Wie kann der heimische Wald die Hitze der Zukunft überleben? Auf dem Schurwald verteilt eine Helikopter-Firma feinen Kalk, um wenigstens die Umweltsünden der Vergangenheit zu tilgen. Wir waren vor Ort.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Der Kalk knirscht in den Zähnen und kratzt am Kragen. 150 Mal am Tag hebt der gelbe Eurocopter auf dem Startplatz in Baltmannsweiler mit einer Tonne Kalk ab, lässt eine graubeige Spur aus Steinmehl über die Bäume rieseln und kommt zurück zum Nachladen.

 

Den Hubschrauber steuert Achim Widmann, er wechselt sich mit Tobias Kienzler ab, der gerade am Boden arbeitet. 100 000 Euro hat er bezahlt, um sich die Ausbildung zum Hubschrauberpiloten zu finanzieren. Ob er das Geld jemals wieder reinbekommt, weiß er nicht, aber was zählt das schon, wenn man seinen Lebenstraum verwirklicht. Während Widmann in der Luft ist, überwacht Kienzler den Flug, kümmert sich um die Technik und holt Benzin, denn er der Hubschrauber muss alle 50 Minuten aufgetankt werden.

Immer feiner verteilt sich die Kalkwolke in der Luft, wird zu einer beigen Wolke, die sich langsam senkt. Am Ende werden drei Gramm Kalk pro Quadratdezimeter Boden verteilt sein. Nicht viel, aber alles entscheidend für die Zukunft des Schurwaldes.

Entschefelungsanlagen wurden eingebaut

Früher schlug sich dort der saure Regen nieder. Aus den Großfeueranlagen wie dem Altbacher Kraftwerk stiegt der Schwefel, der in die Kohle enthalten war, in die Luft und verband sich mit der Luftfeuchtigkeit zu schwefliger Säure. Durch den sauren Regen kippten ganze Seen um, das Waldsterben war in aller Munde, und vor allem gegen die Politik des Esslinger Landrates begann sich im Neckartal ein bürgerlicher Protest zu formieren. Er hatte letztlich den Erfolg, dass im damals neuen Altbacher Kraftwerk Entschwefelungsanlagen eingebaut wurden, damals die modernsten der Welt.

Doch die Säure blieb im Boden, tötete Bodenorganismen, verhinderte, dass die Bäume tief wurzelten. Mit dem Kalk wird die Säure neutralisiert. Die Försterin Elke Rimmele-Mohl ist für die Aktion zuständig. Sie geht jeden Morgen zum Startplatz. kontrolliert die Absperrungen und informiert sich über den Fortgang der Arbeiten. Sie kommt aus einer Ludwigsburger Försterfamilie, lebt in Aichwald und kurvt so präzise vorwärts und rückwärts mit ihrem Dacia auf den Waldwegen, als würde sie auf Schienen fahren. Sie liebt die Arbeit unter Bäumen, die für sie eine Art Zuhause bedeuten, obwohl sie als Angestellte des Forstamtes Kirchheim viele übergreifende Verwaltungsaufgaben erledigt, wie eben die Bodenkalkung.

Seit vierzig Jahren kämpfen die Förster gegen Umweltsünden

Seit vierzig Jahren kämpfen die Förster gegen die Umweltsünden der 80er Jahre. Für die Förster ist das ein kleiner Zeitraum, sie sind gewohnt in Zyklen von 100 bis 200 Jahren zu denken, bis eine Generation von Bäumen die andere abgelöst hat. Damals war es der saure Regen, heute ist es der fehlende Regen. Am Startplatz westlich von Baltmannsweilers Ortsteil Hohengehren sieht man kaum eine Buche mehr, die keine dürre Krone hat. Vielfach beginnt der Blattbewuchs erst einige Meter unter den abgestorbenen Astspitzen.

„Das ist die Folge des Sommers 2018“, sagt Elke Rimmele-Mohl, „der Wald ist unter Druck, die Bäume sind im Stress.“ Hitze und Dürre machen ihnen zu schaffen. Die Fichten, die einst als ertragreiches Nutzholz gepflanzt wurden, haben keinen Chance mehr. Was nicht vertrocknet, wird von Borkenkäfern dahingerafft. „Unsere Förster kontrollieren jede Wochen ihre Fichten“, sagt Elke Rimmele-Mohl. Entdecken sie das feine Bohrmehl der Käferlarven, dann heißt es, den kranken Baum so schnell wie möglich aus dem Wald bringen, bevor andere Bäume befallen werden. Man merkt, dass der Satz, die Förster würden jeden Baum ihres Reviers kennen, keine Übertreibung ist, sondern die Wahrheit.

Kalkwolken stauben den Dacia ein. Der Hubschrauber hebt wieder ab, der Rotorenwind bürstet die Wiese und die Bäume. Eine Wahrheit ist auch, dass die Forstwirtschaft auf den Klimawandel reagieren muss. Nur können die Förster wenig mehr tun, als immer mehr wärmetaugliche Bäume zu pflanzen. Wahrscheinlich wird der ganze Schurwald einmal von Kiefern bestanden sein, weil andere Bäume dort nicht mehr werden leben können.

In diesem Zusammenhang bekommt die Waldkalkung ihren tieferen Sinn. Wenn die Förster versuchen, die Säurelasten der 80er Jahre aus dem Boden zu bekommen, damit Buchen und Eichen widerstandsfähiger werden, dann können sie die Hitze eher überstehen. Natürlich dürfen sich diese Trockenjahre wie 2018 nicht allzu oft wiederholen. Und natürlich darf es nicht noch wärmer werden.