Die Leute kaufen immer mehr Bio. Doch an den Naturkostläden, die einst von Pionieren eröffnet worden sind, geht dieser Trend weitgehend vorbei. Drei Beispiele von der Filderebene beleuchten eine umkämpfte Branche.

Filder - Hätte jemand Inge Wick das vor 30 Jahren gesagt, sie hätte es nicht geglaubt. Naturgut, Denn’s, Alnatura, Basic – Bioläden gibt es heute an jeder Ecke, Ökowaren auch beim Discounter. Ob biodynamisch, vegan, gluten- oder plastikfrei: Jeder Trend wird bedient. Inge Wick winkt ab. „Das sind alles Sachen, die wir schon lang machen.“

 

Wir, das ist das 13-köpfige Team des Naturkostenladens Grünschnabel. Seit 1983 gibt es den in Stuttgart-Vaihingen, Inge Wick ist eine von drei Geschäftsführerinnen. „Wir sind entstanden aus der Öko- und Anti-Atom-Bewegung“, sagt sie, eine studierte Gymnasiallehrerin. Ehemals seien sie und ihre Mitstreiter als „Müslis“ verspottet worden, „von genau diesen Ketten, die jetzt genau dieses einzige Wachstum übernehmen, das es noch gibt“.

2017 wurde mit Bio erstmals über zehn Milliarden Euro umgesetzt, hat der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft ermittelt. Daran hatte der Naturkostfachhandel einen Anteil von 29 Prozent, der konventionelle Einzelhandel 59 Prozent. Bio machen heute alle. Die Kleinen wie Grünschnabel setzen dem hochwertige Verbandsware entgegen; unter anderem von den drei großen Anbietern Demeter, Bioland und Naturland, zudem Regionales und Produkte kleiner Manufakturen. „Wir treffen die Vorauswahl, das ist für viele angenehm“, sagt Wick. Hinzu kommt das Persönliche. Man kennt sich. „Ein Großteil sind Stammkunden, die schätzen, dass wir die Pioniere sind und nicht irgendwo aufgesprungen sind.“ Viel verdient worden sei in ihrem Laden noch nie. „Wir sind Überzeugungstäter, anders geht es nicht.“

Früher haben die Kinder gerufen: „Hier stinkt’s!“

Vorreiter auf der Filderebene sind die Eheleute Hässner aus Bonlanden. Vor 40 Jahren eröffneten sie ihren ersten Naturkostladen neben der Filderklinik. „Anfangs kamen nur Anthroposophen. Die Ärzte aus der Filderklinik haben uns gerettet“, sagt Karl Hässner (69), ein Alt-68er. Von anderer Seite habe er seinerzeit nur gehört: Das braucht man nicht, das ist zu teuer. „Kinder haben im Vorbeigehen in den Laden gerufen: Da stinkt’s!“ Heute lachen die Eheleute über so etwas. Sie betreiben erfolgreich die kleine Erdi-Kette mit fünf Geschäften, vier davon auf den Fildern. Die alternativ gestrickten Menschen bildeten zwar bis heute den harten Kundenkern, „die halten den Biobereich zusammen“, aber auch junge Familien kämen. „Das ist eine reine innere Einstellung“, sagt Karl Hässner, „frühere waren es politische Gründe, heute gesundheitliche“.

Michael Schmidt kann das unterschreiben. Er führt mit seiner Frau in Sillenbuch seit 1993 das Naturkostgeschäft Gesunde Kost. „Bei vielen kennst du die Kinder von klein bis groß“, sagt der 60-Jährige. Auch die Schmidts leben vor allem von der Stammkundschaft, profitieren aber auch vom aktuellen Boom. Das Interesse wächst, doch die Konkurrenz ebenso. Einen Steinwurf entfernt hat 2008 die Filiale einer Kette eröffnet. „Wir haben zehn Jahre Naturgut überlebt. Aber wir haben viel Geld verloren“, sagt Michael Schmidt. Schon heute spreche sein Lädle im Öko-Look von gestern Jüngere nicht mehr an. Gerade die Berufstätigen wollten zudem rein, raus. Keine Zeit für Beratung. Doch eben die ist es, auf die Michael Schmidt setzt. Gemüse und Obst gibt es nicht im SB-Bereich. Die Kunden werden bedient.

Ist die große Zeit der kleinen Bioläden vorbei?

Michael Schmidt glaubt: „Die große Zeit der kleinen Bioläden wird vorbei sein.“ Als Grund nennt er nicht etwa den Käufer-, sondern den Verkäuferschwund, Stichwort: Nachfolge. Viele Gründer der Naturkostläden seien heute im Rentenalter. Übernehmen wolle die Lädchen keiner; zu unwirtschaftlich. Unter 200 Quadratmeter gehe nichts. Michael Schmidt lächelt. „Früher haben wir vom Enthusiasmus gelebt.“ Er spricht von Nischenarbeit, doch in seinen Augen habe die sich gelohnt. Heute seien Kunden zunehmend kritisch, „da haben wir unseren Anteil dran“. Auch Inge Wick aus Vaihingen glaubt an einen Ruck in der Gesellschaft. „Wir haben einen grünen Ministerpräsidenten. Das wäre Ende der 80er nicht denkbar gewesen“, betont sie.

Wie lange es die Gesunde Kost noch in Sillenbuch geben wird, steht in den Sternen. Das Haus ist verkauft, offiziell geht der Vertrag bis Ende des Jahres. „Wir sind auf der Suche“, sagt Michael Schmidt. Er betont aber auch: „Wenn, dann nur Sillenbuch. Ich mache den Laden seit 25 Jahren. Ich kenne die Leute.“