Hurra, die Friseure machen wieder auf! Unser verzottelter Autor schwebt am Ende einer entbehrungsreichen Zeit für sein Kopfhaar und sein Umfeld auf Wolke sieben. Er fragt sich: Was wären wir nur ohne Friseure?

Stuttgart – Es ist ein alter Hut, aber: Wir erkennen den Wert vieler Dinge erst, wenn man sie uns nimmt. Erst der Akt des Entzugs macht uns auf bittersüße Weise klar, wie viel wir in unseren Leben als selbstverständlich hinnehmen und folglich gar nicht mehr richtig zu würdigen wissen.

 

Eine entbehrungsreiche Zeit wie diese ist voller solcher Beispiele. In den vergangenen zwölf Monaten hat wahrscheinlich jeder von uns mehrfach gemerkt, wie wenig wir über die vielen Annehmlichkeiten nachgedacht haben, mit denen wir uns wie selbstverständlich umgeben. Restaurantbesuche, Konzerte, Lesungen, Kneipenabende, tanzen im Club, Boule auf dem Erwin-Schoettle-Platz – alles, was das Großstadtleben ausmacht, ist eingefroren.

Schrei nach der Schere

Die Friseure auch. Geschlossen seit Monaten, Deutschland war nie schlechter frisiert als im Februar 2021. Ein kollektiver Schrei nach der Schere geht durch Stadt und Land, der haarige Notstand wurde ausgerufen, Haarkatastrophen werden unter Mützen und Hüten versteckt. Zum Glück war es kalt. Gelacht hat da irgendwann niemand mehr, außer mein guter Freund Huiss. Der trägt Glatze und kann das auch, der Mistkerl.

Glatze hin oder her: Ich bezweifle dennoch, dass jemand vor der Pandemie mal diesen Satz gesagt hat: „Mensch, kann ich mich glücklich schätzen, dass ich zum Friseur gehen kann!“ Der Friseursalon ist einer dieser Orte, der immer für uns da sind. Es gibt sie an jeder Ecke, klein und groß, teuer und billig, gut und weniger gut. Man macht einen Termin, geht hin, lässt sich die Haare waschen, schneiden, legen, bezahlt, geht. So weit, so alltäglich. Muss man nicht weiter drüber nachdenken.

Mein Nachbar, der Friseur

Erst die letzten Monate haben mir schmerzlich bewusst gemacht, wie privilegiert ich doch bin. Der Friseurladen meines Vertrauens liegt gerade mal zwei Häuser von meiner Wohnung im Stuttgarter Westen entfernt. Der augenzwinkernde Claim „Schnell, schlecht, teuer“ hat mich nicht abgeschreckt, seit einiger Zeit gibt es keinen besseren Ort für mich, wenn es um das Wohl meiner Haartracht geht. Ich halte ein Schwätzchen mit Mauro und Linda, selbst wenn ich mir nicht die Haare schneiden lasse. Sie stehen vor ihrem Laden, ich laufe vorbei, man plauscht, tauscht sich aus, geht weiter. Linda hat einen Kater, über den ich besser Bescheid weiß als über meinen Neffen. Termine mache ich im Vorbeigehen, manchmal bietet man mir sogar ein Bier an, ein sardisches.

Debakel auf dem Kopf

Es ist der größtmögliche Komfort und ein gewaltiger Luxus, einen sehr guten und sehr netten Friseur in der direkten Nachbarschaft zu haben. Das wusste ich schon, bevor er wieder dichtmachen musste. Jetzt weiß ich es noch mehr. Sollte ich jemals wieder umziehen, werde ich das neue Quartier vorher sehr genau auf einen geeigneten Coiffeur durchleuchten. Auf eine derartige große Annehmlichkeit möchte ich nie wieder verzichten müssen. Hörst du, Virus?

Ich erzähle da jetzt sicher nichts Neues, aber: Meine Haare sind seit Wochen außer Form, ohne Schnitt, sprießen fantasielos und, wie ich mit Besorgnis feststelle, reichlich unmotiviert. Ihnen fehlt die sorgsame, liebevolle Behandlung durch geschulte Hände, dessen bin ich mir sicher. Sie stellten sich natürlich sofort vor Freude auf, als sie hörten, dass die Friseure ab Anfang März wieder die Scheren schleifen dürfen. Mit banger Vorfreude blicke ich auf den Tag, an dem Linda das Debakel sieht, entschlossen zur Schere greift und endlich wieder loslegt. Mal ganz zu schweigen, dass sich Haare waschen nie so gut anfühlt, wie wenn sie jemand für dich wäscht. Luxus, der pure Luxus.

Das Pandemie-Evangelium

Fest steht also: So sehr habe ich mich noch nie auf einen Friseurbesuch gefreut. Und ich habe fest vor, mich ab sofort jedes Mal so sehr darauf zu freuen wie vor diesem ersten Mal nach einer langen, entbehrungsreichen und ästhetisch schwierigen Zeit. Du sollst Vater und Mutter ehren, heißt es in der Bibel. Im Pandemie-Evangelium aber muss es ab sofort heißen: Du sollst die Friseure ehren. Auf dass sie endlich wieder dafür sorgen, dass man sich bei Zoom nicht hinter einem Katzenfilter verstecken muss. Amen.