Schon der Duft beim Betreten einer Bäckerei löst bei unserem Autor Glücksgefühle aus. Eine Liebeserklärung an ein altes Handwerk, ein Kulturgut und das Geräusch einer frischen Brotkruste.

Stuttgart – Der Himmel ist eine Bäckerei. Eine kleine duftende irgendwo auf dem Land, mit der Backstube im hinteren Zimmer und einem Verkaufsraum, in dem sich jeden Morgen die Brote, Brezeln und Stückchen türmen. Es gibt kaum einen schöneren Augenblick als das Betreten einer Bäckerei. Vielleicht klingelt ein Glöckchen über der Tür, vielleicht stehen Bäckermeister:in und Lehrlinge gemeinsam hinter der Theke, mit melierten Ärmeln und einem kecken Hütchen auf. Der Himmel ist eine Bäckerei. Und die Hölle, die ist ein SB-Backshop.

 

Gebt mir ein Brot - behaltet den Rest

Brot. Man denkt eigentlich viel zu selten über Brot nach. Man kennt es, man kauft es, man isst es, aber man denkt nicht darüber nach. Das sollte man aber. Wer das tut, kommt schnell zu der Erkenntnis, dass es die Krone der kulinarischen Schöpfung ist, vollkommen in seiner Einfachheit. Ein Produkt, so bodenständig wie vollkommen, entstanden aus denselben Grundprodukten wie Bier und über Jahrtausende zu Perfektion gebracht. Behaltet eure Pizza, schmiert euch eure Burger in die Haare, lasst mich bloß in Ruhe mit irgendwelchen Bowls. Gebt mir ein gutes frisches Brot und etwas Butter.

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Wer erinnert sich noch an den wunderbaren Pixar-Film „Ratatouille“? Darin bringt ihm die Köchin Colette dem unerfahrenen Novizen Linguini das kleine Kücheneinmaleins in Expressgeschwindigkeit bei – unter anderem, wie sich die Kruste eines perfekten Baguettes anzuhören hat. Dieses Geräusch, dieser knusprige, verheißungsvolle, eigentlich unmöglich in Worte zu fassende Ton schüttet vier Kilogramm Glückshormone in mir aus. Dazu der Duft, der Gedanke, das noch warme Brot mit wohltemperierter Butter zu bestreichen, abzubeißen… Elysium. Pures Elysium. Der Himmel ist eine Bäckerei.

Ein gutes Brot ist ein Meisterstück

Es ist erstaunlich, dass ein Allerweltslebensmittel wie Brot so viel in einem Menschen auslösen kann. Schon vor 6.000 Jahren buk man in Ägypten Brot. Ja, es heißt buk, und das musste ich nicht mal nachschlagen. Weil ich Brot liebe und alles um dieses unvergleichliche Kunstwerk konjugiere, dekliniere, glorifiziere und inhaliere. Brot ist unprätentiös und in seiner Zusammensetzung recht simpel. Doch jeder, der schon mal versucht hat, selbst Brot zu backen, wird rasch feststellen, dass es da sehr schnell mit der Einfachheit der Dinge aufhört. Ein gutes Brot ist ein Meisterstück. Und vollkommen zurecht als nationales Kulturgut anerkannt. Lasst euch von niemandem etwas anderes erzählen.

Den Deutschen sagt man ja gern nach, sie seien Brot-Fetischisten. Ich habe es versucht, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das jemand als Beleidigung meinen kann. Ja, wir sind Brot-Fetischisten. Und das ist gut so! Das Brotinstitut weiß, dass das deutsche Brotregister derzeit über 3.000 unterschiedliche Brotspezialitäten führt. 3.000! Weizen, Roggen, Dinkel, Vollkorn, mit Körnern oder Saaten, meinetwegen auch mit Nüssen, als Brotlaib, Brötchen, Kringel, Baguette: Wir haben für jeden Anlass das richtige Brot. Das sollten wir nicht nur am Tag des deutschen Brotes feiern. Da aber umso mehr, gerne mit dem hashtag #brotmomente.

Wir sollten feiern, zu welcher Meisterschaft unsere Bäcker:innen dieses Lebensmittel gebracht haben. Wir sollten sie hochleben lassen, diese guten Seelen der Nacht, die sich aus den Federn mühen, wenn wir noch schlafen, um uns knusprig frische Brötchen und warmes Brot zum Frühstück anzubieten. Der Himmel ist eine Bäckerei. Und die Bäcker:innen die Engel. Früher fühlte ich mich immer ein wenig uncool, wenn ich ein Pausenbrot in der Schule dabei hatte und nicht wie die coolen Kids einen Döner verputzte. Heute bin ich ziemlich froh darüber. Als Kind war die Bäckerei ein Tor in eine andere Welt. Vielleicht wusste ich damals die Brotspezialitäten nicht so sehr zu schätzen wie heute; dafür umso mehr, dass es immer auch Süßis in einer Bäckerei gab. Und natürlich Datschwecken. Wer hat Datschwecken früher auch so geliebt und gelebt wie ich?

Brot ist nicht gleich Brot

Dennoch zeigt ein Blick insbesondere in die Innenstadt: Es ist gar nicht mal so leicht, eine gute, handwerklich arbeitende Bäckerei mit eigener Backstube zu finden. Discount-Bäckereien und große Ketten bestimmen das Bild, laut einer Studie ist die Fastfood-Kette Subway unter den Top 3 der größten Bäckereien Deutschlands. Aber das hat mit einem echten, guten Brot so viel zu tun wie ein billiger Primitivo vom Discounter mit einem Großen Gewächs. Jede:r kann/soll/darf essen, was er/sie will. Wir sollten uns aber fragen, ob wir bei einem Konsum von über 50 Kilogramm Backwaren pro Haushalt nicht vielleicht die lokalen, handwerklich arbeitenden Betriebe unterstützen wollen. Die liegen vielleicht nicht immer bequem auf dem Weg. Aber dann spaziert man eben einen Umweg. Es lohnt sich. Allein wegen des Geräuschs einer guten Brotkruste.