Münze rein, drehen, den Moment auskosten, Schatz bergen: Unser Autor hat eine ganz besondere Beziehung zu Kaugummiautomaten. Eine Liebeserklärung an ein fast vergessenes Stück Kindheit.

Stuttgart – Ich denke oft über Kaugummiautomaten nach. Über die Zeit, in der sie in meinem Leben eine große Rolle spielten. Mein Schulweg führte gleich an mehreren vorbei, kindliche Verlockungen, das FSK-6-Äquivalent zu den Neonreklamen am Sunset Strip. Ich liebte Kaugummiautomaten, die Kaugummis darin ebenso wie das billige Spielzeug, das immer in transparenten Plastikeiern steckte.

 

Verlorene Unschuld

Der Kaugummiautomat ist das Sinnbild verlorener Unschuld. Manchmal sehne ich mich zurück an diese sorglose, arglose Zeit. Wäre die Welt doch wieder so einfach wie damals, als man nicht mal im Traum daran dachte, dass an dieser Tat etwas Unhygienisches haften könnte.

Heute habe ich ein wenig den Bezug zu diesen Maschinen des schnellen Glücks verloren. Ich sehe sie und fühle fast einen Stich. Weil das Leben nicht mehr ganz so einfach ist. Oder vielleicht weil ich damals einfach noch eine Menge mehr Leben vor mir hatte. Und keine Steuererklärung machen musste. Ich denke so vor mich hin, überlege, wie die Verteilung der Kaugummiautomaten Stuttgarts aus der Luft wohl aussehen würde. Sie wurden strategisch aufgestellt, diese Magneten für Generationen von Schulkindern. Entlang Schulwegen und an Spielplätzen. Werden Zigarettenautomaten eigentlich genau so aufgestellt, nur für Erwachsene? Und warum sind Kaugummiautomaten und Zigarettenautomaten eigentlich die einzigen Automaten, denen man mit Ausnahme von Bahnhöfen im urbanen Raum begegnet?

Ehrenkodex

Die Geschichte der Kaugummiautomaten beginnt in Nachkriegsdeutschland. Von US-Soldaten haben wir den Kaugummi bekommen, fleißig und wirtschaftlich denkend, wie wir Deutschen eben so sind, haben wir uns gleich mal ein kapitalistisches System zur Verbreitung des Kaugis ausgedacht, sie in Automaten gepackt und an Hauswänden montiert.

Was man auch lernt, wenn man so einen Artikel schreibt: Es gibt einen Verband deutscher Automatenhersteller (VAFA). Der sitzt in Bochum und hat einen Ehrenkodex auf seiner Homepage. Ein Kaugummiautomat ist eine ernste Sache. Ich wette, dass der Verband auch den Wikipedia-Eintrag „Kaugummiautomat“ zu verantworten hat. Dort steht, dass es zwischen 700.000 und 800.000 Kaugummiautomaten in Deutschland gibt. Stand 2017. „Jeder Einzelautomat verfügt dabei im Normalfall über ein Sichtfenster, das dem Kunden einen Blick auf seinen Inhalt ermöglicht, den bekannten Münzeinwurf-/Drehmechanismus mit Drehgriff und jeweils ein eigenes Warenausgabefach.“ Weißte Bescheid. Nächste Haltestelle: DIN-Norm für Kauzge-Automaten. Wer sagt auch Kauzge?

Erinnerung an unbeschwerte Tage

Ach, Kaugummiautomat, du bittersüße Erinnerung an unbeschwerte Tage. An eine Zeit, in der die größte Sorge war, ob das Geld nach dem Besuch des Pausenhofbäckers noch für einen Kaugi am Automaten reicht. Erst noch die Doppelstunde Mathe überstehen, ohne aufgerufen zu werden, raus aus der Schule, runter vom Hof, ran an den Automaten, zehn Pfennig rein, drehen, es klackert, Spannung, Vorfreude, hoffentlich ist es ein roter, es ist aber nie ein roter, doch das ist egal, rein in den Mund, kauen, nach zwei Minuten ist das künstliche Aroma rausgekaut aus dem runden Ball.

Systemsprenger im Grundschulalter

Es gab natürlich auch die Rabauken, die schon in der Grundschule eisern versuchten, das System zu stürzen. Mit Feuerzeugen wurde versucht, ein Loch durch das Plexiglas zu kokeln, um sich die Taschen mit Kaugummi vollzustopfen. Schon unglaublich, wenn man bedenkt, dass der gesamte Inhalt eines Automaten ein paar Mark wert war und man dafür dennoch auf die dunkle Seite der Macht zu wechseln bereit war. Manche Menschen wollten die Welt schon mit acht Jahren brennen sehen. Jetzt werde ich all meinen Mut zusammennehmen, mich mit einigen Münzen bewaffnen und einen Kaugummiautomaten aufsuchen. Für einen kurzen Moment wieder Kind sein. Sagrotan nehme ich trotzdem mit.