten Handwerkern geführt werden, und die nennen sich alle Gastronomen. Ich bin dann lieber Kneipier. Dieser Beruf ist Bescheidenheit und Dienstleistung.
Was macht denn einen guten Gastgeber aus?
Er soll seinen Beruf lieben, er soll seine Gäste lieben. Und er soll auch seinen Gästen erklären, wenn die etwas falsch machen, wenn sie übertreiben, wenn sie aggressiv und frech werden.
Die Italiener haben mit „fare la scarpetta“ gar eine Redewendung dafür, dass man den Teller mit Brot austunkt. Darf ich bei Ihnen die Sauce im Teller ausschlecken?
Sie können alles machen, was Sie für richtig halten. Sie werden sich lächerlich machen, nicht ich. Für mich gibt es nichts Schöneres, als wenn meine Frau mit ihrem Zeigefinger in ihren Teller geht, um die restliche Soße zu erwischen. Das ist ein erotisches Moment, das großartig ist.
Sind Sie denn altmodisch, was die Gepflogenheiten angeht?
Nein, ich bin erzogen.
Sie sind so erzogen, dass ein Mann kurz aufsteht, wenn eine Frau an den Tisch kommt?
Wenn Sie an einem gepflegten Ort mit einem gedeckten Tisch mit Stoffserviette sind und Ihre Partnerin hat sich ins Zeug gelegt, dann macht man das, das zeigt, dass man sich freut, dass sie am Tisch ist. Und auch wenn jetzt die Feministinnen etwas anderes sagen, dann lasse ich mir meine Erziehung nicht wegnehmen.
Apropos Stoffserviette: Ihre Erziehung verbietet es Ihnen, dass man sich damit schnäuzt?
Durchaus. Wir sind in Frankreich als Kinder so groß geworden, dass wir Stoffservietten beim Essen verwenden.
Sie schreiben wiederum auch, dass die schlimmsten Gäste die Franzosen sind.
Und dabei bleibe ich. Natürlich nicht alle. Aber meistens sind die beratungsresistentesten Gäste die Franzosen. Der Franzose ist der beste Esser, der beste Trinker, der beste Liebhaber – und alles stimmt nicht.
Was ist der Unterschied zwischen den Deutschen und den Franzosen?
Ganz einfach: Der Deutsche steht morgens auf, mault und geht zur Arbeit. Und der Franzose steht morgens auf, mault und legt sich wieder hin. Der Deutsche ist einfach unglaublich zielstrebig. Der ist ein Arbeiter. Er tut sich nicht viel Gutes, kauft sich aber ein teures Auto.
Genießen müssen wir aber noch lernen, oder?
Es hat sich viel getan. Die Deutschen lernen gerne dazu. Es gibt viel Genuss, aber es fehlt die Vielfalt. Deutschland ist ein Kartoffelland. Es gibt nicht die Vielfalt wie in Frankreich. Gott hat es mit uns gut gemeint.
Zum Schluss die wichtigste aller Fragen: Macht Butter alles besser?
Butter ist unverzichtbar. Hört bitte alle auf, immer so dürr auszusehen. Butter muss sein, Butter gehört dazu. Die klassische Küche wie jene von Vincent Klink oder Franz Keller wird wieder gefragt sein. Und dann werden wir eine große Überraschung erleben, weil die junge Generation nicht mehr so kochen kann. Die wissen nicht, wie man einen Fond macht, wie man eine Sauce bindet. Damit eine Sauce glänzt, dazu braucht es eine Woche. Wenn ich die Macht hätte, wenn ich Politiker wäre, dann würde ich bei der UNESCO beantragen, dass das deutsche Abendbrot geschützt wird: ein Brett, ein Stück Graubrot, Butter, Fleischwurst, Käse, Gurke, für die Kinder am Sonntag ein Glas Limonade und für den alten Sack eine halbe Flasche Bier. Heute ist das deutsche Abendbrot Lieferando. Doch das deutsche Abendbrot ist eine Kulturgeschichte, die darf nie vergessen werden.
Der Mann und das Restaurant
Vincent Moissonnier entstammt einfachen Verhältnissen im Osten Frankreichs. Gemeinsam mit seiner Frau Lilane führt er seit bald 40 Jahren das Restaurant Le Moissonnier in Köln. Geschichten aus diesem Restaurant gibt es in „Ein Tisch am Fenster“ (Kiepenheuer & Witsch) nachzulesen.
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