Der nächste Ort, an dem der Konflikt wirtschaftlicher Riese gegen inhabergeführten Einzelhandel ausgetragen wird, zwischen Lautenschlager- und Friedrichstraße in Stuttgart. Der Gebäudekomplex gehört zur LBBW Immobilien GmbH.

Stuttgart - Die Geschichte vom Verlust der Vielfalt des Einzelhandels in Stuttgart ist in jüngster Vergangenheit in verschiedenen Variationen erzählt worden. Angefangen vom Ende von Haufler am Markt über die Verkleinerung von Spielwaren Kurtz bis zur angeblichen Bedrohung der Innenstadt durch die Shopping-Kolosse namens Gerber und Milaneo. Der nächste Ort, an dem der Konflikt wirtschaftlicher Riese gegen inhabergeführten Einzelhandel ausgetragen wird, ist der Gebäudekomplex zwischen Lautenschlager- und Friedrichstraße.

 

Noch residiert an dieser Stelle unter anderem das Spielwarengeschäft 1000schön, und das seit 16 Jahren. 1000schön-Gegenspieler ist ausnahmsweise keine Kette und auch kein Investor aus einer anderen Stadt, sondern die Immobilienabteilung der Landesbank Baden-Württemberg. Die LBBW Immobilien GmbH will den Komplex ertüchtigen, um das Gebäude aufzuwerten, wie es die Immobilienexperten formulieren. Die Vorbereitungen für die Abrissarbeiten haben bereits begonnen. Die Gebäude werden derzeit entkernt. Erste Auswirkungen sind seit kurzem an der Friedrichstraße zu bewundern. Hier bleibt der Fahrstreifen auf der Höhe des ehemaligen Filmhauses genauso für mehrere Wochen gesperrt wie eine Fahrspur im Schlossplatztunnel.

Die Bank soll sich gewandelt haben

Leidtragende sind auf dieser Seite die Autofahrer, die nun nicht erst ab dem Milaneo im Stau stehen, sondern schon vor dem Hauptbahnhof. Leidtragende ist auf der anderen Seite vor allem die Familie Bansemer. Horst Bansemer hat die erste 1000schön-Filiale 1983 eröffnet. Seine Tochter Lisa würde das Familienerbe gerne antreten und den Laden eines Tages übernehmen. Ob es soweit kommt, ist aber unklar. Die LBBW Immobilien GmbH hat der Familie zum 30. Juni 2015 den Mietvertrag gekündigt. „Ich habe von der Kündigung am Telefon erfahren, als ich den Vertrag verlängern wollte“, sagt Horst Bansemer. Der 67-Jährige will kein Mitleid. Was Bansemer aber will, ist Respekt: „Die persönliche Ansprache, die wir mit der Bank früher hatten, ist auf der Strecke geblieben. Früher wurden wir als Mensch und Mieter freundlich behandelt, heute scheinbar nur noch als störender Faktor wahrgenommen“, sagt Bansemer.

Die LBBW Immobilien GmbH sieht das naturgemäß anders. Selbstverständlich habe man die Mieter frühzeitig über das anstehende Projekt informiert. Zu ihrem Bauvorhaben will sich das Unternehmen noch nicht offiziell äußern. Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung plant die Bank, das gesamte Areal vom ehemaligen Filmhaus an der Friedrichstraße inklusive der Gebäude an der Lautenschlagerstraße bis hinauf zum Fußgängerübergang nahe der Bolzstraße auf einen Schlag zu entwickeln, wie es wiederum in der Immobiliensprache heißt.

Das Projekt wird jedenfalls eine mehr als spürbare Lücke in die Bausubstanz der Stadt reißen. Das Filmhaus wird abgerissen, genau wie das Gebäude Lautenschlagerstraße 22/2. „Bereits im November wird der Abriss von außen sichtbar werden“, berichten Kenner der Pläne. Im Frühjahr soll von den Häusern nichts mehr übrig sein. Danach will man beginnen, die Baugrube auszuheben, um Mitte kommenden Jahres mit dem Bau der neuen Gebäude anfangen zu können.

Acht Monate Gnadenfrist

Die weiteren Häuser, die Teil des Immobilienprojekts werden, sollen zudem saniert werden. „Das betrifft die Adressen Lautenschlagerstraße 24 und 22/1 sowie die Friedrichstraße 23 B“, so der Insider – also auch den Spielzeugladen 1000schön.

Während der 1000schön noch acht Monate Gnadenfrist hat, ist das Stadtmessungsamt als einer der ersten Mieter aus dem Gebäudekomplex ausgezogen. „Wir wurden fristgerecht gekündigt und haben schnell eine andere Bleibe gefunden“, erklärt Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU). Die Vorstellung, dass eine Landesbank nicht nur die Rendite im Auge haben dürfe, sondern sich auch für die Vielfalt des Einzelhandels einsetzen müsse, verweist Föll ins Reich der Romantik. Eine Stadtverwaltung könne noch weniger in die Regulierung des Einzelhandels eingreifen. „Das ist auch nicht unsere Aufgabe. Am Ende entscheidet der Kunde, ob er bei einer Kette oder bei einem inhabergeführten Einzelhändler einkauft“, so Föll.

Auch Breuninger profitiert von kleinen Fischen

Horst Bansemer sieht das anders. „Natürlich entscheidet der Verbraucher. Wir haben aber jeden Tag Kunden, die sagen, dass sie künftig nicht mehr nach Stuttgart kommen, weil die Vielfalt auf der Strecke bleibt.“ Bansemer fordert mehr Solidarität von den großen Akteuren für die Ladenlokale, die für eine Stadt identitätsstiftend seien. „Am Ende profitiert auch ein Breuninger von einem kleinen Fisch, wie wir es sind.“ Bansemer könne sich einen Topf vorstellen, aus dem inhabergeführte Händler bei der Miete entlastet werden.

Das erste Opfer der LBBW-Pläne gibt es übrigens schon: Der Club Rocker 33, der vor acht Monaten aus dem Filmhaus ziehen musste, hat Insolvenz angemeldet (siehe nebenstehender Artikel). Dabei muss das Bauvorhaben der LBBW die letzten internen Hürden offenbar noch nehmen – außerdem wird für das Projekt noch ein passender Name gesucht. Danach will man den Bauantrag bei der Stadt einreichen. Der Zeitplan erscheint ambitioniert – bereits Anfang 2017 soll das Projekt abgeschlossen sein. Bei der Nutzung plant der Bauherr keine Experimente. Im Erdgeschoss ist Einzelhandel geplant, darüber sollen Büroflächen entstehen, in den obersten Stockwerken Wohnungen. Eine genaue Aufteilung wird noch erarbeitet.