Das Oberlandesgericht Hamm erklärt die Auslieferungs-Forderung aus Polen für unzulässig. Trotzdem fühlt sich Thomas Karzelek nicht sicher: Er wird seine neunjährige Tochter wohl von der Schule nehmen.

Ditzingen - Der fünfseitige Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm ist für Thomas Karzelek ein „Meilenstein“. Der Vater der einst von ihrer polnischstämmigen Mutter aus Ditzingen entführten Lara ist erleichtert: „Das ist der Nachweis dafür, dass die Polen mit dem, was sie tun, Unrecht haben.“ Das Urteil erklärt Karzeleks Auslieferung nach Polen zur Strafverfolgung für unzulässig. Es folgt einem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft. Jetzt muss Karzelek zumindest von deutscher Seite her nicht mehr befürchten, dass er den polnischen Behörden übergeben wird, die ihm vorwerfen, seine Tochter aus Polen nach Deutschland verschleppt zu haben.

 

„In Polen würde ich sofort verhaftet werden“

Gleichwohl bangt Thomas Karzelek nun nicht mehr nur um die Sicherheit seiner neunjährigen Tochter, sondern auch um die eigene. Der internationale Haftbefehl, den Polen gegen ihn aufgrund verschiedener Anschuldigungen erwirkt hatte, besteht nach wie vor. „Polen fahndet weiter europaweit nach mir und Lara. In Polen würde ich sofort verhaftet werden“, sagt Karzelek, der sich als „Geisel meiner Heimat“ bezeichnet. Alle Bemühungen, den Haftbefehl aufheben zu lassen, seien bislang gescheitert. Sein Anwalt sei ratlos. Angesichts der „avisierten Freiheitsberaubung“ werde er Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof einlegen.

Aber auch in der neuen Heimat in Nordrhein-Westfalen fühle er sich inzwischen nicht mehr sicher. Er werde Lara wohl von der Schule nehmen und verstärkt auf sie aufpassen müssen – dabei habe sie sich gerade eingelebt. „Sie braucht endlich Sicherheit und Stabilität, stattdessen erlebt sie wahrscheinlich wieder einen Bruch“, sagt Karzelek. Lara habe Freunde gefunden, sie spiele Geige, schwimme gern, fahre Fahrrad. Der Aufenthaltsort der Familie war geheim, doch seit einer Gerichtsverhandlung kenne Laras Mutter die Adresse und den Namen der Klassenlehrerin – und somit Laras Schule.

Furcht vor erneuter Entführung durch die Mutter

Dabei erhoffte sich Karzelek vom Amtsgericht Schutzmaßnahmen wie ein Annäherungsverbot für Laras Mutter und Großmutter außerhalb der gerichtlich geregelten Umgangszeiten und Personenschutz. „Doch laut Gericht gebe es keine konkrete Gefahr für eine Entführung“, berichtet Karzelek. Das macht ihn „sauer“, er sieht die Sache anders: „Die Mutter wird immer versuchen, Lara in ihre Gewalt zu bringen“, ist Thomas Karzelek überzeugt. Sie behaupte, dass sie in Polen das Sorgerecht habe. Auch habe die polnische Justiz den Antrag der Großmutter auf Inobhutnahme von Lara noch nicht zurückgewiesen – obwohl Polen nicht zuständig sei.

Im Jahr 2014 hatte das Ludwigsburger Amtsgericht dem Vater das alleinige Sorgerecht übertragen. Doch Polen ignoriere die deutschen Sorgerechtsbeschlüsse. Mit entsprechenden Schutzmaßnahmen wäre seine Lage im Falle einer tatsächlichen Entführung „um Welten besser“, meint Karzelek. Er hofft, dass eine Petition an den Bundespräsidenten hilft: „Damit man uns endlich in Deutschland schützt und diplomatisch den Sachverhalt mit Polen klärt“, sagt der Vater.

Streit um Mädchen geht schon über Jahre

Sieben Jahre dauert der Streit um Lara nun, zwischen Joanna S., der polnischen Mutter, und Thomas Karzelek, dem deutschen Vater. Oder: zwischen Polen und Deutschland. 2011 trennten sich die Eltern, 2014 entführte die Mutter das Kind aus Ditzingen nach Polen. Die Behörden dort taten alles, um die Herausgabe an den Vater zu verhindern. Im Mai dieses Jahres nahm Karzelek die Sache selbst in die Hand und verschleppte Lara von Stettin nach Deutschland. Die polnische Justiz wirft Karzelek unter anderem vor, bei seiner Rückholaktion handle es sich um Freiheitsberaubung. Auf dieser Basis erwirkte Polen jenen internationalen Haftbefehl gegen Karzelek und verlangt seine Auslieferung, um ihn vor Gericht stellen zu können.

Gericht stellt Schutz der Familie vor Interesse der Polen

Das Oberlandesgericht in Hamm indes stellt mit seinem Urteil Laras Wohl und das der Familie über die Forderung der polnischen Behörden, die laut Gericht vor allem mit den Grundrechten Deutschlands unvereinbar ist. Es ist der Meinung, dass eine Auslieferung an das Nachbarland einen „nicht zu rechtfertigenden Eingriff in das grundrechtlich geschützte Familienleben“ darstellen würde. Sie wäre „eine weitere physische und psychische Belastung“ Laras mit „nicht vorhersehbaren“ Folgen und würde damit das Kindswohl in einer „rechtlich nicht zulässigen Weise nachhaltig beeinträchtigen“.

Karzelek habe sich nicht der Entziehung Minderjähriger strafbar gemacht, weil er das alleinige Sorgerecht sowie Umgangsrecht für Lara habe. Die Nötigung der Mutter Laras sei „zweifelhaft“, eine „Freiheitsberaubung zum Nachteil des Kindes“ könne das Gericht nicht feststellen.