Die Dieselkrise und der Geländewagen-Boom gefährden die Einhaltung strengerer CO2-Ziele. Wenn das Bundesverwaltungsgericht am Donnerstag entscheidet, dass Städte Fahrverbote verhängen dürfen, sind Dieselautos wohl noch weniger gefragt als bisher.

Stuttgart - Die Automobilhersteller warten gespannt, welche Entscheidung das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am Donnerstag trifft. Wenn die Richter sofortige Fahrverbote in der City verlangen sollten, wären Dieselautos wohl noch weniger gefragt als bisher. Damit würden die Autobauer auch noch mehr Gegenwind bei ihren Bemühungen erhalten, die ab dem Jahr 2021 geltenden strengeren Grenzwerte für Kohlendioxid (CO2) in Europa zu erreichen. Denn Dieselautos haben einen um etwa 15 Prozent niedrigeren Verbrauch als Benziner und stoßen damit weniger klimaschädliches CO2 aus als Benziner.

 

Politischer Kompromiss – vor allem zugunsten der Premiumhersteller

Ab 2021 sollen neue Personenwagen in der Europäischen Union im Schnitt nicht mehr als 95 Gramm CO2 je Kilometer ausstoßen. Für jeden Hersteller gibt es dabei allerdings individuelle Ziele, unter anderem wird dabei auch das Gewicht der Fahrzeuge mit einbezogen.

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Dies war ein politischer Kompromiss – vor allem zugunsten der großen deutschen Premiumhersteller Audi, BMW und Daimler, die viele schwere Wagen verkaufen. Daimler beispielsweise muss im Schnitt 100,7 Gramm je Kilometer erreichen. Für jedes Gramm darüber müssen 95 Euro je verkauftem Fahrzeug gezahlt werden.

Bereits im vergangenen Jahr haben die Diskussion über drohende Fahrverbote und sinkende Wiederverkaufswerte dazu geführt, dass Selbstzünder immer weniger gefragt waren. Und für dieses Jahr zeichnete sich bereits eine Fortsetzung des Abwärtstrends ab. Peter Fuß, Autoexperte beim Beratungsunternehmen EY, rechnet bisher im laufenden Jahr mit einem Rückgang des Dieselanteils bei den Pkw-Neuzulassungen in Deutschland auf 33 Prozent – ein weiteres Minus von etwa sechs Prozentpunkten allein in einem Jahr.

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„Dies torpediert die Anstrengungen der Autohersteller zur Reduzierung der CO2-Emissionen“, sagt Stefan Bratzel, der Chef des Forschungsinstituts CAM in Bergisch Gladbach. In Deutschland, dem größten EU-Automarkt, hat es im vergangenen Jahr eine Trendwende gegeben, die Bratzel als alarmierend bezeichnet. Nachdem die Fortschritte bei der Senkung der Emissionen schon in den Jahren zuvor immer kleiner geworden sind, stiegen die Emissionen im vergangenen Jahr nach Angaben des Kraftfahrtbundesamts im Vergleich zum Vorjahr erstmals wieder leicht – von 127,4 Gramm auf 127,9 Gramm.

Dazu hat auch beigetragen, dass spritdurstige schwere Geländewagen immer stärker gefragt sind. In Deutschland waren im vergangenen Jahr rund 24 Prozent der Pkw-Neuzulassungen Geländewagen. Damit hat sich der Marktanteil seit 2010 mehr als verdoppelt. „Die Klimatrendwende ist ein ernstes Warnsignal für die Automobilhersteller und die Politik“, urteilt der Wissenschaftler Bratzel und fordert: „Die Anstrengungen müssen erheblich erhöht werden, um die EU-Grenzwerte zu erreichen und Strafzahlungen zu verhindern.“

Löwenanteil der Strafzahlungen entfiele auf VW

Nach einer aktuellen Studie des britischen Beratungsunternehmens PA Consulting Group drohen den deutschen Autobauern aus heutiger Sicht hohe Strafzahlungen. Der Volkswagen-Konzern, BMW und Daimler müssten nach dieser Prognose für das Jahr 2021 insgesamt fast zwei Milliarden Euro Strafe zahlen. Der Löwenanteil entfiele dabei mit 1,2 Milliarden Euro auf VW. BMW müsste danach eine halbe Milliarde berappen. Auf Daimler würden danach Strafzahlungen von 200 Millionen Euro zukommen.

