Der verpackungsfreie neue Laden „Schüttgut“ kommt im Kiez gut an – trotz seines überschaubaren Sortiments.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-West - Nachmittags um drei gibt sich die Kundschaft die Klinke in die Hand. Der neue Laden in der Vogelsangstraße 51 weckt die Neugier. Dabei verkaufen Jens-Peter und Claudia Wedlich keinen hippen Fummel, sondern Sachen wie Haferflocken, Linsen, Marmelade oder Spülmittel. Aber unverpackt – wie in Zeiten, die die wenigsten ihrer Kunden selbst erlebt haben dürften. Dem Inhaber und Greenpeace-Mitglied Wedlich geht es darum, mit seinem Konzept dem Verpackungswahnsinn etwas entgegenzusetzen. Das kommt Vier Tage nach der Eröffnung von „Schüttgut“ formiert sich schon die künftige Stammkundschaft.

 

Ein bisschen Weltrettung

Ob Julia Mockler dazuzählen wird, ist noch nicht raus. Die 27-Jährige streift mit kritischem Blick durch den Laden. „Die Atmosphäre hier ist angenehm“, das sei ihr schon beim Reinkommen aufgefallen. „Das Licht ist warm, und es riecht sehr schön.“ Außerdem gefallen ihr die „Ruhe“ und Ordnung und in den Regalen. Diese verdankt sich auch der Übersichtlichkeit des Sortiments, das aus gerade mal 300 Artikeln besteht. Zum Vergleich: Ein größerer Supermarkt führt im Schnitt 25 000 Produkte. Bei „Schüttgut“ gibt es ein paar Milch- und Hygieneartikel, etwas Obst, Gemüse und Backwaren, Eingemachtes und jede Menge Trockenprodukte, die in durchsichtigen Behältern dekorativ an der Wand hängen.

Konstantin, der seinen Nachnamen lieber für sich behält, findet die eingeschränkte Auswahl an Produkten angenehm. „Das nimmt den Druck. Es ist viel entspannter, wenn ich mich nicht zwischen 20 Sorten Joghurt entscheiden muss.“ Seine Erfahrung ist inzwischen sogar wissenschaftlich belegt, und Psychologen sprechen von „Entscheidungsüberlastung“. Konstantin hat auch festgestellt, dass ihm diese Knappheit der Ware das Gefühl vermittle, sie sei besonders wertig. „Ich wäre bereit, mehr auszugeben als üblich.“ Aber das ist zumindest an diesem Tag reine Hypothese, weil der 26-Jährige gar nichts einkauft, sondern sich bloß so seine Gedanken macht über den neuen Laden.

Gut findet er auch, dass man die Warenmenge selbst bestimmen kann. Das Müsli, den Reis oder die Trockenfrüchte muss man sich selbst abfüllen. Dafür gibt es Papiertüten oder Dosen zum Kauf. „Die Menge selbst zu bestimmen, gibt einem das Gefühl von Mündigkeit“, konstatiert Konstantin. Das Konzept, sagt er, sei nicht neu. „In vielen türkischen Läden kann ich Reis oder Kerne auch abfüllen, und auf dem Markt kaufe ich die Sachen auch offen.“ Aber dass die Wedlichs so explizit auf Verpackung verzichten, finde er schon „politisch überzeugend“. Man werde damit zwar nicht die Umwelt retten, „aber so ein Laden kreiert ja auch ein neues Bedürfnis. Die Kunden verlangen irgendwann nach weniger Verpackung. Dann sind auch die Supermärkte gezwungen, darauf zu reagieren.“

Leise rieseln die Cornflakes

Julia Mockler ist bei den durchsichtigen Behältern an der Wand angelangt. Ihr gefällt die erdige Farbskala, die sich aus Linsen, Müslis, getrockneten Früchten und all den anderen Produkten ergeben. Die Schleuse der Spender zu öffnen und Reis oder Cornflakes in eine Papiertüte rieseln zu lassen, sei ein sinnliches Moment, schwärmt Jens-Peter Wedlich.

Aber auch eine Vertrauenssache, meint Julia Mockler. Nicht nur wegen der Hygiene: „Viele Produkte heute sind mit einem Markennamen verknüpft und damit verbindet man dann auch eine bestimmte Qualität, auf die man sich verlassen kann. Wenn man die Sachen offen kauft, fehlen diese Namen, und ich muss mich auf den Händler verlassen können.“

Johanna Ehrmann will die Qualität am eigenen Leib testen und greift zu einem Glas Holundermarmelade, das sie mit 3,90 Euro als Genussmittel einstuft, obwohl sie auch sonst Bioqualität bevorzugt. Als Rentnerin müsse sie zwar sparen, „aber nicht beim Essen“. „Schüttgut“ ist für Ehrmann eine Option: Das Mitbringen eigener Gefäße für die Einkäufe fand sie schon immer gut. „Ich habe es beim Metzger versucht und meine eigene Schale mitgebracht. Aber die sagten mir, das sei nicht erlaubt, da müssten sie Strafe zahlen, wenn man sie erwischt. Ist das nicht verrückt?“ Wenn „Schüttgut“ ihren Holundermarmeladen-Test besteht, will sie wiederkommen. „Man kann ja nicht leben nach dem Motto: Nach mir die Sintflut.“