Im Frühjahr 2014 haben wir unsere 15-jährige Praktikantin gebeten, das Phänomen Primark aus Teenager-Sicht zu erklären. Damals kam die erste Primark-Filiale nach Stuttgart. Anlässlich des Einzugs einer zweiten Filiale auf der Königstraße zeigen wir den Gastbeitrag noch einmal.

Im September 2014 zog die erste Primark-Filiale nach Stuttgart. Wir haben im Frühjahr unsere damalige Praktikantin (15) gefragt, was das Phänomen Primark aus ihrer Sicht und für ihre Altersgenossen ausmacht. Der Text wurde sehr viel gelesen und kommentiert. Anlässlich des Einzugs einer zweiten Primark-Filiale in den ehemaligen Karstadt an der Königstraße zeigen wir den Gastbeitrag noch einmal: 

 

Stuttgart / Karlsruhe - Primark – Was ist das eigentlich? Dieser Laden, der hunderte Jugendliche Wochenende für Wochenende anzieht. Für den es sich lohnt über eine Stunde – meist mit dem Zug, da Teenager ja noch kein Auto haben – anzureisen. Ich will versuchen, dieses Massenphänomen aus Sicht von 15-Jährigen zu erklären und zu beschreiben: Wie ist das, wenn man bei Primark einkauft? Und was bedeutet das für die Stadt, in der ein solches Geschäft steht? 

Ich bin Schülerin einer 10. Klasse eines Reutlinger Gymnasiums und mache im Moment mein einwöchiges Berufspraktikum bei der Stuttgarter Zeitung. Auch ich war schon mehrmals bei Primark und bin mit den Massen shoppen gegangen.

Kinderarbeit – ja, wahrscheinlich

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich würde nicht von mir behaupten, dass ich zu denjenigen gehöre, die bei Primark mehrere hundert Euro liegen lassen und sich ihrem Kaufrausch hingeben, ohne sich Gedanken über die Produktionsart zu machen.

Natürlich weiß jeder, dass Primark angesichts so niedriger Preise nicht unter guten Bedingungen produzieren kann: ein Paar Schuhe für sieben Euro, ein Fünfer-Pack Socken für zwei Euro, ein bedrucktes T-Shirt für vier Euro oder eine mittelgroße Handtasche für neun Euro gibt es nicht umsonst. Man muss fast davon ausgehen, dass dafür Kinder arbeiten, das ZDF hat dazu kürzlich eine Doku gezeigt. Aber die Kinderarbeit sieht man ja nicht, wenn man gerade bei Primark einkauft. Denken sich viele Kunden.

Allerdings muss man sich fragen, wo heute noch unter fairen Bedingungen produziert wird und ob es nicht eigentlich egal ist, wo man einkauft – die meisten Klamotten werden in Asien hergestellt. Für viele Jugendliche sind die billigen Preise das ausschlaggebende Kriterium und ich glaube, dass viele Jugendliche über die Produktionsweise in anderen Läden ähnlich denken wie ich.

Billig wie Kik, aber stylischer

Für alle, die jetzt noch gar nicht wissen, was Primark eigentlich ist: Es ist eine Textildiscounter-Kette, die ursprünglich aus Irland kommt. Mittlerweile gibt es zehn Filialen in Deutschland. Weitere kommen hinzu, im September etwa die Stuttgarter Filiale. Man kann Primark von den Preisen her mit Kik vergleichen. Doch die Mode, die es bei Primark zu kaufen gibt, ist viel stylischer und hat somit auch ein besseres Image.

In diesem Laden kann man sich ein komplettes Outfit für unter 30 Euro kaufen. Das geht von allen möglichen Kleidungsstücken über Schuhe und Taschen bis hin zu Kosmetikartikeln. Das Geschäftsprinzip ist eindeutig „Masse statt Klasse“. Die Teenager, die bei Primark einkaufen, wissen auch, dass es qualitativ Hochwertigeres gibt. Aber Leute in meinem Alter haben lieber zehn verschiedene Billig-Shirts, aus denen sie wählen können als nur ein teures Stück. Und: Shopping bei Primark ist ein Erlebnis.

