Alteingesessene Händler müssen schließen, weil viele Menschen den Großteil ihrer Einkäufe online erledigen. Gerade das Internet soll nun in Murrhardt dazu beitragen, dass Kunden verstärkt vor Ort einkaufen. Wie funktioniert das?

Leserredaktion : Kathrin Zinser (zin)

Murrhardt - Kann das Internet dafür sorgen, dass wieder mehr Menschen beim Einzelhändler vor Ort einkaufen? Was im ersten Moment wie ein Widerspruch klingt, soll mit sogenannten Lokalen Online-Marktplätzen erreicht werden – unter anderem in Murrhardt. Die 14 000-Einwohner-Stadt ist eine der Gewinnerinnen des Ideenwettbewerbs „Lokaler Online-Marktplatz“ des Landes und erhält 121 000 Euro. „Der Gewinn bedeutet die Chance, das Projekt mit mehr Ressourcen umzusetzen, als uns dies ansonsten möglich wäre“, sagt Armin Mößner, der Murrhardter Bürgermeister.

 

Das Konzept sieht vor, dass mithilfe eines entsprechenden Dienstleisters eine Plattform im Internet entsteht, auf der die ortsansässigen Geschäfte sich und ihre Produkte vorstellen. Der Kunde kann die Ware dann entweder zurücklegen lassen, um sie selbst abzuholen, oder sich seine Einkäufe per Post oder von einem Boten nach Hause liefern lassen. So solle der stationäre Handel online sichtbar gemacht werden, erläutert der Bürgermeister.

Beratung kostet was – vielen ist das nicht klar

„Vielen Bürgern ist nicht bewusst, was für Läden und ein breites Sortiment wir hier in Murrhardt haben“, sagt Ulrike Lang, die stellvertretende Vorsitzende des Stadtmarketingvereins. Rund 30 Einzelhandelsgeschäfte gebe es noch – „das ist eine recht gute Zahl in Anbetracht der Größe der Stadt“. Die meisten von ihnen gehören nicht Handelsketten an, sondern sind inhabergeführt wie die Parfümerie, die das Ehepaar Lang in der dritten Generation betreibt.

Die Konkurrenz aus dem Internet mache es vielen örtlichen Händlern schwer. Einen Online-Auftritt zu pflegen komme für sie zur Arbeit im Geschäft obendrauf, eigene Ressourcen dafür gebe es nicht, schildert Ulrike Lang. „Manche Kunden lassen sich hier in der Parfümerie beraten und sagen mir dann: Das ist im Internet billiger“, erzählt sie. „Beratung kostet was“, antworte sie darauf manchmal, und tatsächlich sei es ihr schon gelungen, den einen oder anderen Kunden vom Einkauf vor Ort zu überzeugen. „Manche hatten sich das zuvor noch gar nicht überlegt“, sagt Ulrike Lang. Sie hat beobachtet, dass das Bedürfnis nach Beratung nach wie vor vorhanden ist. Aber: „Es geht auch um den sozialen Kontakt.“

Investitionen von 151 000 Euro

Mit Aktionen wie Handmassagen versuchen sie und ihr Mann, den Einkauf in der realen Welt interessant zu machen, auch Kooperationen mit anderen Einzelhändlern Murrhardts gibt es. „Jeder bemüht sich, was Gutes zu machen“, sagt Lang. Es sei zudem wichtig, bei der Beratung immer auf dem neuesten Stand zu sein. „Oft ist der Schock bei den Leuten erst groß, wenn ein Laden tatsächlich zumachen muss“, berichtet Lang. In Murrhardt musste beispielsweise schon ein Lebensmittelhändler schließen. „Hinterher jammern dann alle, dass man ja im Ort überhaupt nix mehr bekommt“, sagt die stellvertretende Vorsitzende des Stadtmarketingvereins.

Die Leerstandsstatistik der Stadt entspreche dem landesweiten Durchschnitt, sagt Armin Mößner. Durch den Lokalen Online-Marktplatz erhoffe man sich eine größere Kaufkraftbindung vor Ort. Insgesamt 151 000 Euro kostet das Projekt, 30 000 Euro dieser Summe übernimmt die Kommune. Für den operativen Bereich solle eigens ein sogenannter Kümmerer eingestellt werden, der unter anderem für Marketingmaßnahmen zuständig sei, neue Händler für die Plattform hinzugewinne und sie bei Bedarf auch berate und der letztlich die Voraussetzungen dafür schaffen solle, dass der Lokale Online-Marktplatz nach dem Ende der Landesförderung eine Zukunft habe, erklärt Mößner.

Ein Großteil der Einzelhändler in Murrhardt stehe dem Projekt positiv gegenüber, sagt Ulrike Lang. „Natürlich gibt es immer welche, die Angst vor Veränderungen haben oder mehr Arbeit befürchten.“ Doch in anderen Städten habe ein Lokaler Online-Marktplatz bereits zu einem Kundenschub im stationären Handel geführt: Anstatt sich die Waren schicken zu lassen, kauften die Menschen offenbar gleich vor Ort, nachdem sie auf der Plattform im Internet gesehen hätten, dass es das gewünschte Produkt auch vor der Haustür gebe.

Göppingen hat sich mehr erhofft

In Göppingen existiert eine entsprechende Internetplattform seit drei Jahren, getragen wird sie vom Marketingverein Göppinger City. „Wir waren damals erst die zweite oder dritte Stadt bundesweit nach Wuppertal“, sagt Oliver Sihler, der Geschäftsführer. 60 der 160 Mitglieder präsentieren ihre Händlerprofile und Produktportfolios, veröffentlichen Geschenketipps auf der Seite „onlinecity.gp“.

Obwohl die Zugriffszahlen auf die Seite recht gut seien, gebe es sehr wenige Bestellungen: „Es sind keine zehn pro Woche“, sagt Sihler. Ob das Portal die Menschen verstärkt dazu bringe, vor Ort einzukaufen, sei schwer zu sagen. „Dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen.“ Als kleiner Marketingverein habe man aber auch nicht die Mittel, umfassend für den Online-Marktplatz zu werben, der nur eine von vielen Aktivitäten sei, mit denen der Verein den stationären Handel in Göppingen stärken wolle.

„Wir haben uns schon ein bisschen mehr davon erhofft“, gibt Sihler zu. Am Leben erhalten wolle man die Plattform aber auf jeden Fall – in optimierter Form. Es sei wichtig zu zeigen, dass es vor Ort eine Vielfalt an Geschäften gibt, dass es sich lohne, in die Stadt zu gehen. „Der Online-Marktplatz ist kein Allheilmittel, aber wir müssen wenigstens versuchen, im Internet präsent zu sein“, betont Sihler.