Einsiedler aus dem Schwarzwald Leben abseits der Zivilisation – zu Besuch bei Benediktinermönch Jakobus

„Der Einsiedler ist da und doch nicht da“, sagt Bruder Jakobus. Foto: Gottfried Stoppel

Der Beneditinermönch Jakobus lebt als Einsiedler in einer Bergklause im südlichen Schwarzwald. Wonach sucht er? Ein Artikel aus unserer Reihe „Unsere besten Reportagen“.

Reportage: Robin Szuttor (szu)
 

Diese Reportage erschien erstmals am 26. Mai 2012.

 

Immer tiefer in den Wald, immer schmaler und steiler werdende Pfade. Mit Kratzgeräuschen am Unterboden schaukelt das Auto im Schritttempo den Berg hinauf. Dann Zweifel, ob man die richtigen Weggabelungen gewählt hat oder das Ziel mit jeder Schieflage ferner rückt. Irgendwann scheint klar: Jetzt kann es nicht mehr weitergehen. Wer am Kurs festhält, passiert bald eine rostige Schranke, die wie ein Fingerzeig nach oben weist. Auf dem Gipfel sind schon die 1000 Jahre alten Burgmauern zu erkennen, davor ein Ford Mondeo, Baujahr 97. Schließlich öffnet sich der Baumkronen-Baldachin, und es ist nur noch Himmel. Hier lebt der Mönch Jakobus.

Er sitzt vor der spätgotischen Kapelle. Schwarze Benediktinerkutte, Kunststoffsandalen. Stahlblaue Augen, kolossale Brauen, Nasenhaare ragen wie Strohbüschel ins Gesicht, der Hals blutig von der Morgenrasur.

Leben in völliger Abgeschiedenheit

Im südlichen Schwarzwald, 40 Kilometer vom Heimatkloster Beuron entfernt, hat der 63-Jährige seine Bergklause. Wo genau, soll nicht so weit verbreitet werden. Der Reiz für Ausflügler, sich mal einen echten Eremiten anzuschauen, sei zu groß. Und täglich froh gestimmte Wandergruppen zu bewirten, ist nicht gerade das, was sich Bruder Jakobus unter einer Einsiedlerexistenz vorstellt.

Das Kloster Beuron im Schwarzwald – 40 Kilometer entfernt lebt der Mönch Jakobus in einer Bergklause. Foto: IMAGO / YAY Images

Außer den Motorsägen der Waldarbeiter und der Kirchenglocke im Dorf dringen keine Zivilisationslaute herauf. Mit der Linde auf der Wiese vor der Klause verbindet ihn ein besonderes Verhältnis. Es näher zu beschreiben, meint er, würde sich aber zu esoterisch anhören. Manchmal schaut ein Fuchs vorbei, ein Reh, ein Dachs. Im Haus haben sich Siebenschläfer eingenistet. Seit kurzem taucht ab und zu eine Katze auf. Er füttert sie nicht. Sie soll sich nicht auf ihn verlassen.

Morgens um sechs meditiert Jakobus zwei Stunden. Um neun geht er zum Gebet in die Kapelle. Um zwölf und um drei wieder Gebet. Abends um acht meditiert er eine Stunde. Gegen Mitternacht hält er sein letztes Gebet.

Bruder Jakobus sagt: „Stille hat den Geschmack von Unendlichkeit. Durch die Übung des Schweigens erlebe ich die Wonnen der Weite. Zugleich bahne ich mir wie ein Bohrkern den Weg in die tieferen Sedimentschichten der Seele – bis hin zu den mit Schuld und mit Ängsten belegten Horizonten. Wer den Rhythmus der Verinnerlichung immer weiter vorantreibt, wer sich immer mehr verfeinert, kann die Schatten von der Seele streifen und bis zum Nukleus vordringen. Und der Kern des Menschen, so die Verheißung, ist sehr gut.“

Gebet statt Gartenarbeit

Es gibt Karotten und Kartoffeln zu Mittag. Die hat Jakobus im Dorf gekauft. Gemüsebeete findet man keine auf dem Berg. Er ist kein Gartenarbeiter, sitzt lieber unter dem Flieder und lässt die Zeit zwischen den Gebetsinseln fließen. Denkt, liest, schreibt. Jüngst hat er eine Übersetzung der Apophthegmata Patrum herausgegeben, Weisungen der ersten christlichen Mönche in Ägypten, den Wüstenvätern. Er hält Vorträge über Wirtschaftsethik oder mystische Wege. Dafür bekommt er Geld. Er habe so viel, dass es zum Leben reicht. So wenig, dass es ihn vor dem Sumpf der Behäbigkeit schütze.

