Das Mitgliedervotum über die Große Koalition steht noch aus. In der baden-württembergischen SPD sind die Meinungen zum Vertrag geteilt, aber die Skepsis gegenüber Martin Schulz ist groß.

Stuttgart - In der baden-württembergischen SPD überlagern die Meldungen, dass Parteichef Martin Schulz nun doch in das Kabinett Merkel einziehen will, die Auseinandersetzungen mit den Inhalten des Koalitionsvertrags zur großen Koalition im Bund. Einzig die Landesvorsitzende Leni Breymaier bezieht sich in einer ersten Stellungnahme ausschließlich auf den Vertrag. Von dem allerdings zeigt sich Breymaier überzeugt: Am Abend der Bundestagswahl hätte sie „nicht gedacht, dass in der neuen Legislaturperiode des Bundestages so viel für die Menschen auch in Baden-Württemberg bewegt wird. Die Vorhaben zur Rente, die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung, die Stärkung des sozialen Wohnungsbaus, die Pflege, Infrastruktur, schnelles Internet und vieles mehr – das geht alles in die richtige Richtung“, lobt die Vorsitzende der Südwest-SPD. Mit Blick auf das bevorstehende Mitgliedervotum sagt Breymaier: „Ich kann diesen Vertrag den SPD-Mitgliedern überzeugt vorstellen, freue mich auf die Debatten und werbe für die Annahme.“ Später am Tag erklärt Breymaier: „Martin Schulz ist noch kein Jahr Parteivorsitzender. Ich hätte mir gewünscht, er würde es länger bleiben“. Andererseits, ergänzte sie mit Blick darauf, dass Andrea Nahles Parteichefin werden soll, „habe ich nach über 150 Männerjahren an der Spitze der SPD auch nichts gegen eine Frau ganz vorn.“

 

Stoch skeptisch wegen Schulz

Inhaltlich überzeugt, aber äußerst skeptisch bezüglich der Personalie Schulz, zeigt sich dagegen Andreas Stoch, der Vorsitzende der SPD im Landtag von Baden-Württemberg. Er erklärte gegenüber unserer Zeitung, inhaltlich weise der Koalitionsvertrag viele Punkte auf, die die SPD nun umsetzen könne. Zum Beispiel in den Themenfeldern Bildung, Renten oder Pflege. Beim Personal zeigt sich der Landtagsabgeordnete skeptisch. „Ich halte die Entscheidung von Martin Schulz, in die Regierung zu gehen, nach wie vor für schwierig. Ich hätte sie für falsch gehalten, wenn er gleichzeitig das Amt des Parteivorsitzenden hätte behalten wollen“, sagte Stoch. In dem Fall „hätte ich den Mitgliederentscheid für verloren betrachtet“, erklärte Stoch.

Die Bedenken, die Stoch bei Schulz gesehen hätte, sieht er in der Person Andrea Nahles nicht. Die Erneuerung der Partei könne glaubhaft weiterbetrieben werden, wenn Nahles, die als Fraktionsvorsitzende nicht in die Kabinettsdisziplin eingebunden sei, Parteivorsitzende werde. Die Erneuerung der Partei betrachtet Stoch als „bitter nötig“. Die SPD habe in der Vergangenheit kein klares Profil entwickeln können, weil der Parteivorsitzende oft gleichzeitig Regierungsmitglied gewesen sei.

Hilde Mattheis beklagt „regelrechten Coup“

Weniger diplomatisch drückt sich Hilde Mattheis, die Ulmer Bundestagsabgeordnete aus: Fassungslos sei sie, von einem „regelrechten Coup“ spricht sie. „Vertrauen in Vereinbarungen war gestern“, klagt sie. „Ich bin sehr sauer, so kriegt man Glaubwürdigkeit nicht zurück“. Das werde die Mitglieder nicht überzeugen. Sie müssten jetzt gleichzeitig darüber entscheiden, ob Martin Schulz Außenminister werden solle, ob es richtig sei, dass er auf den Parteivorsitz verzichte und ob der Koalitionsvertrag tragfähig sei. „Die Gemengelage ist für die Mitglieder eine große Zumutung, der Ärger ist sehr, sehr groß“, konstatiert Mattheis, die in der SPD zum linken Flügel und zu den Kritikern einer großen Koalition zählt. Inhaltlich fehlt ihr nach wie vor „der große Politikansatz“. Sollte die große Koalition an dem Mitgliederentscheid scheitern, dann böte das Mattheis zufolge „eine realistische Chance, einen Erneuerungsprozess einzuleiten, der uns wieder auffindbar macht.“

Jusos kritisieren Schulz

Abwartend verhält sich Leon Hahn, der Vorsitzende der baden-württembergischen Jusos. Erst einmal wolle er den Vertrag lesen, die Grundbedenken aber blieben. „Die große Überschrift fehlt nach wie vor“, das sei schon jetzt klar. Allerdings seien die Jusos „keine Prinzipienreiter“. Martin Schulz allerdings habe „der SPD mit seinem Hin und Her in den vergangenen Monaten keinen Gefallen getan“. Den Stil, in dem die Personalien verkündet worden seien, empfindet Hahn als „sehr befremdlich“. Es sei Teil des Anspruchs an eine erneuerte SPD gewesen, „Posten nicht mehr im Hinterzimmer auszuhandeln“. Dass Martin Schulz auf den Parteivorsitz verzichtet, sollte er Außenminister werden, betrachtet Hahn als „dringend notwendig“.

Partei „im Streit vereint“

Eine Prognose zum Ausgang des SPD-Mitgliederentscheids wagt auch im Südwesten niemand. Dass die Partei gespalten sei, will niemand offen sagen. „Im Streit vereint“, sieht Hahn seine Genossen in Baden-Württemberg. Niemand mache es sich mit einer Entscheidung leicht. „Alle sind verantwortlich, die Partei zusammenzuhalten.“