Keine guten Aussichten: Die Umsätze im Einzelhandel sind gestiegen, aber es wandert immer mehr Kaufkraft aus Stuttgart und der Region ab.

Stuttgart - Die gute Nachricht zuerst: Der Stuttgarter Einzelhandel hat die Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre überwunden und ist nach einer Untersuchung der Industrie- und Handelskammer (IHK) weiterhin der attraktivste Einzelhandelsstandort im Südwesten. Die schlechte Nachricht folgt aber auf dem Fuß: trotz steigendem Wohlstand der Bevölkerung und steigenden Umsätzen fließt auch immer mehr Kaufkraft ab in den Online- und Versandhandel, ins Ausland und in auswärtige Städte. Auch in der Region bekommt Stuttgart offensichtlich zunehmend Konkurrenz. Denn die Mittelzentren im Umland sind besonders erfolgreich, vor allem wegen Einkaufscentern wie ein Breuningerland vor den Toren der Stadt oder großer Fachmärkte.

 

Die Zahlen sprechen für sich: Mit einer einzelhandelsrelevanten Kaufkraft von 15,7 Milliarden Euro gehört die Region Stuttgart zu den attraktivsten Standorten für Handelsunternehmen in Deutschland. Der tatsächliche Handelsumsatz beträgt hochgerechnet für 2011 rund 13,9 Milliarden Euro. Das sind zwar 270 Millionen Euro mehr als bei der letzten Studie der IHK 2009, aber trotzdem weit weniger, als das Einkaufspotential der heimischen Bevölkerung hergeben könnte. Diese gibt demnach 1,8 Milliarden Euro außerhalb der Region aus, das sind rund 200 Millionen Euro mehr als noch vor zwei Jahren. Das Internet mit seinen neuen Einkaufsmöglichkeiten und der Versandhandel werden für den lokalen Einzelhandel offensichtlich zunehmend zur Konkurrenz.

Die gilt mehr oder weniger für alle Städte und Einkaufszentren. Stuttgart sieht sich aber offenbar auch wachsendem Konkurrenzdruck im Umland ausgesetzt und verliert als Einkaufsstadt an Magnetwirkung. Dies lässt sich von der sogenannten Zentralitätsziffer ablesen, die Aufschluss darüber gibt, wie Kaufkraft von außen zu oder abfließt. Städte wie Backnang oder Ludwigsburg sind mit einer Zentralität von 192 oder 170,2 extrem erfolgreich. Auch zeigt sich die Stärke großer Einzelhandelsflächen auf der Grünen Wiese in hohen Umsatzzahlen im Verhältnis zur Einwohnerzahl in Städten wie Ludwigsburg oder Sindelfingen.

Der Trend muss zu denken geben

Für Stuttgart aber ist die Zentralität nun zum zweiten Mal in Folge gesunken: von 131,3 im Jahr 2007 auf 129,2 im Jahr 2009 auf nunmehr 125 in 2011. Das heißt: Der Umsatz des lokalen Handels liegt nur noch um ein Viertel über dem, was aufgrund der Einkommensverhältnisse der einheimischen Bevölkerung zu erwarten wäre. Das ist zwar weiterhin ein besserer Wert als in anderen Großstädten wie München, Hamburg oder Köln. Aber allein der Trend muss zu denken geben.

Über die genauen Ursachen kann freilich nur spekuliert werden. „Die Zentralitätsziffer nimmt ab, weil der Stuttgarter Handel relativ gesehen zu anderen Standorten weniger erfolgreich von der Kaufkraft profitieren konnte“, sagt Martin Eisenmann von der IHK. „Die Frage, ob der Stuttgarter Einzelhandel nachgelassen hat oder andere Städte in der Region und außerhalb an Attraktivität zugelegt haben, das lässt sich anhand der Zahlen nicht beantworten.“ Für einen führenden Gewerbemakler in der Stadt liegt es nahe, dass die Ursachen auch jenseits des Kaufangebots liegen könnten. „Die Demonstrationen gegen S 21 haben der Stadt geschadet. Viele Leute sind deshalb einfach nicht mehr in die Stadt gekommen“, gibt er zu bedenken.

Tatsache ist freilich auch, dass das innerstädtische Einkaufsangebot nach seinem rasanten Wachstum in den vergangenen zehn Jahren zur Zeit eher stagniert, neue Ladenadressen, die Neugierige auch aus dem Umland in Scharen anlocken, sind seltener geworden. Dies freilich dürfte sich 2014/15 mit dem neuen ECE-Einkaufscenter hinter dem Hauptbahnhof mit rund 200 Läden schlagartig ändern _ egal, wie man dazu steht. „Dieses Zentrum wird ein Magnet sein und zusätzliche Leute nach Stuttgart bringen, das heißt, der Handelsumsatz und die Zentralität werden steigen, ob aber die Stadt davon profitiert, steht auf einem anderen Blatt“, sagt Eisenmann.

In Gerlingen können Bewohner am meisten Geld ausgeben

Ihn besorgt aktuell viel mehr ein Blick auf die Handelsschlusslichter in der Region. So liegt der Einzelhandelsumsatz in Städten wie Ditzingen, Kernen, Markgröningen und Korb pro Kopf unter der Hälfte dessen, was die Händler im Bundesdurchschnitt erzielen. „Die örtliche Nahversorgung wird bei solch niedrigen Werten kaum noch aufrechterhalten, die Bewohner gehen auswärts einkaufen“, so Eisenmann.

Fast unverändert groß sind auch die Unterschiede bei der Kaufkraft innerhalb der Region. Die Bewohner von Gerlingen können mit Abstand am meisten Geld ausgeben, pro Kopf liegt hier die einzelhandelsrelevante Kaufkraft bei 6892 Euro. Stuttgarts Bewohner haben im Durchschnitt nur 5867 Euro zur Verfügung und belegen damit innerhalb der Region mit Rang 30 nur einen Mittelplatz.