Für etliche Jugendliche, vor allem Mädchen, ist es der größte Traum, eine Primark-Filiale in ihrer Stadt zu haben. (Die Jungs lassen sich lieber was mitbringen.) Im September wird der Traum vieler Stuttgarterinnen wahr, dem Milaneo sei Dank. Damit entfallen auch die Fahrten zur bisher nächstgelegenen Primark-Filiale in Karlsruhe, auch wenn diese Fahrten ein Event für sich sind.

Bisher fahren wir mit dem Zug nach Karlsruhe

Geshoppt wird in der Regel samstags oder in den Ferien. Kleingruppen kommen dank Baden-Württemberg-Ticket mit dem Zug billig nach Karlsruhe. Das Ticket gilt allerdings erst ab neun Uhr, so dass die Züge um diese Zeit oft voll mit Teenagern sind: im Einkaufs-Express nach Karlsruhe. Wenn man das Glück oder die Überredungskünste hatte, dass die Eltern mit dem Auto nach Karlsruhe gefahren sind, umgeht man die Schlange vor dem Gebäude, da man gleich zur Ladenöffnung um neun Uhr da sein kann.

Wer Zug fahren muss, könnte vor der Filiale eine lange Schlange antreffen. Primark in Karlsruhe ist nämlich schnell mal überfüllt. Man kommt dann nur rein, wenn jemand anders das Geschäft verlässt. Wer es also einmal in die Primark-Filiale geschafft hatte, sollte am besten drinbleiben. Damit nicht völliges Chaos ausbricht, bewachen böse dreinblickende Türsteher den Eingang.

Im Shopping-Paradies

Wenn man allerdings an denen vorbeigekommen ist, so ist man im Paradies. So sehen das zumindest die shoppingsüchtigen Mädchen. Für die meisten Mütter und Väter ist dieser Laden, der von der Größe und dem chemischen Geruch her eher einer großen Halle gleicht, jedoch ein Horror. Deshalb rate ich auch, sich mit Gleichgesinnten auf den Weg zu machen und nicht mit seinen Eltern.

Einmal drin, besorgt man sich erst einmal eine großes „Shoppingnetz“, in dem man in den nächsten Stunden seine gefühlten 50 „Schätze“ aufbewahren kann. Danach heißt die Devise: „So viel wie vorstellbar in möglichst kurzer Zeit“ – die üblichen Größen sind schnell ausverkauft, und warum sollte man etwas liegen lassen, wenn es nur ein paar Euro kostet? An der Kasse kann dann eigentlich niemand mehr sagen, wie viel und vor allem was er oder sie eingesteckt hat. Das liegt auch daran, dass Anprobieren bei Primark schier unmöglich ist: Entweder versucht man, sich in einer Ecke seine möglichen neuen Kleidungsstücke überzuziehen – was dann so ungefähr fünf Minuten lang klappt, ehe das leicht gestresste Personal vorbeikommt und anmerkt, dass das Anprobieren auf dem Gang nicht erlaubt ist. Zweite Option: Man stellt sich in die Schlange, nimmt dann aber in Kauf, dass man mindestens die nächste halbe Stunde mit Warten verbringt.

Wozu anprobieren?

Als Jugendlicher entscheidet man sich dann meistens dafür, die Teile einfach gar nicht anzuprobieren, da sie ja eh so billig sind und man deswegen auch mal etwas kaufen kann ohne zu wissen, ob es einem passt.

Letzter Schritt: Bezahlen. Auch wenn man beim Anprobieren wenigstens auf eine Warteschlange verzichten konnte, spätestens an der Kasse heißt es Anstehen. Das muss man sich so vorstellen, dass der Bereich vor den Kassen nie im Leben ausreicht. Stattdessen reiht sich die Warteschlange durch den ganzen Laden und immer wieder weisen Verkäufer einen darauf hin, dass das Anstehen zwischen den Regalen verboten ist.

Dennoch kann man dank der rund 20 Kassen relativ schnell seine Einkäufe bezahlen und auf dem Weg dorthin noch Accessoires, wie Tassen, Haarbürsten oder Poster einstecken. Die „Schätze“ werden dann in große, braune Papiertüten gesteckt und man kann nur hoffen, dass sie halten – wenigstens, bis man im Zug sitzt.

Ein Tag bei Primark endet also, wie er angefangen hat: Mit Dutzenden Gleichaltrigen im Zug, nur dass alle schwer bepackt sind. Bleibt zu hoffen, dass die „Eroberungen“ auch wirklich getragen werden.