Wir Stadtkinder lieben unsere Stadt – und manche Ecken ganz besonders. Unser Autor lebt schon lange im Lehenviertel und will dort niemals wegziehen. Eine Liebeserklärung an das Viertel im Stuttgarter Süden.

Stuttgart – Das Lehenviertel im Stuttgarter Süden gehört zu den wohl beliebtesten Adressen im Kessel. Zwischen Heusteigviertel und Marienplatz, und unterhalb der Weinsteige bis hin zur Hauptstätter Straße, zeigt sich Stuttgart hier von seiner schönsten Seite. Während nur ein paar Fußminuten entfernt Baustellen und Beton das Stadtbild unserer Innenstadt dominieren, findet man hier prächtige Altbauten, Cafés, Restaurants und kleine inhabergeführte Läden. Zwischen Natur und Luxusanwesen auf den Halbhöhen und Beton und Feinstaub auf der Stadtautobahn aka B14, ist Stuttgart im Lehenviertel vor allem eines: wunderschön! „Ein Viertel mit ganz besonderem Charme“ schreiben Immobilienmakler gerne in ihre Anzeigen, bevor sie die Wohnungen im Lehenviertel zu horrenden Preisen vermieten. Aber ja, dieses Viertel hat Charme – und genau deshalb wohne ich hier auch schon seit mehr als zehn Jahren. Und nein, ich habe nicht vor noch einmal umzuziehen. Auch nicht in den Westen, sorry!

 

Kehrwoch' und Marktschreier

Das Lehenviertel ist irgendetwas zwischen hippen Eltern, die sich mit ihren Maltes und Hannas (und sie heißen gefühlt echt immer so) auf den Spielplätzen tummeln und dabei ihren Hafercappucino to go (selbstversändlich im mitgebrachten Behälter) genießen und alteingesessenen Schwaben, deren Berufung aus der ständigen Kontrolle des Kehrwochenfortschritts im eigenen Haus besteht. 

Generell wird die Kehrwoche in dieser Gegend des Stuttgarter Südens sehr groß geschrieben, dieses schwäbische Kulturgut regelrecht zelebriert. Kehrwoch' isch schließlich immer! Und so fegen hier jeden Samstag (andere Tage sind nicht akzeptabel) die Kehrbesen durch die Straßen, während der stadtbekannte mobile Marktschreier mit seinem Wägele durch das Lehenviertel fährt und „Eieeeeeer, Kardoffeeeeeln, Äpfeeeeeeel“ an die Leute bringen will. Früher hat er seine Runde bereits frühmorgens gedreht und uns Anwohner im wahrsten Sinne aus dem Bett geklingelt, seit ein paar Jahren hat er seine Route offensichtlich geändert und schlägt jetzt erst am Nachmittag im Stuttgarter Süden auf. Danke dafür.

Stadt trifft auf Natur

Im Lehenviertel trifft jung auf alt, Neubauten treffen auf Altbauten, SUVs auf Lastenfahrräder und Stadt auf Natur. Und während unterhalb des Viertels am Marienplatz das Leben tobt und der Heslachtunnel im Sekundentakt neue Autos ausspuckt, herrscht oben im Lehenviertel Ruhe. Also wenn nicht gerade wieder festivalähnliche Zustände auf dem Spielplatz nebenan herrschen oder irgendwelche Autofahrer Hupkonzerte veranstalten, weil sie auf einem der raren Parkplätze mal wieder zugeparkt wurden. Des isch halt Stuttgart! Und ich bin manchmal dann doch sehr dankbar für meine Noise-Cancelling-Kopfhörer. Besagte Immobilienfirmen lügen aber nicht, wenn sie das Viertel als „ruhig und zentral“ betiteln. Denn während unten die Autos durch die Stadt brettern, zwitschern hier oben die Vögel im nahegelegenen Stadtwald an der Weinsteige Richtung Degerloch. Ob Lärm in der Stadtmitte oder Ruhe in der Natur, beides ist hier nur einen kurzen Spaziergang oder eine Fahrt mit der Zahnradbahn entfernt.

Oh, wie schön ist das Lehenviertel

Und bei einem Spaziergang durch das Lehenviertel, und ich habe seit der Pandemie wirklich viele Spaziergänge gemacht, fällt mir dann immer wieder auf, wie schön es hier ist. Ob Prachtbauten in der Liststraße, Halbhöhen, die Zacke oder verstecke architektonische Highlights in den Hinterhöfen und Dächern des Viertels – hier gibt es immer wieder etwas zu entdecken. Auch nach über 10 Jahren. Und während ich draußen in der Sonne anstehe, um mir beim Bäcker Frank eine der stadtbekannten Brezeln zu kaufen, schaue ich mich um, sehe mein Viertel, die unterschiedlichen Leute, höre im Hintergrund die Vögel den Frühling ankündigen und denke mir nur: Oh, wie schön ist das Lehenviertel!