Wenn Menschen in Belgien im Sommer frösteln, kann das Wetter in Italien, Griechenland und auf dem Balkan sehr warm und trocken sein. Ursache ist ein Starkwindband über Europa. Wie sehr dieser Jetstream das Leben beeinflusst, zeigt eine neue Studie.
Der Polarfront-Jetstream bestimmt maßgeblich das europäische Wetter mit. Und das schon seit Jahrhunderten, wie ein Forscherteam über eine Analyse von Baumringen nachgewiesen hat. Vergangene Muster des Jetstreams spiegeln sich demnach in historischen Dokumenten etwa zu Pest-Epidemien und Missernten wider.
Was sind Jetstreams?
Jetstreams sind Windbänder in der oberen Atmosphäre, die in der nördlichen und südlichen Hemisphäre um den Globus wandern und sich periodisch verschieben. Der Polarfront-Jetstream zwischen dem 40. und 60. Breitengrad auf der Nordhalbkugel (etwa Madrid und Oslo) beeinflusst die Bewegung von Hoch- und Tiefdruckgebieten und damit das Wetter in Europa.
Windbänder beeinflussen Sommerwetter
Bekannt ist schon länger, dass der Jetstream unter anderem das Sommerklima in Europa mitbestimmt: Ein schwächerer und welliger Jetstream kann dann zu länger anhaltenden Wetterlagen führen. Das kann Hitzewellen, Dürreperioden oder anhaltende Regenphasen begünstigen. Zudem kann es stärkere regionale Wetterunterschiede geben, weil die Ausschläge des Jetstreams im Sommer größer sein können.
Auf Kuba und in Florida hinterließ Hurrikan „Ian“ heftige Schäden, es gab Tote und Verletzte. Die Attributionsforschung ermittelt, welchen Einfluss der menschengemachte Klimawandel auf die Häufigkeit solcher Wetterextreme hat.
Daten zu dem Starkwindfeld werden seit den späten 1940er-Jahren erfasst, wie es in der im Fachmagazin „Nature“ vorgestellten Studie heißt. Bei einem Besuch in Belgien kam Valerie Trouet von der University of Arizona in Tucson auf die Idee, die Analyse von Baumringen zu nutzen, um viel weiter in die Geschichte des Polarfront-Jetstreams schauen zu können.
Jahresringe als Klimaarchiv
Bäume legen jedes Jahr einen Ring im Stamm an, der im Frühjahr aus weniger dichtem Holz und im Sommer aus dichterem Holz besteht. Durch die Analyse von Baumringen unter dem Mikroskop können Forscher ein Archiv vergangener Klimaphasen erstellen.
Für die aktuelle Analyse berücksichtigte das Team Baumringproben aus verschiedenen Teilen Europas für Näherungswerte der Temperatur. So rekonstruierte es die Ausprägung des Jetstreams in den vergangenen 700 Jahren, von 1300 bis 2004. „Wir bringen winzige, subzelluläre Zellwandmerkmale im Holz mit atmosphärischen Winden in Verbindung, die viele Kilometer über der Erde durch die Atmosphäre wehen, was faszinierend ist“, erklärt Trouet.
Lage des Jetstreams entscheidet über Niederschläge
Ellie Broadman, die an der Analyse im Labor für Baumring-Forschung der University of Arizona beteiligt war, erläutert: „Wenn sich der Jetstream in einer extrem nördlichen Position befindet, kommt es zu kühleren und feuchteren Bedingungen über den Britischen Inseln und zu wärmeren und trockeneren Bedingungen über dem Mittelmeer und dem Balkan.“ Das stehe im Zusammenhang zu Phänomenen wie den katastrophalen Überschwemmungen in Mitteleuropa kürzlich.
Heißere Bedingungen über dem Balkan führen den Forschern zufolge dazu, dass mehr Feuchtigkeit aus dem Mittelmeer verdunstet und sich weiter nördlich niederschlägt. Umgekehrt zieht der Jetstream, wenn er weiter nach Süden wandert, wärmere und trockenere Luft über die Britischen Inseln und drückt kühlere Temperaturen und mehr Feuchtigkeit in Richtung Südosteuropa.
Historische Berichte zu Ernten und Epidemien
Das Team zeigt zudem, dass sich vergangene Muster des Jetstreams auf gesellschaftlicher Ebene widerspiegeln. Sie wurden in historischen Dokumenten festgehalten. „Europa hat eine lange Geschichte der schriftlichen Aufzeichnung von Dingen“, erläutert Trouet.
Mönche in Irland hätten zum Beispiel im 7. Jahrhundert, also im frühen Mittelalter, angefangen, Stürme aufzuzeichnen. Auch jahrhundertelange Aufzeichnungen über Weinernten, Getreidepreise und Epidemien gebe es.
Die Kombination aus Baumring-Auswertung und historischen Dokumenten zeigt demnach, dass die Schwankungen des Jetstreams die europäische Gesellschaft in den letzten 700 Jahren erheblich beeinflussten.
„Epidemien traten auf den Britischen Inseln häufiger auf, wenn der Jetstream weiter nördlich verlief“, erläutert Trouet. „Weil die Sommer nass und kalt waren, blieben die Menschen in ihren Häusern, und die Bedingungen waren der Verbreitung von Krankheiten förderlich.“
Von 1348 bis 1350 habe in Irland zum Beispiel die Pest – auch bekannt als Schwarzer Tod – gewütet. Zu dieser Zeit habe sich der Jetstream in einer extremen, weit nördlichen Position über Europa befunden.
Bessere Klimamodelle
Das Team um Trouet betont zudem die Bedeutung der neuen Daten für eine Verbesserung von Klimamodellen zur Vorhersage des künftigen Klimas. „Wenn man nur Daten aus 60 Jahren zur Verfügung hat, ist das schwierig“, betont Broadman.
Mit einer Rekonstruktion über 700 Jahre lasse sich die Vergangenheit nun mit dem vergleichen, was passierte, seit die Menschheit Treibhausgase in die Atmosphäre bläst. Es gebe eine Vorstellung für die Zukunft, wenn man sich anschaue, was allein schon die natürliche Variabilität des Jetstreams für Folgen für die Menschen in Europa hatte.
Bekannt ist bereits, dass die Erwärmung der Arktis im Zuge des Klimawandels den Temperaturunterschied zwischen den Polarregionen und den mittleren Breiten verringert, was den Jetstream abschwächt. Ein schwächerer Windstrom neigt dazu, stärker zu „schlingern“, was zu ausgeprägteren Nord-Süd-Kurven führt. Das wiederum kann zu häufigeren und intensiveren Extremwetterereignissen im Sommer wie längeren Hitzewellen oder Starkregenphasen beitragen.
Unguter Trend
Die Wissenschaftler um Trouet beobachteten zudem den Trend, dass sich der Jetstream allmählich nach Norden verlagert, unabhängig von seinen saisonalen oder kurzfristigeren Schwankungen.
„Wenn man unsere Rekonstruktion mit Ernteausfällen kombiniert, sieht man, dass dieser Trend wahrscheinlich zu Problemen mit großen Getreidekulturen und anderen Arten von Wetterextremen führt“, erklärt Trouet. „Das gibt einen Vorgeschmack auf die Art von Extremereignissen und die gesellschaftlichen Folgen, die wir erwarten könnten, wenn sich dieser Trend fortsetzt.“
Wenn sich der Jetstream in stark nördlicher Position befand, habe es wegen der dann trocken-heißen Bedingungen in der Vergangenheit auch wesentlich häufiger Waldbrände auf dem Balkan gegeben. „Und das ist genau das, was wir auch in diesem Sommer beobachten.“