Eingeschränkte Teilzeit? Wie Kretschmann die Lehrer auf die Palme bringt

Winfried Kretschmann sorgt für Unruhe in der Lehrerschaft. Foto: imago

Der Ministerpräsident hat eine höhere Arbeitszeit für Lehrer in Teilzeit angeregt. Das missfällt den Pädagogen. Dennoch kann es zu Änderungen kommen.

Die Twitter-Meldungen haben sich überschlagen: „In einer Situation, in der alle am Limit sind, sagt der Ministerpräsident, arbeitet ein bisschen mehr. Das kommt nicht gut an in den Klassenzimmern.“ So beschreibt Matthias Schneider, der Geschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die Reaktion der Lehrerinnen und Lehrer im Land auf eine Äußerung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Der Regierungschef hatte bei einer Veranstaltung der Stuttgarter Zeitung mit Blick auf teilzeitbeschäftigte Lehrer gesagt: „Wenn die alle eine Stunde mehr arbeiten würden, hätte ich tausend Lehrer mehr, die ich dringend brauche.“

 

Kretschmann hält Regelungen für großzügig

Am Tag danach beschwichtigte Kretschmann. „Das war eine spontane Äußerung, die ich besser gelassen hätte.“ Es sei halt „immer schlecht, wenn man als Ministerpräsident laut denkt“. Er wolle nicht die Teilzeit der Lehrer oder gar die Vereinbarkeit von Familie und Beruf infrage stellen. Aber großzügig seien sie schon, die Teilzeitregelungen für Lehrer, dabei blieb der Ministerpräsident.

Deshalb beschäftige sich die Landesregierung nun auch mit Überlegungen zu einer Mindestarbeitszeit von Beamten, berichtete Kretschmann. Derzeit liegt die Untergrenze bei 25 Prozent der Arbeitszeit, also zehn Stunden in der Woche. Demnach soll eventuell neu geregelt werden, unter welchen Voraussetzungen Arbeitszeiten von weniger als 50 Prozent genehmigt werden sollen. Der Philologenverband schätzt, dass zwischen 60 Prozent und zwei Dritteln aller Lehrkräfte in Teilzeit arbeiten.

Mehr als 9000 Flüchtlingskinder an den Schulen

Lehrer sind an den Schulen schon seit Jahren knapp. In den vergangenen zwei Monaten sind laut Kretschmann mehr als 9000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine an den Schulen in Baden-Württemberg dazugekommen. „Man muss überlegen, wie die betreut und unterrichtet werden können.“ Man sei jetzt „in einer schweren Krise“. Da sei allen, auch den Gewerkschaftsfunktionären, angeraten, „von Reflexen abzusehen und nicht das übliche Latein abzuspulen“.

Gewerkschaften kritisieren Realitätsferne

Gerhard Brand, der Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), sieht es eher andersherum: „Es ist der übliche Reflex, wenn es brennt, zu sagen, die Lehrerinnen und Lehrer sollen eine Stunde mehr arbeiten.“ Der Idee erteilt er rundheraus die Rote Karte. „Es ist die völlige Ignoranz dessen, was an den Schulen in den letzten Jahren alles geleistet wurde.“ Auch Monika Stein, die Landesvorsitzende der GEW, lässt es sich nicht nehmen zu sagen, „Debatten über Arbeitszeiterhöhungen sind gerade völlig fehl am Platz, wenn alle in den Kitas und Schulen am Ende ihrer Kräfte sind“. Sie erwartet „sinnvolle Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel in Bildungseinrichtungen“. Ralf Scholl, der Landeschef des Philologenverbands, erinnert daran, dass es fast immer handfeste Gründe gebe, „warum die Kolleginnen und Kollegen in Teilzeit arbeiten und damit auf einen Teil ihres Gehalts verzichten“. Viele Lehrkräfte seien erschöpft und könnten nicht noch mehr arbeiten.

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Timm Kern, der bildungspolitische Sprecher der Landtags-FDP, nennt die Aussagen Kretschmanns „selbstherrlich und zugleich realitätsfern“. Er legt dem Ministerpräsidenten „dringend nahe, auf mehr Stellen für Lehrkräfte sowie ein funktionierendes Personalmanagement zu setzen“.

Lehrer stocken bereits auf

Ideen gibt es seit Längerem. Schon die damalige Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hatte in den Jahren 2017/18 im Kampf gegen Lehrermangel auf Aufstockungen bei den Teilzeitkräften gesetzt. Nach wie vor bittet das Kultusministerium die Teilzeitkräfte ihre Arbeitszeit aufzustocken. Das haben zu Beginn des aktuellen Schuljahrs 2000 Lehrkräfte laut Ministerium getan. So seien 210 zusätzliche Deputate gewonnen worden, im Schuljahr zuvor habe es Aufstockungen im Wert von 300 Stellen gegeben.

Die GEW hält die Maßnahme dennoch für wenig erfolgreich und verspricht sich mehr davon, etwa die Altersermäßigung für Lehrkräfte zu erhöhen und so ältere Pädagogen länger im Beruf zu halten. Auch müssten nach wie vor mehr Lehrer ausgebildet werden. Doch diese Vorschläge der GEW würden von der Landesregierung seit Jahren nicht beachtet, bemängelt Stein.

Der Philologenverband gibt zu bedenken, dass die durch Mehrarbeit gewonnenen Stellen auch finanziert werden müssten. Er hat bereits verlangt, in einem Nachtragshaushalt 4000 zusätzliche Stellen für die Integration der ukrainischen Flüchtlingskinder bereitzustellen.

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