Rom - Man hat es in den letzten Tagen bei jedem persönlichen Gespräch feststellen können: Sobald die Sprache auf Mario Draghi kommt, huscht ein Lächeln der Zuversicht über die Gesichter der Italiener. Das Land war schon vor der Nominierung Draghis zum neuen Ministerpräsidenten stolz auf den „Retter des Euro“ gewesen – aber die ruhige und gleichzeitig bestimmte Art des ehemaligen EZB-Chefs bei den Parteiengesprächen im Hinblick auf die Bildung seiner Regierung hat sein Ansehen noch einmal beträchtlich gesteigert.
Die Beliebtheit des 73-jährigen Römers ist gestern in einer neuen Umfrage bestätigt worden: 85 Prozent der Befragten zeigten sich zufrieden mit der Nominierung Draghis zum neuen Ministerpräsidenten. Ein Allzeit-Rekord. Die Italiener setzen schon fast messianische Hoffnungen in ihren neuen Premier. Die politischen Voraussetzungen für ein erfolgreiches Regieren scheinen derweil recht gut zu sein: Draghi hat im Parlament die Unterstützung aller großen Parteien. Die Opposition besteht nur aus den postfaschistischen Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni und voraussichtlich einer Handvoll Fünf-Sterne-Abgeordneten, die sich nicht mit dem – wie sie ihn nennen – „Apostel der Eliten“ ins Regierungsboot setzen wollen. Die Koalition ist politisch so breit abgestützt, dass die einzelnen Parteien numerisch zu schwach sind, um Draghi sabotieren zu können.
Kleine Parteien haben kein Erpressungspotenzial
Der neue Premier wird deshalb kaum Kompromisse eingehen – und er hat dies den Parteien in den Konsultationen auch zu verstehen gegeben: Wem meine Linie nicht gefällt, dem ist es freigestellt, seine eigenen Wege zu gehen.
Einen Kommentar zu Draghis Mission Regierung finden Sie hier.
Gegenüber dem letzten „Retter der Nation“, Mario Monti, hat Draghi außerdem einen entscheidenden Vorteil: Während Monti im Jahr 2011 vom damaligen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano bestellt worden war, um zu sparen und das Rentenalter zu erhöhen, kann Draghi finanziell aus dem Vollen schöpfen: Seiner Regierung werden die 209 Milliarden Euro aus dem europäischen Corona-Hilfsfonds zur Verfügung stehen. Der Reformer und Sparer Monti war nach wenigen Monaten unbeliebt geworden.
Das wird Draghi kaum passieren – im Gegenteil: Die Aussicht, beim großen Geld-Verteilen mitzubestimmen und politisch davon zu profitieren, hat es insbesondere der dem Führer der rechtsnationalen Lega, Matteo Salvini, erleichtert, sich an einer Regierung zu beteiligen, die er ursprünglich verhindern wollte.
Es gibt viel Geld zu verteilen
Meinungsverschiedenheiten zur Verwendung der Corona-Hilfsgelder hatten zum Sturz der Regierung von Giuseppe Conte geführt – unter Draghi werden sie voraussichtlich der Kitt sein, der die heterogene Koalition zusammenhält. Die Neuformulierung des Plans zur Verwendung der Zuschüsse und Kredite der EU wird die erste große Herausforderung sein, bis 30. April müssen die Anträge in Brüssel eingegangen sein.
Die bisherigen Pläne der Regierung Conte hatten dort Irritationen ausgelöst: Sie enthielten zu viele Zuschüsse nach dem Gießkannenprinzip und zu wenige zukunftsgerichtete, strukturwirksame Projekte. Draghi wird die inzwischen nachgebesserten Pläne Contes zwar nicht völlig über den Haufen werfen – aber er wird bei seinen Korrekturen keine Rücksichten auf einzelne Klientel- und Interessengruppen nehmen, wie dies die Vorgängerregierung getan hat.
Draghi fordert seit Jahrzehnten Strukturreformen
Seine politische Absichten hat Draghi kaum aufgedeckt. Um davon eine Vorstellung zu erhalten, reicht es aber, seine früheren Mahnungen als Notenbankchef nachzulesen. Draghi fordert seit fast zwei Jahrzehnten Reformen auf drei Sektoren: Bei der Bürokratie, die mit unsinnigen Gesetzen und schikanösen Vorschriften jede Eigeninitiative im Keim erstickt, bei der Justiz, die mit Verfahrensdauern von über zehn Jahren die Rechtssicherheit in Frage stellt und ausländische Investoren in die Flucht schlägt, sowie beim Steuersystem, wo nicht mehr der Faktor Arbeit vor allem belastet werden soll.
Ein Vertreter der Sozialdemokraten sagten nach einer Konsultation mit Draghi, er plante ein „governo anti-depressivo“, also eine „Regierung gegen die Depression“". Angesichts der großen Hoffnungen, die Draghi ausgelöst hat, ist das vielleicht die passendste Bezeichnung.