Die Einzelhändler im Land stöhnen über Berichtspflichten und Auflagen, die sie vom Handeln abhalten. Das hat die Konjunkturumfrage des Handelsverbands ergeben. Die Geschäfte laufen trotzdem gut.

Stuttgart - Der Einzelhandel in Baden-Württemberg profitiert von der guten Konjunktur. Die Umsätze sind in den ersten fünf Monaten dieses Jahres um 2,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. „Wir liegen damit sogar leicht über dem Bundesschnitt“, sagte der Präsident des Handelsverbands Baden-Württemberg (EHV), Horst Lenk, am Mittwoch in Stuttgart. Für das Gesamtjahr rechnet er mit einem Wachstum von mindestens zwei Prozent. Im vergangenen Jahr hatte die Branche im Südwesten rund 89 Milliarden Euro umgesetzt. Optimistisch stimmt Lenk vor allem die ungebremste Kauflaune: „Die weltweiten Krisen machen sich nicht im Geldbeutel der Kunden bemerkbar“, so der Verbandschef, der selbst ein Modehaus in Pforzheim betreibt.

 

Weil die Einkaufsmeilen im gerade angelaufenen Sommerschlussverkauf auch noch reichlich von der Sonne beschienen werden, gibt es in der Tat wenig Grund zur Klage für die Einzelhändler. Doch das könne sich schnell ändern, merkte die EHV-Hauptgeschäftsführerin Sabine Hagmann am Mittwoch an: „Die Rahmenbedingungen sind gut. Nur das Wetter oder die Politik können uns einen Strich durch die Rechnung machen.“ Hagmann verwies auf die jährliche Konjunkturumfrage des Handelsverbands, bei der in 330 Unternehmen im Land die Stimmung abgefragt wurde.

Jedes zweite befragte Unternehmen klagt über Bürokratie

In dieser Umfrage gab etwa jedes zweite Unternehmen an, unter „der überbordenden Bürokratie und zunehmenden Belastungen für den Mittelstand“ zu leiden. Dieses Thema beschäftigt die Unternehmen der Branche mit Abstand am meisten, so das Fazit der Befragung. „Gesetzesauflagen, Aufzeichnungspflichten für Mitarbeiter – auch beim neuen Mindestlohn – und verpflichtendes Ausfüllen von Statistiken oder kostenpflichtiges Einreichen von Bilanzen halten unsere Mitglieder immer mehr vom eigentlichen Handeln und damit vom Umsatz ab“, sagte Hagmann. Der Verband fordert daher eine bessere Handelspolitik in den Kommunen, konsequenten Bürokratieabbau und weniger Belastungen für seine Mitgliedsunternehmen.

Horst Lenk wies auf den tiefgreifenden Strukturwandel hin, in dem sich die Branche befinde: „Die Digitalisierung ist für den gesamten Wirtschaftszweig die größte Herausforderung“, so der Verbandspräsident, sie zwinge die Unternehmer geradezu zur technischen Aufrüstung. „Multi-Channel (die Bedienung verschiedener Absatzkanäle, d. Red.) revolutioniert den Handel und der Kunde gibt dafür das Tempo vor.“ Allerdings könnten die finanziellen und personellen Belastungen, die dieser Wandel mit sich bringt, nicht von jedem kleinen Einzelhändler getragen werden. Das geben auch die Ergebnisse der Konjunkturumfrage des Verbands wieder: Immerhin 77 Prozent der befragten Unternehmen gaben dabei an, ihre Waren nicht über das Internet zu verkaufen. Von denjenigen, die eigene Onlineshops haben oder fremde Plattformen nutzen, rechen mehr als 60 Prozent mit steigenden Online-Umsätzen für 2015. Lenk zog daraus folgenden Schluss: „Der Strukturwandel wird weitere Verlierer haben.“

Kommunen sollen die bestehenden Einkaufsflächen pflegen

Der Handelsverband sieht vor allem Geschäfte in kleineren Städten und jenseits der Ballungszentren bedroht. Dort sei die Gefahr, dass es zum Ladensterben und der Verödung von Fußgängerzonen kommt, am höchsten. Lenk forderte die Kommunen daher zum Schulterschluss mit den stationären Händlern auf: „Die Stadt findet ohne den Handel nicht statt.“ Die Kommunen müssten stärker in die Infrastruktur investieren. Statt immer mehr Flächen für Neuansiedlungen auszuschreiben, sollten sie zunächst einmal die bereits vorhandenen Flächen besser pflegen.

Trotz des notwendigen Ausbaus der digitalen Infrastruktur bleibe es Lenk zufolge das Kerngeschäft der knapp 40 000 Einzelhandelsunternehmen im Land, „vor Ort für den Kunden da zu sein“. Als Indiz dafür, dass sich der Onlineboom zumindest im Bekleidungsbereich abschwächt, deutet der selbstständige Unternehmer die Wachstumsraten des Monats Juni: Während der stationäre Handel bundesweit um 4,9 Prozent zulegte, stiegen die Onlineumsätze lediglich um 2,4 Prozent.