Krankenversichert ist er über das Kloster, wo er regelmäßig spirituelle Kurse leitet. Seine Klause hat einen Wasseranschluss, Strom, Internet, Telefon. Sein Briefkasten steht bei einem Bauern im Dorf. Den Restmüll, der nicht auf den Kompost kann, nimmt er irgendwann mit ins Tal. Kirchenrechtlich ist sein Status als Einsiedler nicht ganz wasserdicht. Jakobus lebt im Dispens – als Ausnahmefall. Manche Brüder unterstützen ihn, andere sind nicht einverstanden. Sie finden, er gehört nach Beuron.

Kindergarten-Ausflug zum Eremiten

Im Winter verlässt er den Berg kaum, sitzt nur am Holzofen. Bei Schnee, wenn er in dem Ford kaum unfallfrei ins Dorf kommen würde, stiefelt er mit Rucksack hinab und holt sich das Notwendigste. Im Sommer macht der Kindergarten einen Ausflug zu ihm, gelegentlich kommen Pilger und Wanderer vorbei. Die Zeugen Jehova waren auch schon da.

Bruder Jakobus sagt: „Asketen sind im eigentlichen Wortsinn Übende. Die meditativen Übungen sind wie eine Schwangerschaftsvorbereitung für die Geburt ins Jenseits. Eine Ahnung der Ewigkeit. In der Monotonie der Gebete kann ich meine Gedanken loslassen. Es gibt den Horror Vacui, das Grauen vor dem Nichts. Alle Natur will die Leere ausfüllen, aber ich suche sie. Es braucht Spannkraft, um sie auszuhalten. In der Leere lerne ich kennen, welche geistigen Kräfte mich beherrschen, welche Dämonen und Versuchungen in mir sind.

Hochmut, der gefährlichste Dämon

Der gefährlichste Dämon ist vielleicht der Hochmut, weil er jene heimsucht, die sich schon am Ende des mühseligen Wegs wähnen. Hochmut, heißt es bei den Wüstenvätern, ist eine Geschwulst der Seele. Wenn sie reif ist, platzt sie und verursacht starken Ekel. Die Dämonen bekämpft man durch Gebet, Fasten, Nachtwachen. Denn oft ist ihnen nicht konfrontativ beizukommen, sondern nur, indem man ihnen das Wasser abgräbt.“

Aufgewachsen ist Jakobus als Erhard Kaffanke in einem Bingener Beamtenhaushalt, geprägt von Redlichkeit und Enge. Dem Wehrdienst folgte ein Jurastudium und die Lebenskrise. Da nannte eine innere Stimme ihn beim Namen. Mit liebevollem, aber bestimmtem Tonfall, fast traurig, als wollte sie sagen: „Erhard, was machst du denn?“ Alles hatte sich bis dahin um sein kleines Ich gedreht. So winzig, niedrig. In allem nur das Bestreben, etwas vorweisen zu können. Zu erreichen, was andere von ihm erhofften. Die Stimme wusste Bescheid.

Vom Kloster in die Einsamkeit

Er machte kehrt. Studierte Philosophie und Theologie im oberbayrischen Benediktbeuern, wo er die christliche Zen-Meditation und eine Frau kennenlernte. Funken sprühten, sie tauchte in seinen Gedanken von allen Seiten auf, da half keine Meditation. Wie ein Quelltopf, aus dem das Wasser nur so herausschießt und einen von sich selbst fort reißt. Er heilte das Fieber, indem er sich zurückzog. Am Ende entschied er sich fürs Kloster – den klaren Weg. Sie ging den gleichen, lebt heute in einem strengen Orden.

Jakobus entwuchs Beuron. Nach zehn Jahre in den Reihen der Brüder wurde er zum Nestflüchter in die Ödnis. Der Abt reagierte wie ein Vater: Von mir aus, sagte er frei übersetzt, mach was du willst. Aber glaube nicht, dass wir deine Sperenzien finanzieren.

Bruder Jakobus entdeckte die alte Burganlage und gründete einen Förderverein. Die Geister schieden sich an ihm. Manche machten ihn nieder, manche erhoben ihn zum Magier vom Berg. Der Verein gedieh. Jakobus verhandelte mit der Stadt, die eine Nutzung für die denkmalgeschützte Burganlage suchte. Man einigte sich: keine Pachtzahlung, dafür trägt der Verein die Baulast. Sieben Jahre wurde restauriert, 300 000 Euro sind bis heute verbaut. Seit 19 Jahren lebt Jakobus in der Klause. Seine Familie verstand nie, dass er ins Kloster ging. Das Kloster verstand nicht, dass er auf den Berg ging.

