Vereinsmitglieder in Filderstadt-Sielmingen sind empört: Angeblich sollen sie fürs ehrenamtliche Einsammeln von Altpapier Einkommensteuer zahlen. Tatsächlich trifft dies aber die Stadt Filderstadt, die ab Januar 2021 für jede nichthoheitliche Tätigkeit Mehrwertsteuer entrichten muss.
Sielmingen - In den Vereinen von Filderstadt-Sielmingen ballt sich Unmut. Die Vereine fühlen sich vom Gesetzgeber gedemütigt. In einem Brief an unsere Zeitung hat Karl-Heinz Schäffer, der Kassier der Arbeitsgemeinschaft Sielminger Vereine, seiner Empörung Luft gemacht. Jeden ersten Samstag im Monat, schreibt er, sammeln Vereinsmitglieder, jung und alt, mit Lastwagen oder Traktoren im Stadtteil Altpapier und Kartons ein. „Das ist ein kostenloser Service für die Sielminger Bürger, aber auch ein bewundernswertes Engagement der vielen Helfer“, sagt er. „Damit kann gleichzeitig auch die jeweilige Vereinskasse bedient werden.“
Nun aber kommt das Finanzamt ins Spiel. „Jetzt sollen, und das haut dem Fass den Boden raus, diese Einnahmen auch noch der Umsatzsteuerpflicht unterworfen werden“, empört sich der Kassier. „Da schuften viele Menschen, um den Bürgern die Entsorgung von Altpapier abzunehmen und um Vereine zu unterstützen, und schon steht Vater Staat da, um Steuern zu holen“, ergänzt er. Sielmingen ist der einzige Stadtteil Filderstadts, in dem Vereine Papier und Kartonagen entsorgen. In den anderen Stadtteilen kommt Altpapier in die Blauen Tonnen des Landkreises, denn dort finden die Vereine seit Jahren nicht mehr genügend Ehrenamtliche dafür. Die ärgerliche Information über die Umsatzsteuerpflicht, sagt Schäffer, sei von der Feuerwehr gekommen.
Leidtragende ist die Stadtverwaltung
Ursache für die Aufregung ist der neue Paragraf 2b des Umsatzsteuergesetzes. Nach einer Übergangsfrist seit 2017 ist er ab 1. Januar 2021 verbindlich. Laut Gerhard Alber, Co-Inhaber der Bernhäuser Steuerberatungsgesellschaft Alber und Pfindel, dürfen gemeinnützige Vereine aufatmen. Für sie bleibe alles beim Alten: Die sogenannten ideellen Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden seien umsatzsteuerfrei, und die wirtschaftlichen Einnahmen zum Beispiel aus der Bewirtung von Hocketsen, aber auch von Altpapiersammlungen, seien jährlich bis 17 500 Euro von der Umsatzsteuer befreit. Anlass zur Sorge bestehe für einen Verein dann, wenn er durch die Altpapiersammlung auf Jahreseinnahmen von über 17 500 Euro komme. Dies sei auch bisher der Fall gewesen.
Anders, sagt Gerhard Alber, verhalte es sich bei Kommunen. Vom 1. Januar an müssten diese für alle Dienste nicht hoheitlicher Art Mehrwertsteuer entrichten. Der Zweck des Gesetzes sei es nämlich, privatwirtschaftliche Unternehmen nicht durch kommunale Angebote zu benachteiligen.
Prüfungen nehmen viel Zeit in Anspruch
Dies bestätigt Filderstadts OB Christoph Traub. „Der Paragraf 2b betrifft unsere Verwaltung in jedem Bereich“, sagt der Jurist und Experte für Steuerrecht. Es müsse, sagt er, jetzt sehr genau abgegrenzt werden, wo die Verwaltung hoheitlich tätig sei und wo ein Dritter diese Arbeit verrichten könne. Als Beispiel präsentiert der OB die Eheschließung mit dem Überreichen des Familienstammbuchs: „Die Eheschließung ist ein hoheitlicher Akt gegen eine Verwaltungsgebühr, das Stammbuch könnte aber auch ein Buchhändler verkaufen. Deshalb löst das Überreichen des Stammbuchs die Mehrwertsteuer aus. Es wird künftig also um 19 Prozent teurer.“
Die Stadt, auch die Feuerwehr, müsse jede ihrer Handlungen durchleuchten: „Wir sind noch nicht am Ende der Prüfungen“, sagt Traub. Die Verwaltungsmitarbeiter würden geschult, und die Prüfungen nähmen viel Zeit in Anspruch, die man eigentlich für andere Dinge bräuchte. Nachlässigkeiten verböten sich jedoch: „Für Fehler ist die Kommune haftbar. Sie muss ihrer Steuerpflicht ebenso gewissenhaft nachkommen wie der Bürger.“ Für die städtischen Eigenbetriebe wie die Filderstadtwerke sieht Traub keine Gefahr: „Wo sie nicht hoheitlich tätig sind, zahlen sie heute schon Mehrwertsteuer.“