Im Stuttgarter Einkaufscenter Gerber eröffnet am Samstag der Future Fashion Store, ein Konzept zwischen Kommerz, Sozialem und Bildungsauftrag. Umweltminister Untersteller und Bürgermeisterin Sussmann begutachten das Projekt für nachhaltige Mode und bewusstem Konsum.

Stuttgart - Dass man im Handel nur mit einer großen Portion Gefühl verkauft, dürfte sich bis in den kleinsten Laden herumgesprochen haben. So bietet auch das neuste Konzept im Gerber unter dem Namen Future Fashion Store reichlich Atmosphäre: Ein Licht durchfluteter Raum und eine ansprechende Warenpräsentation. Nicht zu vergessen, die Klamotten selbst, die Lust aufs Tragen machen und die hauptsächlich aus den Häusern Peter Hahn, Zara oder Levi’s stammen. Allerdings: Der Schein trügt. Rund 90 Prozent der Textilien im Future Fashion Store, der am Samstag offiziell aufmacht, sind aus zweiter Hand.

 

Hinter dem Konzept der Future Fashion Store im Gerber steckt ein Gemeinschaftsprojekt der Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ) und der Aktion Hoffnung der Diözese Rottenburg-Stuttgart. „Nachhaltige Mode ist im Handel total unterrepräsentiert“, sagt SEZ-Leiter Philipp Keil, „daher wollen wir die Bevölkerung für ein global verantwortliches Handeln sensibilisieren und aufzeigen, wie jede und jeder etwas für eine gerechtere Welt tun kann.“

Keine Jute-Säcke mehr

Das Problem an der Sache: Zwischen Fairer Mode und attraktiver Mode war oft so ein großer Abstand wie zwischen dem Mond und Wanne-Eickel. Auf gut deutsch: Viele Klamotten mit Nachhaltigkeitssiegel zierten die Trägerin nicht unbedingt. „Auch dieses Problem wollen wir in diesem Store angehen“, sagt Keil, „denn nachhaltige Mode sind inzwischen nicht nur Jutesäcke.“ Damit hat er auch das Gesamtkonzept des Ladens im Gerber umrissen: „Wir wollen hier eine Schnittstelle zwischen Kommerz, Sozialem und einer Einrichtung mit Bildungsauftrag sein.“ Bedeutet: Neben dem Verkauf finden Workshops und Vorträge statt. Geplant sind folgende Angebote: ein Stammtisch mit Nachhaltigkeitsinitiativen, Netzwerktreffen für Second-Hand-Läden und Initiativen aus Stuttgart und Workshops mit den Themen Upcycling, Reparatur, Färben mit Natur oder Drucktechniken. Nicht zuletzt startet im Laden am Samstag (15 Uhr) der Future Fashion Talk – eine Gesprächsreihe mit Stuttgarter Modemachern.

„Wer Mode-affin ist, aber gleichzeitig nachhaltig konsumieren will, bekommt hier im übertragenen Sinn sein Nikotinpflaster. Der Future Fashion Store soll ein Begegnungsort sein, in dem die Leute eingebunden werden. Etwa auch bei Kleidertauschpartys“, sagt Storemanagerin Rebecca Hummel. Volle Unterstützung erfährt das SEZ-Projekt im Übrigen vom Gerber-Management. Und dies soll mehr als nur ein „Nikotinpflaster“ oder ein Alibi sein. Schon jetzt gibt es im Einkaufcenter rund sechs Läden, die mit unterschiedlichen Sortimenten auf Nachhaltigkeit setzen, zudem hat das Gerber in der Marke „Econic Goods“ einen eigenen Laden.

Spätestens seit Breuninger-Konzernsprecher Christian Witt verraten hat, dass auch das Traditionshaus am Marktplatz in Zukunft seinen Schwerpunkt auf nachhaltigen Konsum setzt, dürfte eine neue Richtung im Textilhandel vorgegeben sein. Dazu beigetragen hat aber sicher auch ein Bewusstseinswandel während der Coronakrise. „Die Nachfrage an nachhaltigen Produkten wächst“, bestätigt Gerber-Marketingchefin Hannah Kussel, „die Kunden werden immer bewusster und fragen gezielt nach, woher die Ware kommt und wie sie produziert wurde.“

Lieferkettengesetz gefordert

Um letztere Punkte sicherzustellen, kämpft die SEZ und andere Organisationen schon lange um ein Lieferkettengesetz. Aber selbst dann, wenn der Weg eines Kleidungsstückes lückenlos nachvollziehbar ist, eines ist für Philipp Keil klar: „Einfache Antworten gibt es bei diesem Thema nicht. Man kann nicht pauschal sagen, Zara sei schlecht und Nobelmarken sind per se gut. Viel wichtiger ist, dass bei den Konsumenten, den Herstellern und den Läden eine Auseinandersetzung mit ihrem Verhalten, den Menschen und dem Produkt stattfindet.“

Kurzum: Der Future Fashion Store, der schon am Freitag in einer geschlossenen Gesellschaft von Umweltminister Franz Untersteller eröffnet wird, soll einen Bewusstseinswandel schaffen. „Wir brauchen eine Veränderung, einen Paradigmenwechsel in unserem Verhalten“, sagt Keil, „die Coronakrise ist daher auch eine Chance, dass mehr Reflexion stattfindet. Jetzt ist der Handlungsdruck groß. Das macht uns Hoffnung.“