Die Stuttgarter Händler erwarten ab Montag eine Geisterstadt und befürchten, dass sich die Innenstadt von dem Teil-Lockdown nicht mehr erholen wird.

Stuttgart - Es wird Händler in Stuttgart geben, die wird der sanfte Lockdown kälter erwischen als zum Beispiel das Buchhaus Wittwer-Thalia am Schlossplatz. Dennoch hat Geschäftsführer Rainer Bartle einen dicken Hals. Er weiß, was es für den benachbarten Gastronomen Ochs’n Willi und andere bedeutet – und er weiß, dass sich viele von diesem November nicht mehr erholen werden. Denn ohne Gastronomie und Kultur haben die Menschen noch weniger Anlass, in die Stadt zu kommen. „Daher haben wir ab Montag Totentanz in der City“, sagt er und stützt sich auf bisherige Erfahrungswerte und Zahlen. Die liefert auch der Immobilienverband Deutschland (IVD).

 

„Die Beschränkungen infolge der Pandemie wirkten vielerorts wie ein Brandbeschleuniger“, sagt Professor Stephan Kippes vom IVD-Marktforschungsinstitut, „zahlreiche Kunden hatten während des Lockdowns vermehrt ihre Einkäufe im E-Commerce getätigt und behielten diese Gewohnheit auch nach Wiedereröffnung des stationären Handels bei.“ Weiter sagt er: „Wurde in der Kalenderwoche 6 im Februar mit 342 123 Passanten der bisherige Jahreshöchstwert gemessen, so durchquerten in der Woche 13 nur noch 49 599 Menschen den Messpunkt in der Königstraße. Innerhalb dieses Zeitraums ging die Passantenfrequenz um 86 Prozent zurück.“

So gut wie keine Corona-Fälle im Handel

Seit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bürger dazu aufforderte, zu Hause zu bleiben, seien die Passantenfrequenz und der Umsatz noch stärker eingebrochen, erklärt Norbert Kallas, Inhaber des gleichnamigen Modeladens in der Tübinger Straße. „Nachdem Frau Merkel vom Unheil, das über uns kommen werde, sprach und in der Innenstadt an der frischen Luft Maskenpflicht galt, rauschte der Umsatz um 50 Prozent in den Keller.“

Rainer Bartle schlägt daher in die gleiche Kerbe wie Citymanager Sven Hahn oder Handelsverbandspräsident Herrmann Hutter: „Dieser Teil-Lockdown trifft die Falschen.“ Weder in den gastronomischen Betrieben noch im Handel sei bisher bekannt geworden, dass ein Mensch besonders viele andere Personen angesteckt habe. „Angeblich hat dm bei seinen 10 000 Drogeriemitarbeitern so gut wie keinen Corona-Fall“, sagt Sabine Hagmann vom Handelsverband. Bartle ergänzt zürnend: „Aber trotzdem wird von der Politik voll draufgehauen. Und das von Menschen, die sich keine Sorge um ihre Existenz machen müssen, die sogar doppelt und dreifach abgesichert sind.“

Zweitbester Monat fällt quasi aus

Hintergrund des Ärgers im Handel ist eine auf Erfahrungswerten basierende Gewissheit: „Der November ist der vorgezogene Dezember“, erklärt Bartle, „erst recht in diesen Zeiten werden im November bereits Weihnachtskäufe gemacht. Und dieser November wird jetzt kaputt gemacht.“ Sabine Hagmann bestätigt: „Der November ist für viele der zweitwichtigste Umsatzmonat. Und nun wird es noch mal einen Frequenzrückgang geben.“

Für Bartle steht fest: „Wer sich jetzt noch nicht digital aufgestellt hat, wird es schwer haben, zu überleben.“ Er selbst hat aus diesem Grund just in diesen Tagen digital aufgerüstet. Erstens mit einer neuen App-Funktion „Scan & Go“, die kontaktloses und schnelles Bezahlen ohne Kassenbesuch ermöglicht. Und mit einer sogenannten Fastlane, die Kunden sozusagen auf der Überholspur einen Einkauf von vorab online bestellter und bezahlter Ware ohne Anstehen an der Kasse bietet. So sollen mit dem Zauberwort „Smart Shopping“ ein überfülltes Geschäft, Gedränge vor den Regalen und lange Schlangen vor den Kassen verhindert werden.

Solche Investitionen können sich freilich nur die Großen leisten. Daher rechnet nicht nur der Handelsverband im kommenden Jahr mit einer großen Insolvenzwelle im Handel. Sabine Hagmann will daher „gar nicht darüber nachdenken“, ob sie ihre bisherige Schätzung von 6000 Schließungen in den kommenden zwei Jahren nach oben korrigieren müsse. Auch sie weiß, wie es derzeit um viele Händler bestellt ist. Nicht zuletzt deshalb fordert Hagmann von der Politik „finanzielle Unterstützung für den indirekt vom Lockdown betroffenen Handel“. Und vom Kunden wünscht sie sich, „trotz allem in die Stadt zu kommen, um die Händler zu unterstützen. Denn sonst haben wir wirklich bald Geisterstädte.“