Die deutschen Autobauer zeigen sich dennoch zuversichtlich, das für 2021 gesteckte Ziel zu erreichen. „Wir gehen davon aus, dass wir es schaffen“, sagt ein BMW-Sprecher. Audi-Chef Rupert Stadler hat erst vor kurzem bekräftigt: „Strafzahlungen sind keine Option.“ Und auch Daimler-Chef Dieter Zetsche ließ auf der Jahrespressekonferenz Anfang Februar keine Zweifel erkennen. „Wir werden alle Stellhebel einsetzen und haben die klare Erwartung, die für 2021 gesetzten Ziele zu erreichen“, sagte der Daimler-Chef.

Bei Daimler sind spritdurstige Geländewagen die wichtigsten Treiber bei der Fahrt von Absatzrekord zu Absatzrekord. Im vergangenen Jahr legten sie um 14 Prozent zu. Mehr als ein Drittel der verkauften entfallen bereits auf dieses Segment. Dies hat auch dazu beigetragen, dass der durchschnittliche CO2-Ausstoß der in Europa verkauften Wagen erstmals seit Jahren wieder gestiegen ist – und zwar von 123 Gramm auf 125 Gramm je Kilometer.

Daimler könne froh sein, den Smart zu haben

Autoexperten rechnen damit, dass Daimler ebenso wie die Wettebewerber Strafzahlungen um jeden Preis verhindern wollen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Premiumhersteller gibt, der sich erlaubt, dieses Ziel zu reißen“, meint etwa Ferdinand Dudenhöffer, der Chef des Duisburger Forschungsinstituts CAR. „Ich weiß nicht, ob die Kunden das verzeihen würden“, so Dudenhöffer. Thomas Göttle, Chef der Automobilsparte beim Beratungsunternehmen PA Consulting, sieht gute Chancen, dass Daimler die „relativ kleine Lücke“ bis 2021 noch schließen und die EU-Vorgaben erreichen könnte.

Daimler könne heute froh sein, dass der Autobauer den Smart habe, „der eine signifikante Auswirkung auf den Flottenverbrauch hat“, sagt Göttle. Die EU-Ziele gelten nämlich für die beiden Marken Mercedes-Benz und Smart gemeinsam. Zudem hat Daimler nach Einschätzung des Beraters ein sehr gutes Motoren-Portfolio. „Der neu entwickelte Dieselmotor OM 654 ist ein ganz herausragendes Sahnestückchen, was sich in den nächsten Jahren noch stärker bei den Emissionswerten zeigen wird, weil der Motor nun in immer mehr Modellen eingeführt wird“, erläutert Göttle. Daimler habe auch frühzeitig auf den Trend zur Elektromobilität gesetzt – zunächst mit Plug-in-Hybriden. Die Elektroautofamilie EQ komme zwar spät, werde aber gleichwohl ebenfalls einen guten Beitrag leisten, zumal die Elektrofahrzeuge in einer Übergangszeit bis 2023 überproportional bei den Emissionswerten angerechnet würden, so Göttle. Im nächsten Jahr soll der Geländewagen EQC als erstes Modell der neuen E-Auto-Familie der Stuttgarter starten. Bereits bis 2022 sollen dann in raschem Takt insgesamt zehn batterieelektrische Autos auf die Straße kommen. Darin sind neben der EQ-Familie drei Varianten des Smart enthalten. Die Kleinwagenmarke soll von 2020 an in Europa nur noch Elektrofahrzeuge verkaufen. CAR-Chef Dudenhöffer begrüßt dies: „Der Smart könnte zum Rettungsanker für Mercedes werden“, urteilt der Wissenschaftler.

Batteriekosten sollen sinken

Für das Beratungsunternehmen PA Consulting Group spielt der Preis eine wichtige Rolle für den Erfolg der Elektroautos. „Die Autohersteller müssen versuchen, den Kunden mit einem attraktiven Preis zu gewinnen und so etwa Einspareffekte, die es bei den Batteriekosten gibt, voll an die Kunden weiterzugeben, ohne den Wiederverkaufswert aus den Augen zu verlieren“, erläutert der PA-Consulting-Experte Göttle. Die Batteriekosten sollen durch größere Stückzahlen und technischen Fortschritt in den kommenden Jahren deutlich sinken.

Göttle weist darauf hin, dass VW das geplante kompakte Elektroauto I.D. zum Preis eines Diesel-Golf anbieten wolle. „Damit wird VW mit dem Elektroauto zwar nicht so viel verdienen wie mit einem Golf, aber ohne eine solche aggressive Preisstrategie wird es nicht gelingen, viele Kunden für das Elektroauto zu begeistern“, meint der Berater.