Verbrecher haben es in Stuttgart schwer, denn Werner Pflug vom Landeskriminalamt ist ihnen auf der Spur. Er ist der Chef des Teams, das DNA-Spuren auswertet. Die Schülerin Charlotte Müller hat für „Schüler machen Zeitung“ mit ihm gesprochen.

Stuttgart - Werner Pflug hält ein Röhrchen in die Höhe. Der 63-jährige Biologe ist im Landeskriminalamt (LKA) Stuttgart der Chef des Fachbereichs, der DNA-Spuren auswertet. In dem Röhrchen befindet sich reiner Alkohol. Darin kann man etwas erkennen, das wie ein Fussel aussieht: aus Körperzellen extrahiertes Erbmaterial eines Menschen, die DNA. „In einem Milliliter Blut ist ungefähr fünf Millionen Mal das enthalten, was einen Menschen einzigartig macht. Um einen Spurenleger zu identifizieren, brauchen wir nur einen winzigen Bruchteil davon“, so Pflug.

 

Mit dem Begriff Spurenleger meint er die Person, die zum Beispiel in einem Kriminalfall die entscheidenden Spuren hinterlassen hat. Werner Pflug war einer der ersten Molekularbiologen, dessen Team es in den 1990er Jahren geschafft hat, Hautpartikel so zu analysieren, dass das DNA-Muster auswertbar wird – eine Revolution in der Kriminaltechnik.

Werner Pflug erzählt ein Beispiel, wie ein Kriminalfall auf diese Weise gelöst werden kann. „1995 wurde ein Mann erschossen im Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses gefunden. Die Pistole lag neben ihm, die Patronen steckten in seiner Jackentasche. Man konnte nicht sicher sagen, ob es Mord oder Selbstmord war“, berichtet der Biologe. Anhand der Hautpartikel, die sich in den Vertiefungen am Pistolengriff befanden, konnte man später den Täter zweifelsfrei identifizieren. Früher musste ein Täter Fingerabdrücke oder einen Gegenstand aus seinem Besitz am Tatort hinterlassen, damit man ihn überführen konnte.

Die zweite Revolution

„Die mikroskopisch kleinen Hautpartikel analysieren zu können, das nennen wir im LKA die zweite Revolution“, sagt Pflug. Heute kann man anhand der Hautpartikel feststellen, ob der Tatverdächtige die Pistole regelmäßig in der Hand hatte, denn beim häufigen Hantieren mit der Waffe entstehen die Ablagerungen. So konnte der Fall aus dem Jahr 1995 aufgeklärt werden – der Täter wurde nur anhand der Hautpartikel aus dem Schmutz an der Pistole überführt.

Werner Pflug erklärt auch, wie die Analyse abläuft. „Wir haben Pipettierroboter, die diese DNA-Proben reinigen. Danach kommen die Präparate in Maschinen, die sie millionenfach vermehren.“ Zum Schluss entstehe aus den einzelnen Merkmalen ein Strichmuster. Experten können anschließend zweifelsfrei zuordnen, welches Muster zu welchem Menschen gehört.

In Werner Pflugs Bereich arbeiten etwa 50 Personen, 20 davon als Sachverständige. Pro Jahr muss die Abteilung rund 5000 Fälle mit DNA-Analysen bearbeiten. In manchen Kriminalfällen ist diese Analyse die letzte Hoffnung für die Ermittler.

Dies gilt auch für die bis heute ungeklärten Fälle, etwa den von Anja Aichele. Die 17-Jährige war 1987 in Stuttgart ermordet worden. Die Jugendliche hatte nur kurz einen Jugendclub in ihrer Kirchengemeinde besuchen wollen. Zum vereinbarten Zeitpunkt war sie nicht nach Hause gekommen. Ein paar Tage später fand die Polizei bei einer Suchaktion Anjas Leiche in einem Gemüsebeet. Der Täter konnte nicht ermittelt werden.

Fall Aichele neu aufgerollt

2008 gab es eine neue Spur, und man hat den Fall Aichele neu aufgerollt. Die Spur war aus den sichergestellten Gegenständen vom Fundort der Toten herausgefiltert worden. Die Polizei arbeitet noch daran, sie mit dem Erbgut von mehr als 500 Männern zu vergleichen, die damals in der Nähe wohnten. Im Frühjahr 2012 wurden von ihnen Speichelproben entnommen. Bis zum Sommer soll die Reihenuntersuchung ausgewertet sein.

Ob ein Treffer dabei sein wird, wisse man beim derzeitigen Stand der Ermittlungen noch nicht. Doch die Kriminalbeamten setzen alle Hoffnung in ein winziges Hautschüppchen, aus dem sie die DNA eines Tatverdächtigen gewinnen konnten – ein Teilchen wie das in dem Röhrchen, das Werner Pflug zeigt. Das Morddezernat der Stuttgarter Polizei knüpft seine Hoffnung, den Fall doch noch aufzuklären, in die Auswertung der Spuren.

Mord in Großbottwar

Dass es nach so vielen Jahren noch klappen kann, haben die Ermittler auch bei einem Fall gezeigt, den sie im Jahr 2004 lösen konnten. Sie klärten einen im Jahr 1984 begangenen Mord an einer Zwölfjährigen aus Großbottwar (Kreis Ludwigsburg) auf. Das Mädchen war von einem Ausflug zum Reiterhof nicht mehr nach Hause gekommen. Das Kind wurde tot in einer Scheune aufgefunden. 20 Jahre nach der Tat war die Technik so weit, dass im LKA Spuren eines Mannes an der Kleidung des Mädchens herausgefiltert werden konnten.

Der damit überführte Täter hatte schon 1984 zum Kreis der Verdächtigen gezählt, nachweisen konnte man ihm den Mord damals aber nicht. Der technische Fortschritt lieferte 20 Jahre später den Beweis, dass er die Tat begangen hatte. Der Tatverdächtige konnte mit kleinsten DNA-Spuren von den Kleidern der Zwölfjährigen selbst nach 20 Jahren eindeutig überführt werden.