Wie müssen Räume im Vernetzungszeitalter beschaffen sein? Architekten, Szenogafen und Gestalter haben bei „Raumwelten“ in Ludwigsburg gezeigt, wie sich die Anforderungen und Funktionen wandeln.

Ludwigsburg - Eine fließende Oberfläche illuminiert am Freitagabend den Ludwigsburger Schlosshof, schwarze Gestalten durchmessen das Lichtquadrat. Die griechische Künstlerin Aemilia Papaphilippou findet Parallelen in der visuellen Anmutung von Weißem Rauschen, schimmerndem Meer und den Wogen des Wüstensandes, von neuronalen Netzwerken und einem Flugroutenplan.

 

Zu Beginn des Kongresstages zeigen gleich zwei Referenten zum Thema „Lernwelten“ Raffaels Gemälde „Die Schule von Athen“, einen offenen Raum voller griechischer Geistesgrößen. Diese Vorstellung vom „lebendigen Wissensnetz“ sei in der Industriegesellschaft verlorengegangen, sagt die Hamburger Trendforscherin Birgit Gebhardt. „In der Industrielogik gibt es einen Massenmarkt, lineare Prozesse, starre Hierarchien“, sagt sie. In der vernetzten Gesellschaft dagegen gehe es um „individuelle Bedürfnisse, Transparenz, Vielfalt, Gleichzeitigkeit und Teamwork“. Sie zeigt Bilder des neuen Axel Springer Campus von Rem Koolhaas in Berlin, die Bibliothek Dokk1 im dänischen Aarhus: offene Räume für Nutzungen aller Art.

Besucher durchbrechen oft das Geplante

Solche Orte selbst mitgestaltet hat Arne Lijbers vom niederländischen Architekturbüro Mecanoo in Delft. Etwa die Bibliothek in Birmingham mit ihrer Pralinenschachtel-Fassade, die nach innen Schattenbilder wirft, ein multifunktionales Gebäude mit Amphitheater, Rotunde und einem barocken Shakespeare-Room „als Tribut an die alte Bibliothek“, wie Lijbers sagt. Man müsse „Raum als Chance“ begreifen, sagt Lijbers. „Räume dürfen nicht standardisiert sein, sie müssten alle Sinne ansprechen, viele Möglichkeiten bieten. Das können auch Stuttgarter nachvollziehen, deren Stadtbibliothek weniger spektakulär erscheinen mag, an der sich aber ablesen lässt, dass sie im selben Geiste konzipiert ist.

Die Besucher unternähmen „große Anstrengungen, das Geplante zu durchbrechen“, erklärt ironisch Jörg Schmidtsiefen, geschäftsführender Gesellschafter von Archimedes Exhibitions (Berlin) – und zeigt den Film einer Frau, die sich gegen die Fahrtrichtung mühsam eine Rolltreppe hinaufkämpft. Er spielt gerne mit dem Chaos, in dem sich bei näherem Hinsehen schnell eine Ordnung erschließt. Im Museum für Kommunikation in Frankfurt hat sein Büro die Präsentaiton der Sammlung neu gestaltet und der Ausstellung mit den Exponaten ein Areal mit Themeninseln vorgeschaltet, an denen die Besucher intuitiv Informationen sammeln, die ihnen hinterher nützen.

Ein Leuchtturm in den Schweizer Bergen

Das Smartphone hat die ganze Welt zur Bühne gemacht, und das nutzt die Spielemacherin Christiane Hütter (Berlin). Ihre Projekte regen spielerisch nicht nur zum Tun an, sondern auch zum Denken. Bei „Followship“ etwa, 2015 in Neukölln realisiert, konnten Spieler sich reale Follower mieten. „Da kam schnell die Frage auf, ob die Follower alles machen müssen, was der Mieter verlangt“, sagt Hütter – „oder ob der Mieter nur noch Dinge tut, damit die Follower ihm Likes geben“. In der Netz-Sprache sind „Follower“ Anhänger in sozialen Netzwerken, „Likes“ digitaler Beifall. Nicht weniger spielerisch sind die Ideen des Schweizer Szenografen Otto Jolias Steiner (Sarnen). „Ohne Geschichte gibt es nichts zu inszenieren“, sagt er. Auf dem Oberalppass, wo die Quelle des Rheins liegt, hat er als Attraktion einen Leuchtturm installiert. „Die wollten einen Lastkahn, aber den da hochzubringen wäre ein Riesenunterfangen geworden“, sagt Steiner. „Nun haben sie den einzigen Leuchtturm, der mehr als hundert Meter über dem Meer liegt – nämlich 2000 Meter hoch.“ Ein Schiff könne man ja immer noch aus Eis nachbauen, „das geht dann im Frühjahr automatisch nach Holland, man weiß nur nicht, wo es gerade ist“.

Derzeit arbeitet er an einem Heidi-Park auf dem Flumersberg im Kanton St. Gallen, wo mangels Schnee die Abwanderung droht. Neun Schauplätze hat das Dorf inklusive Almhütte und Frankfurt, es werden Szenen nachgespielt. „In einer Situation dürfen sich alle als Feuerwehr verkleiden und dann darf ein Kind ein Haus anzünden“, sagt Steiner grinsend.

Das Stuttgarter Büro Umschichten führt Nachhaltigkeit vor

Mit vorgefundenem und geliehenem Material arbeitet das Stuttgarter Architekturbüro Umschichten aus dem Wagenhallen-Umfeld. Aus gepressten Blechwürfeln, deren Recycling Daimler einfach aufschob, errichteten Peter Weigand und Lukasz Lendzinski eine temporäre Wand, bei einer Schau der Stiftung Bauhaus in Dessau verwendeten sie Wasserrohre einer benachbarten Firma. Baumaterial einer Ausstellung im Wert von einer halben Million Euro, Träger und Spanplatten bekamen sie gratis – „es hätte sonst für 8000 Euro entsorgt werden müssen“, sagt Weigand. So geht Nachhaltigkeit.

Aus all diesen Räumen von heute und morgen geht es traditionell in die von gestern: Im Ordenssaal des Ludwigsburger Schlosses werden Preise verliehen. Anders als früheren Referenten – 2016 etwa dem Mekka-Gestalter Mahmoud Bodo Rasch – gelingt es dem Documenta-Teilnehmer Olaf Holzapfel weder in Bild noch Wort, sein Projekt „ZAUN“ schlüssig zu erläutern – was schade ist, denn brisanter war das Thema Abgrenzung lange nicht.

Das spiralförmige „Minihofhaus“ sperrt die Umgebung aus

Den Wettbewerb „Raumpioniere – Wohnen auf kleinstem Raum“ gewinnt das Stuttgarter Atelier Kaiser Shen. Die Aufgabe: Eine verkehrsumtoste Kreuzungsinsel bewohnbar machen. Die Lösung: Das „Minihofhaus“, eine spiralförmige Konstruktion, deren nach innen gerichtete Struktur die Autos komplett aussperrt. Im Wettbewerb „Ludwigswelten“ dürfen Nachwuchskreative zur Neugestaltung der Weststadt beitragen, Melina Löwer (Kassel) und Emely Arnold (Darmstadt) hätten „ aus einem Allerweltscontainer durch Zerlegung einen verbindenden Raum entwickelt“, sagt die Jury. Wie das Projekt genau aussehen soll, wird nicht erläutert, umso ausführlicher beschrieben beteiligte Politiker ihr Engagement.

Und so bleibt vor allem eines in Erinnerung von diesem zähen Abend: wie der frühere Nachtcafé-Moderator Wieland Backes ihn gekonnt und mit trockenem Humor vorantreibt.