Botnanger Geschäfte verhüllen ihre Schaufenster, um auf die Folgen des Internethandels aufmerksam zu machen. Sie wollen zeigen, wie Stadtteile aussehen könnten, wenn die Menschen nur noch im Internet einkaufen.

Stuttgart - Die Einkaufssträßchen in Botnang rund um die Franz-Schubert-Straße werden sich in den kommenden Tagen drastisch verändern. Die Schaufenster werden mit Zeitungen verhüllt, das Bild einer ausgestorbenen Stadt wird simuliert. „So sieht die Stadt aus, wenn alle nur noch im Internet einkaufen“, wird auf dem Sichtschutz aus Papier zu lesen sein.

 

Aus Sicht der Initiatorin Ursula Kloke nimmt ihre Aktion nur das vorweg, was derzeit noch lebendigen Stadtteilen bevorsteht. „Meine Branche war vom Internet als erste direkt betroffen“, sagt die Buchhändlerin. Seit 2001 betreibt sie gemeinsam mit ihrem Mann den Botnanger Buchladen. Dass Kunden ins Internet abgewandert sind, sei ein schleichender Prozess gewesen, sagt Kloke. „Wir wollen niemanden belehren. Wir wollen nur eine Debatte anstoßen“, so die gelernte Buchhändlerin.

„Was gerade geschieht, ist ein grundlegender Strukturwandel“, sagt Sabine Hagmann, die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg. „Das ist vergleichbar mit dem Wandel von Tante-Emma-Läden zu Supermärkten in den 1960er und 70er Jahren.“ Ihrer Einschätzung nach gewinnt der Online-Handel stetig an Dynamik. Rund 33 Milliarden Euro wurden in diesem Bereich 2013 bundesweit umgesetzt. Für das laufende Jahr rechnen Experten mit einer Steigerung auf mindestens 36 Milliarden. Zum Vergleich: 1999 lag diese Zahl noch bei 1,25 Milliarden Euro. Insgesamt wurden im Einzelhandel im vergangenen Jahr bundesweit 428 Milliarden Euro umgesetzt.

Internet betrifft auch Cafés und Friseure

„Der Verbraucher muss sich über die Folgen seiner Kaufentscheidung klar sein“, sagt Hagmann, „daher ist es eine positive Sache, was da gemacht wird.“ Genau aus diesem Grund haben sich in Botnang auch ein Restaurant und ein Friseur der Aktion angeschlossen. Insgesamt elf Geschäfte werden am Donnerstagabend damit beginnen, ihre Schaufenster zu verhüllen. „Es hat nicht lang gedauert, die anderen Inhaber von meiner Idee zu überzeugen“, sagt die Buchhändlerin Kloke. „Das Internet betrifft uns alle.“ Geben Buchgeschäfte, Optiker und Boutiquen vor Ort auf, fehlen auch den Dienstleistern die Kunden, so die Logik der Botnangerin. „Wenn hier keiner mehr arbeitet und einkauft, geht hier auch keiner mehr Essen oder zum Friseur.“

Aus Sicht der Stuttgarter City-Initiative gibt es allerdings einen klaren Unterschied zwischen Stadt und Stadtteil. „Wir finden die Aktion gut, denn es ist wichtig, dass die Menschen sehen, wie die Stadtteile ausschauen, wenn die wichtigen Funktionen des Handels nicht mehr ausgeübt werden können“, sagt die City-Managerin Bettina Fuchs. In Bezug auf die Stadtmitte sei eine Einschätzung jedoch schwieriger: „Es gibt keine allgemeine Tendenz, was die Entwicklung des Umsatzes angeht. Es gibt Geschäfte, die sich nach wie vor über Zuwächse freuen, aber auch Geschäfte, die Einbußen zu beklagen haben“, so Fuchs. Allein das Internet dafür verantwortlich zu machen sei zu einfach. Die City-Managerin rät zu einer Doppelstrategie: „Reine Online-Händler, wie beispielsweise Zalando, Mytoys oder Mymüsli haben entschieden, auch den stationären Handel zu nutzen“, sagt Fuchs. „Die Verzahnung von stationär und online scheint demnach die beste Strategie zu sein.“

Auch jüngere Menschen kaufen noch vor Ort

Eine Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach könnte den althergebrachten Einzelhändlern zusätzlich Mut machen. Demnach informieren sich 52 Prozent der unter 30-Jährigen im Internet über ein Produkt, kaufen dieses dann aber vor Ort. Und: je älter die Kunden, desto höher ist der Prozentsatz. „Das ist eine tolle Botschaft, die aber verstanden werden muss“, sagt Hagmann. „Es ist wichtig, im Internet als Händler präsent zu sein und über Öffnungszeiten und das eigene Angebot zu informieren, denn nur so wird man von diesen Kunden am Ende gefunden.“

Auch der Botnanger Buchladen hat eine Homepage. „Das machen wir seit zehn Jahren“, sagt Kloke. Doch in erster Linie will sie vor Ort Bücher verkaufen, die Kunden beraten und mit einem zufriedenen und fachkundigen Team zusammenarbeiten. „Die Idee für die Verhüllungsaktion kam mir in Zusammenhang mit der Diskussion über die schlechten Arbeitsbedingungen bei Amazon“, sagt sie. Überall wo Preisdumping betrieben werde, müsse bei den Mitarbeitern gespart werden. Den Effekt der Amazon-Debatte hat die Buchhändlerin direkt gespürt: „Wir hatten wohl auch aus diesem Grund ein überraschend gutes Weihnachtsgeschäft“, sagt sie.

In Botnang sind die Schaufenster eine Woche lang verhüllt, vom 8. Februar an erfüllen sie wieder ihren eigentlichen Zweck. Die Geschäfte bleiben in der Zwischenzeit jedoch geöffnet.