Die Bundesregierung hat sich zwar mit SPD und Grünen verständigt, doch vom Bundesverfassungsgericht aus Karlsruhe droht der Kanzlerin Angela Merkel schon neues Ungemach.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Zuletzt verlief die Verständigung über eine ganz Große Koalition in der Euro-Rettungspolitik doch schneller als geplant. Am Donnerstag einigten sich die Regierungsfraktionen von Union und FDP mit den oppositionellen Sozialdemokraten und Grünen auf den Fiskalpakt und die Bedingungen, unter denen sie diesem zustimmen werden. Der Vertrag soll mehr Haushaltsdisziplin in die Eurozone bringen, aber auch das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Bei einem finalen Spitzentreffen im Kanzleramt kam die Regierung der Opposition bei der Finanzmarktsteuer entgegen.

 

„Die Bundesregierung hat sich vom reinen Sparkurs verabschiedet“, sagte der Grünen-Chef Cem Özdemir beim Verlassen des Kanzleramts. Fraktionschef Jürgen Trittin betonte, dass nicht mehr allein auf Sparen gesetzt werde: „Die Zeit der Austerität in Europa geht vorbei.“ Das wird von der Koalition jedoch in Abrede gestellt. „Die Opposition musste einsehen, dass sie nichts mehr erreichen konnte, wenn sie das Rad weiterdreht“, heißt es aus Unionskreisen. Volker Kauder, der Fraktionschef von CDU und CSU, bezeichnete die Einigung als wichtige Botschaft für Europa und ein Signal an die Märkte, „dass wir in Europa zusammenhalten“. Als wichtiges Ergebnis hob Kauder hervor, dass eine Vergemeinschaftung von Schulden etwa über einen Tilgungsfonds verhindert worden sei.

Parteien sind zufrieden

Auch FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle betonte, die Koalition habe Fehlentwicklungen wie die Vergemeinschaftung von Schulden und Eurobonds verhindern können. Die FDP muss aber eine Finanztransaktionssteuer akzeptieren, die sie lange unterhalb aller EU-Staaten abgelehnt hatte. Zudem wurde eine ursprünglich maßgeblich von den Liberalen ausgehandelte Textpassage zur Verhinderung von Nachteilen für Riester-Sparer und Kleinanleger im Schlussspurt abgeschwächt. Brüderle betonte gleichwohl, nachteilige Wirkungen einer solchen Steuer hätten vermieden werden können, etwa die Verlagerung von Arbeitsplätzen an andere Standorte. Am Ende sei eine Einigung aus nationalem und europäischem Patriotismus zwingend geboten gewesen. Auch CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt zeigte sich zufrieden. Ein Tilgungsfonds für Altschulden oder eine gemeinsame Haftung wären das Letzte gewesen, was ihre Partei akzeptiert hätte.

Die Elemente des Wachstumspaktes

Und das sind die zentralen Elemente des vereinbarten Wachstumspaktes.

Steuer Koalition und Opposition haben sich auf eine Finanzmarkttransaktionssteuer verständigt. Die Erlöse sollen einen Beitrag leisten, um die Kosten der Finanzkrise zu bewältigen. Die Steuer soll „möglichst alle Finanzinstrumente umfassen“, also den Aktienhandel, Anleihen, Investmentanteile, Devisentransaktionen und Derivatekontrakte. Sie soll so konstruiert sein, dass Ausweichreaktionen vermieden werden. Ziel ist, negative Auswirkungen auf Anlagen zur Altersvorsorge, etwa die Riester-Rente, zu vermeiden. Auch Kleinanleger und die Realwirtschaft sollen geschont werden. Ziel ist nur, „unerwünschte Formen von Finanzgeschäften zurückzudrängen“, heißt es in dem Kompromisspapier. Die Steuer soll auch eingeführt werden, wenn nicht alle Eurostaaten zustimmen, und noch 2012 realisiert sein.

Wachstumsinvestitionen Mittel aus den EU-Strukturfonds, die bisher nicht verbraucht sind, sollen so eingesetzt werden, dass Wirtschaftswachstum und Beschäftigung gefördert werden. Für künftige EU-Haushalte sollen neue Schwerpunkte in diesem Sinne gesetzt werden.

Investitionen Die Bundesregierung will sich dafür einsetzen, das Eigenkapital der Europäischen Investitionsbank um zehn Milliarden Euro aufzustocken. Damit soll das Institut in die Lage versetzt werden, in den nächsten vier Jahren insgesamt 60 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionskrediten zu vergeben.

Projektanleihen Damit sollen förderungswürdige Projekte in einem Volumen von insgesamt 18 Milliarden Euro finanziert werden. Aus dem EU-Budget sollen diese Anleihen mit einer Milliarde Euro abgesichert werden.

Jugendgarantien Deutschland wird sich dafür einsetzen, dass Jugendliche in ganz Europa binnen vier Monaten nach dem Verlassen der Schule einen Ausbildungsplatz, ein Praktikum oder einen qualifizierten Job erhalten. Dafür sollen zusätzliche Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds bereitgestellt werden.

Lohnzuschüsse Sie sollen Unternehmen einen Anreiz bieten, junge Leute einzustellen oder ihnen einen Ausbildungsplatz anzubieten. Die Zuschüsse werden allerdings nur befristet bezahlt und zudem nur in den EU-Staaten mit Jugendarbeitslosigkeit.

12000 Bürger wollen klagen

Gegen den Euro-Rettungsschirm ESM wollen die Linkspartei und mehr als 12 000 Bürger vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Gregor Gysi, der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, sagte: „Fiskalpakt und ESM greifen so tief in die grundgesetzlich verbrieften Rechte des Parlaments ein, dass das Hauruckverfahren der Bundesregierung einem Anschlag auf die Demokratie gleichkommt.“ Fiskalpakt und ESM zerstörten mit ihrem „Kürzungsdiktat“ und der Orientierung auf die Bankenrettung „die Idee eines demokratischen, sozialen, freien Europas.“

Die Verfassungsbeschwerden von mehr als 12 000 Einzelpersonen sind von dem Verein „Mehr Demokratie“ initiiert worden. Eine der Prozessbevollmächtigten dieser Bürgerinitiative ist die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD). Auch sie beklagt die Hektik, mit der die Gesetze durch Bundestag und Bundesrat gebracht werden sollen. Dies sei „absurd und untragbar“.

Juristisch geht es bei beiden Klagen vor allem um die Budgethoheit des Parlaments. Rechtsexperten argumentieren in diesem Zusammenhang, dass sich Deutschland mit dem Fiskalpakt und dem Rettungsschirm auf Ewigkeit binde. Eine einseitige Kündigung sei nicht vorgesehen. Die Risiken würden auf künftige Generationen abgewälzt, die dann im Ernstfall keine Entscheidungsfreiheit mehr hätten.