Kälte und Regen im Frühling sowie die Sparsamkeit und Häuslebauer-Mentalität der Baden-Württemberger sorgen dafür, dass die Einzelhändler im Südwesten weniger stark zulegen als ihre Kollegen im Bund. Doch in einem Bereich nehmen die Verkäufe stark zu.

Stuttgart - Die Einzelhändler im Land haben im ersten Halbjahr 2016 nur ein leichtes Umsatzplus von 1,7 Prozent im Vergleich zu Vorjahreszeitraum erzielt und setzen nun ihre Erwartungen auf die zweite Jahreshälfte. Anders als in den Vorjahren entwickelten sich die Geschäfte in Baden-Württemberg schlechter als im Bund, wo die Einzelhändler im erste Halbjahr einen Zuwachs von 2,4 Prozent verzeichneten.

 

Ein Vorteil, den die Südwest-Händler erfahrungsgemäß gegenüber der Konkurrenz aus anderen Bundesländern haben, sei in diesem Jahr zum Nachteil geworden, erklärte die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbandes Baden-Württemberg (HBW), Sabine Hagmann, am Freitag bei der Vorstellung der Halbjahreszahlen in Stuttgart: „Wir hatten gerade im Frühjahr deutlich schlechteres Wetter als die Händler im Norden oder im Osten Deutschlands.“ Die Mentalität des Konsumenten in Baden-Württemberg spiele ebenfalls eine Rolle: Einerseits würde hier trotz Niedrigzinsen immer noch mehr Geld auf die hohe Kante gelegt. Und wenn der Schwabe, Hohenloher oder Badener doch investiert, dann oftmals gleich richtig: ins Häusle, den Garten oder die Wohnung, so Hagmann.

Umsatzplus von zwei Prozent für 2016 prognostiziert

Die gesamte Branche im Land umfasst rund 44 000 Einzelhändler und mehr als 500 000 Beschäftigte. Im Handelsverband sind rund 10 000 Unternehmen organisiert, die zusammen für 80 Prozent der im Land erzielten Handelsumsätze stehen. Nach Angaben des Verbands haben alle Händler im Südwesten im vergangenen Jahr rund 103 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet (Bund: 472 Milliarden Euro). Weil die Geschäfte im zweiten Halbjahr erfahrungsgemäß noch zulegen, rechnet der HBW-Präsident Horst Lenk für 2016 mit einem Wachstum von mindestens zwei Prozent. „Der private Konsum ist ein Träger der Wirtschaft“, sagte Lenk. Die geringe Arbeitslosigkeit und das niedrige Zinsniveau würden den Konsum ankurbeln, davon profitiere auch der Einzelhandel.

Die Händler im Land sehen sich neben schlechtem Wetter aber noch mit einer Reihe von anderen Herausforderungen konfrontiert. In seiner aktuellen Konjunkturumfrage hat der Handelsverband die Stimmung in 340 Unternehmen mit Sitz in Baden-Württemberg abgefragt. Das Ergebnis: Die Händler sehen sich am meisten geplagt durch wachsende bürokratische Belastungen, einen Attraktivitätsverlust der Innenstädte sowie die immer stärker werdende Konkurrenz im Internet.

Nahezu drei Viertel der befragten Händler beschäftigen maximal 20 Mitarbeiter. Sie haben mehrheitlich angegeben, keine Waren über das Internet zu verkaufen. Viele dieser kleinen Betriebe scheuen die zusätzlichen Investitionen für IT, Logistik, Vertrieb und Personal, die ein eigener Onlineshop für sie bedeuten würde.

Handelsverband unterstützt Händler beim Homepage-Bauen

Doch wie wollen sich diese stationären (Fach-)Händler langfristig am Markt behaupten? Horst Lenk rät ihnen trotz der Kosten zur digitalen Aufrüstung: „Es ist nicht mehr die Frage, ob, sondern wie sie die Digitalisierung anpacken.“ Der Onlinehandel habe sich zur wichtigsten Zäsur im Einzelhandel seit der Einführung der Selbstbedienungs-Märkte in den 1960er Jahren. Jeder Einzelhändler müsse heute zumindest im Netz sichtbar sein, schließlich würden die meisten Einkäufe vorher online vorbereitet. „Die Homepage eines Händlers muss mehr zeigen als seine Adresse und seine Öffnungszeiten“, sagte Lenk, der selbst ein Modehaus in Pforzheim betreibt. Die angebotenen Marken müssten genauso auf der Webseite zu finden sein wie aktuelle Kollektionen. Es schade auch nicht, wenn sich der Chef und seine Mitarbeiter dort ebenfalls präsentieren. Der Handelsverband unterstütze gerade mittelständischen Firmen dabei, sich digital auf den neuesten Stand zu bringen. Den Anteil derer, die dort schon sind, schätzt Lenk auf etwa 60 Prozent.

Mehr Unterstützung erhofft sich der Handelsverband auch aus der Politik, sowohl im Bund als auch im Land und in den Kommunen. So müsste etwa der Ausbau von freien WLAN-Netzen in Innenstädten schneller voranschreiten: „Kunden möchten sich nicht nur vor, sondern auch während ihres Einkaufs informieren“, sagte HBW-Geschäftsführerin Hagmann. Der Verband verlange auch seit langem vergeblich, dass keine Gewerbesteuer mehr auf Mieten und Pacht erhoben werden soll.