Die einen werden die vielleicht besten Topfenknödel der Welt vermissen, andere den besten Tafelspitz: Auf alle Fälle hinterlässt Josef Kern viele traurige Stammgäste. Im Interview zieht der Patron Bilanz.

Stuttgart - Nach mehr als drei Jahrzehnten beendet Josef Kern Ende März seine Rolle als Gastgeber und konzentriert sich auf den Wein.

 
Herr Kern, was sind Sie nun eigentlich? Ein schwäbischer Österreicher oder ein österreichischer Schwabe?
A bisserl beides. Meine Grundeinstellung zum Leben ist eine österreichische, das Korrekte und Gewissenhafte habe ich von den Schwaben. Wobei man den Menschen aus der Steiermark, wo ich herkomme, auch nachsagt, dass sie fleißig seien, da sind sie den Schwaben sicher ähnlich.
Bei diesen Schwaben haben Sie immerhin zwei Drittel ihres Lebens verbracht. Man kann schon sagen, dass Ihre gastronomische Leistung in Stuttgart ein Monument ist?
Ja, das denke ich schon. Wenn man bedenkt, dass ich eigentlich nur für ein halbes Jahr auf der Durchreise in die Schweiz nach Stuttgart gekommen bin . . .
Was hat Sie hier gehalten?
Die Freundlichkeit der Menschen sicher nicht. Nach einer Woche habe ich gedacht, ich muss sofort hier weg. In den siebziger Jahren hat man die Leute einfach nicht lachen sehen, da waren alle immer ernst. Dabei haben sie alles gehabt!
Wohlstand, meinen Sie?
Ja, damals gab’s null Arbeitslosigkeit. Aber die Schwaben konnten dies nicht zeigen, zumindest nicht nach außen. Die haben das Auto in der gleichen Farbe gekauft wie das alte, nur damit der Nachbar nicht sieht, dass sie ein neues Auto haben.
Und beim Daimler haben sie die Typenbezeichnung entfernen lassen, dasmit das Auto nicht angeberisch wirkt.
Genau! Mein Nachbarin in Gaisburg war Frau Enssle vom Pelzhaus. Die hat mir damals erzählt, dass die Stuttgarter leider alle nach München fahren würden, um Pelz einzukaufen.
Schlecht für Ihr Geschäft?
Na ja, dafür würden die Münchner zum Glück nach Stuttgart fahren, um bei ihr die Pelzmäntel einzukaufen, ansonsten gäb’s den Laden ja nicht mehr.
Und beim Genuss war die Zurückhaltung ähnlich?
Definitiv. Wobei es die Gastronomie etwas leichter hatte. Hier gibt’s viele große Firmen, die besten Abschlüsse wurden immer beim Essen gemacht. Aber die Zeiten sind ja inzwischen vorbei. Vielleicht haben die Firmen damals übertrieben, aber nun hat es sich ins Gegenteil entwickelt, das ist auch nicht gut.
Dafür haben die Schwaben das Genießen gelernt?
Und man trifft auch nicht mehr auf unfreundliche Menschen. Das hat sich alles sehr stark verändert.
Sie aber nicht? Vierzig Jahre auf diesem Niveau zu arbeiten ist eine erstaunliche Leistung.
Das stimmt, da bin ich auch stolz drauf. Ein Gast hat mal zu mir gesagt, er komme jetzt seit dreißig Jahren, und es war noch nie schlecht. Ich denke, das hängt damit zusammen, dass ich alles mit Leidenschaft mache, mit viel Herzblut. Aber ich habe auch das beste Stammpublikum, das es gibt, einfach fantastische Gäste. Für eine derartige Atmosphäre braucht man auch die entsprechenden Gäste. Man kann alles bereitstellen, die Einrichtung, das Essen, den Wein – aber eine schöne Atmosphäre lebt von den Gästen.
Der Gastgeber ist schon auch wichtig?
Ich habe einfach immer versucht, alles so zu machen, wie ich es mir wünsche. Eine marktfrische Küche mit guten Produkten zu einem fairen Preis. Und das bei einer unverkrampften Atmosphäre. Deshalb muss man ja nicht gleich im Trainingsanzug ausgehen, aber alle Manager ziehen bei uns meist schnell ihr Jackett aus und entspannen. Darauf kommt es an.
Auf die Art der Küche trifft das auch zu?
Ich bin hier Purist. Das Einzige, was zählt, ist der Geschmack. Wenn ein Teller kommt, der ausschaut wie ein Gemälde, aber der Geschmack nicht den Nerv trifft, dann vergisst du das wieder. Ich will Gerichte servieren, bei denen du den Geschmack nicht vergisst. Vermeintlich einfache Gerichte. Aber wenn man nicht alles richtig macht, dann wird es nichts.
Ihr Kalbsschnitzel oder die Topfenknödel sind legendär! Und in allen Gastroführern waren Sie immer weit oben gelistet. Für einen Stern hat es aber nicht gereicht. Hat Sie das gestört?
Wir haben nie Wert auf so etwas gelegt. Im Gegenteil. Wir haben Angst gehabt, dass wir unser Stammpublikum verlieren könnten.
Einige davon sind auch gekommen wegen der besonderen Weinauswahl.
Da hatte ich auch Glück, weil ich mit den österreichischen Weinen sicher ein einzigartiges Angebot machen konnte. Wir haben auch sonst viel auf der Karte, aber viele Gäste wollen bei mir natürlich österreichischen Wein trinken.
Weil es den ebenfalls zu fairen Preisen gibt?
Ich dachte mir immer: Lieber zwei Euro weniger für die Flasche, dafür trinken die Gäste etwas mehr. Auch hier folgen meine Frau Marielouise und ich einfach dem eigenen Gefühl. Wenn wir in einem Restaurant eine überteuerte Flasche Wein auf der Karte sehen, dann haben wir einfach keine Lust, sie zu bestellen.
Weil Sie sich veräppelt fühlen?
Genau. Und der Gast weiß heute doch ganz genau Bescheid. Zu mir hat jedenfalls noch niemand gesagt, dass der Wein zu teuer gewesen sei.
Da ist es ein Glück, dass Sie uns auf diesem Gebiet erhalten bleiben. Ihre Weinhandlung besteht weiter?
Ja, wir suchen eine kleine Ladenfläche, damit wir unsere Kunden weiter versorgen können. Da wird’s dann sicher auch Weinproben und so geben.
Und was denken Sie so bei ihrem Abschied?
Alle finden es schade, dass wir aufhören, aber alle geben uns recht. Wir hören auf, bevor wir nachlassen. Denn so ein Lokal kann man einfach nur mit Vollgas betreiben. Und das haben wir nun über dreißig Jahre lang gemacht.