Viele Kunden erleben Amazon als eher vertrauenswürdige Firma. Der Dokumentarfilm „Der unaufhaltsame Aufstieg von Amazon“ auf Arte sieht das ganz anders.

Stuttgart - Weihnachten ist ein Konsumfest und löst diverse Wettbewerbe aus. Dies war lange einer davon: Ist nun das Christkind oder doch der Weihnachtsmann in Kinderaugen der Geschenkebringer? Bald aber dürfte er endgültig zugunsten eines Dritten entschieden sein. Immer mehr Kinder wissen, dass der Paketbote die Geschenke bringt – der mit einem Amazon-Päckchen in der Hand.

 

Die Vorweihnachtszeit beschert dem beliebtesten aller Onlinehändler regelmäßig neue Rekordumsätze. Die Vorweihnachtszeit wird von den Gewerkschaften genutzt, um gegen die Arbeitsbedingungen bei der weltweit aktiven US-Firma zu streiken. Und vor Weihnachten häufen sich die kritischen Reportagen. Arte immerhin löst sich aus den Mustern der kurzen Amazon-Anklagen und bietet einen 87 Minuten langen Dokumentarfilm des in Frankreich lebenden Briten David Carr-Brown, der mehr Hintergründe verspricht: „Der unaufhaltsame Aufstieg von Amazon“.

Kaufhaus in der Jackentasche

Tatsächlich blickt Carr-Brown, dessen Doku „Silicon Valley: Wo die Zukunft gemacht wird“ bereits im Sommer bei Arte lief, nicht nur auf Paketboten und Lagerarbeiter, sondern auch auf Visionäre und Pioniere. Er zeigt auf, wie Amazon-Gründer Jeff Bezos weiter dachte als andere, die Möglichkeiten alter und neuer Infrastruktur konsequenter zusammenführte und ein Geschäftsprinzip nicht nur in Reden einbaute, sondern in der Praxis umsetzte: Immer vom Kunden her denken. Spätestens seit dem Siegeszug des Smartphones ist Amazon schwer etwas entgegenzusetzen. Jeder trägt jetzt ein gigantisches Kaufhaus in der Jackentasche mit sich herum.

Carr-Brown lässt zufriedene Investoren zu Wort kommen und jene Schwärmer des frühen Internets, die von der Menschheitserlösung durch ein herrschafts- und kommerzfreies Netz träumten. Letztere allerdings bekommen mehr Aufmerksamkeit, was Bezos’ Handelsmaschine schnell in ein theatralisches Licht rückt. Der Aufbau von Amazon erscheint wie der Meuchelmod an einer Utopie. Fraglos darf man sogar zu dieser Einschätzung kommen.

Amazon nutzt die Gesetzeslücken

Aber Carr-Brown, der an der Kaderschmiede ESJ, der Ecole Supérieure de Journalisme de Paris, unterrichtet, verengt den Blick auf für Amazon-Reportagen typische Weise. Amazon, analysiert er, als bringe er da etwas Verborgenes zutage, sei auf fortdauerndes Wachstum angelegt. Das ist zwar richtig, aber das Grundprinzip der kapitalistischen Marktwirtschaft. Auch Amazons Mitbewerber, Lieferanten und Partner folgen ihm – nur weniger erfolgreich.

Die Methode, Amazon für die moderne Wirtschaft- und Arbeitswelt verantwortlich zu machen, als habe Bezos sie erfunden, zieht sich durch den ganzen Film. Dass Amazon etwa in gigantischem Ausmaß Steuervermeidung betreibt, dass die Firma sich aus der Verantwortung als Arbeitgeber stiehlt und rechtlose Subunternehmer nutzt, die bei aller Schufterei auf die Altersarmut zuhetzen: All das ist skandalös. Aber Bezos nutzt nur die Gesetzeslücken, Lockmittel und bewusst geschaffenen Freiräume, die die Politik ihm bietet. Amazon ist der Hund, dem an die Wurst vor die Nase legt: Man sollte nicht das Tier fürs Wegschnappen schimpfen, sondern einen Kühlschrank anschaffen.

Die chinesische Alternative

Mancher mag es für einen zulässigen emotionalen Trick halten, nicht anonyme Strukturen anzugreifen, sondern deren prominentesten Profiteur mit dem Weihnachtsmann-Image. Doch gefährlich und absurd wird die Kritik an der Datenkrake und Handelssupermacht Amazon, wenn als Kritiker Jack Ma aufgerufen wird, der chinesische Widerpart von Bezos, der Chef des Handelsriesen Alibaba. Kein Wort darüber, wie ein in den Fängen einer Diktatur hängender Konzern wohl Kundendaten nutzt, kein Schlenker des Zweifels, ob sich Alibaba nicht sehr viel williger als Amazon als Marktplatz für Produktpiraten hergibt.

Der Frage, ob da nicht längst zwei Zukunftskonzerne global um Einfluss ringen als Stellvertreter ihrer Gesellschaften, wird dann auch nicht nachgegangen. Alibaba wird kur und simpel als Alternative dargestellt. Aber wie Weihnachten lehrt: Nicht alles unter einem roten Mäntelchen ist der echte Weihnachtsmann.

Ausstrahlung: Arte, Dienstag, 11. Dezember 2018, 20.15 Uhr. Wiederholung am Freitag, 14. Dezember 2018 um 09.35 Uhr. In der Arte-Mediathek nur vom 11. bis 18. Dezember 2018.