„Zurück zu einer natürlichen, leibbewussten Theologie“

Bruder Jakobus sagt: „Wir müssen zurück zu einer natürlichen, leibbewussten Theologie. Die christliche Zen-Meditation baut mit Geist und Leib einen Raum der Stille, wo der Mensch in den Bauplan des eigenen Körpers eintauchen und sich dem Göttlichen nähern kann. Wir Benediktiner sind die Spezialisten für Innerlichkeit, weil wir in der Kontemplation beheimatet sind. Gerade deshalb müssen wir immer wiederüberprüfen: Sind wir noch in der Spur des Unsichtbaren? Im Geist von vor 1500 Jahren? Oder hat der Wind der Geschichte uns woanders hingeweht? Die Menschen erwarten von uns Mönchen geistige Vaterschaft und Orientierung. Die heutigen Klöster sind tüchtig und effizient – kurzum professionell. Aber sie sind kraftloser geworden.“

Der Anfang des Mönchtums liegt im Dunkeln. Dann geht der Spot an, Antonius tritt auf die Bühne. Im Jahr 270 verkauft er sein Land und lässt sich in einer verwaisten Befestigungsanlage auf einem Berg östlich des Nils nieder. Die Wüste wird seine Pufferzone zur Welt. Als seine Bewunderer ihn zunehmend belästigen und überfordern, zieht er in eine Höhle am Roten Meer. Dort erfassen ihn Dämonen, seine Seele wird zur Arena. Doch Diabolos, der Verwirrer, trifft auf einen gut trainierten Asketen.

Die ersten Mönche – Radikalasketen

Antonius, das Jugendidol. Junge Männer eifern ihm nach. Die ersten Mönche sind Radikalasketen, die sich bis zum Exzess austesten, um Herr ihres Willens zu werden und sich auf Christus zu fokussieren. Thaleleus lebt zehn Jahre in einer Holztonne. Damian verharrt so lange mit ausgebreiteten Armen, bis sie völlig erstarrt sind. Julianus isst nur einmal in der Woche – etwas Hirsebrot mit Salz. Andere werden schließlich verrückt.

Bruder Jakobus sagt: „Die Gesellschaft braucht Lebenszeichen durch Menschen, die sich riskieren. Sie braucht Hoffnung, dass über Ökonomie und Sachzwänge hinaus der Mensch das Wichtigste ist. Kontemplation ist ein Katalysator für gesellschaftliche Prozesse. Sammelstelle für neue Gedanken. Schnittstelle von Leben und Poesie. Dass der Mensch nicht nur vernutzt wird, dass das Sein an keine Leistung gekoppelt ist – dafür sind wir Wächter. Der Eremit ist da und doch nicht da. Er tut durch Nichtstun. Denn die Leere erzeugt ja einen Sog, sie zieht Menschen und Fragen an. Leere heißt, sich nicht besetzen lassen, weder von Ängsten, noch von Euphorien. Denn bisweilen nimmt der Widersacher auch die Gestalt eines Engels an. Die Seele soll sein wie ein Gebirgssee: unbewegt und durchsichtig bis zum Grund.“

Im Kloster und in der Welt ist die Aufmerksamkeit auf den Anderen gerichtet. Auf dem Berg klappt alles ins Inwendige. Deshalb sei es schwieriger, nach ein paar Tagen in Beuron zurück zum Eremitenleben zu finden als umgekehrt. In der Klause beginnt ein ständiges Zwiegespräch mit den inneren Instanzen. Oft entstehen dabei so große Spannungen, dass Jakobus das alte Mauerwerk berührt, um sich zu erden. Wenn im Dorf die Lichter ausgehen, spielen sich oben Scharmützel ab: Was in seinen Gedanken ist Trug, was der Heilige Geist? Was ist Wahrheit, was Fata Morgana? Das sei die schwierigste Übung: sich selber auszuhalten, sagt er. Bis heute bemisst Jakobus sein Leben danach, ob es Bestand hat vor der Stimme, die ihn als jungen Mann beim Namen nannte und sagte: „Sei einfach, der du bist.“

Was ist seither geschehen?

Bruder Jakobus ist inzwischen 75 Jahre alt, mehr als 40 Jahre in der Klostergemeinschaft, 30 Jahre in der Klause und 50 Jahre auf dem geistlichen Weg. Wie blickt er auf die Welt von heute? „Wir leben in einer sehr aufgeladenen Zeit, ich sehe aber die spirituellen Kräfte der Menschheit im Wachstum“, sagt er. „Statistisch, was auch etwas sagen kann, ist das Christentum in den 2000 Jahren stark gewachsen. Etwa drei von acht Milliarden Menschen sind von Jesu Lehre der Güte und Barmherzigkeit erfüllt.“

Bei den vielfältigen Nöten der Menschen in einer globalen, in Ist-Zeit informierten Welt ahne er, so Bruder Jakobus, die Möglichkeiten jener Lehre – „selbst wenn Konkurrenten der Ich-Zentriertheiten das Gegenteil vorleben“. Das Beispiel der Tyrannen verschiedener Arten möge für kurze Zeiten wirkmächtig sein: „Mittel- und langfristig jedoch werden sich deren Lehren und Lebensmodelle als furchtbar und selbstzerstörerisch enthüllen.“

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