Der Platz vor dem Cannstatter Bahnhof ist ein beliebter Treffpunkt für wohnungslose und alkoholkranke Menschen oder auch Jugendliche. Das gefällt nicht allen: Die Anrainer sorgen sich um ihre Geschäfte und fordern Unterstützung vonseiten der Politik.

Bad Cannstatt - Manchmal stehen die Kunden des Vino Vero mitten am Tag vor verschlossenen Türen. Und das liegt nicht an zu kurzen Öffnungszeiten. „Wenn ich nur eine Minute auf der Toilette bin, muss ich die Tür absperren“, sagt Roland Ulbrich. Zu oft sei solch eine kurze Abwesenheit schon ausgenutzt worden, um Wein- oder Sektflaschen aus dem Eingangsbereich zu stehlen. Früher wäre eine solche Vorsichtsmaßnahme nicht nötig gewesen, sagt Ulbrich: „Die Situation rund um den Bahnhof hat sich verschlechtert.“

 

Seit 14 Jahren betreibt er die Weinhandlung am Cannstatter Bahnhof und hat beobachtet, wie der Bahnhof immer mehr zum beliebten Treffpunkt von wohnungslosen, alkohol- und drogenabhängigen Menschen wurde. „Besonders schlimm ist es seit der Wirtschaftskrise“, sagt Ulbrich. An den Wochenenden gesellten sich Jugendliche dazu, die sich mit Schnaps und Bier für einen Besuch im Stadion oder auf dem Wasen rüsteten. Allen gemein sei, dass sie laut seien, ab einem gewissen Alkoholpegel Passanten belästigten und seinem Geschäft schadeten.

Müll und Exkremente

„Die Baumgruppe gegenüber meinem Eingang wird zum Beispiel als Toilette missbraucht, der Parkplatz als Müllkippe“, nennt Ulbrich weitere Ärgernisse, mit denen er sich täglich auseinandersetzen muss. Jeden Morgen kehrt er erst einmal Scherben, bevor er sein Geschäft überhaupt aufschließt. Ein Umzug komme dennoch nicht infrage – dafür sei die Lage am Bahnhof zu gut. „Mein Geschäft liegt zentral in Bad Cannstatt, ist gut mit dem Auto und den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, und es gibt Parkplätze direkt vor der Tür“, erklärt Ulbrich.

Für die Probleme rund um den Bahnhof sieht er nur eine Lösung: „Außer bei öffentlichen Veranstaltungen sollte es verboten sein, auf öffentlichen Plätzen Alkohol zu trinken.“ Diese Forderung würde auch Alberto Carpene unterstützen. Seine Familie betreibt seit zwölf Jahren das Eiscafé San Marco direkt gegenüber dem Bahnhof. In dieser Zeit sei die Stimmung zunehmend aggressiver geworden. „Es gibt häufig Streit und Prügeleien“, beobachtet Carpene. Solche Szenen tragen seiner Meinung nach nicht dazu bei, dass sich die Leute gerne ein Eis oder einen Kaffee bei ihm schmecken lassen. Carpene fühlt sich von der Stadt im Stich gelassen: „Ich kann einfach nicht glauben, dass man da nichts tun kann.“

Um seinem Anliegen Nachdruck zu verleihen hat Carpene in den umliegenden Geschäften Mitstreiter gesucht – und nach eigenen Angaben rund 30 Unterschriften dafür gesammelt, den Bahnhof erneut auf die Agenda der politischen Gremien zu setzen.

Keine rechtliche Handhabe

Dies ist gelungen: „Der Runde Tisch, an dem neben Stadt- und Bezirksbeiräten auch die Polizei, die Straßensozialarbeit und der Gewerbeverein sitzen, hat sich zu einer außerordentlichen Sitzung getroffen“, sagt der Cannstatter Bezirksvorsteher Thomas Jakob. In dieser Runde sei sowohl über die Situation am Bahnhof als auch über die steigende Zahl an Bettlern in Bad Cannstatt gesprochen worden. Beide Personengruppen schadeten dem Stadtbild Cannstatts und den Einzelhändlern, rechtlich gebe es jedoch leider kaum eine Handhabe: „Das Polizeigesetz gibt es derzeit nicht her, trinken und betteln zu verbieten. Deshalb sind uns als Ansprechpartnern vor Ort die Hände gebunden“, sagt Jakob. Er appelliert an den Landtag, die Polizeiverordnung zu ändern. „Ich bin für eine Veranstaltung vor Ort, bei der sich die Abgeordneten den berechtigten Beschwerden der Geschäftsleute stellen.“

Diese Einschätzung bestätigt ein Polizeisprecher: „Der Bahnhofsvorplatz in Bad Cannstatt ist als Brennpunkt bekannt, die Streifen fahren dort regelmäßig vorbei.“ Eingreifen könnten die Beamten jedoch nur, wenn die betreffenden Personen auffielen, etwa, weil sie viel zu laut seien oder sich prügelten. „Dann werden auch Platzverweise ausgesprochen“, so der Polizeisprecher. In der nun beginnenden kalten Jahreszeit, wenn sich der Treffpunkt mehr unter die Dächer verlagert, sind der Stuttgarter Polizei die Hände noch mehr gebunden: Für das Bahnhofsgebäude selbst ist die Bundespolizei zuständig.