Manche setzen sogar auf Hightech: Eisige Bedingungen lassen in Pyeongchang Atemwärmer und batteriebetriebene Wärmezellen in der Kleidung zum Einsatz kommen.

Pyeongchang - Vor vier Jahren hätte man eine Badehose mit nach Sotschi nehmen können, bis zu 19 Grad herrschten an manchen Tagen in der Olympiastadt am Schwarzen Meer. In Pyeongchang kommt niemand auf die Idee, ans Meer zu fahren, um ein Sonnenbad zu nehmen – obwohl Gangneung, wo die olympischen Eishallen stehen, nur etwa 35 Kilometer entfernt vom Japanischen Meer liegt. Die eisige Kälte hat Olympia fest im Griff. Sobald die Sonne untergegangen ist, fällt das Thermometer auf unter minus zehn Grad – das muss nicht schockieren, es handelt sich in Pyeongchang ja um Winterspiele. Aber es soll noch kälter werden.

 

Der Frost ist vor allem ein unangenehmes Begleitprogramm für Zuschauer und Berichterstatter, die Sportler kommen normalerweise ganz ordentlich mit den arktischen Bedingungen zurecht. „Ich habe mir zwei Garnituren Ski-Unterwäsche und Heizsocken eingepackt“, sagt Alpin-Star Viktoria Rebensburg. Kanadier und US-Athleten tragen Skihosen und Parkas, in die batteriebetriebene Wärmezellen eingewoben sind. Zwar könnten Wettbewerbe wegen extremer Kälte abgesagt werden, doch die Grenzwerte, die im Biathlon und im Langlauf gelten, liegen bei minus 20 Grad – so tief ist die Temperatur noch nicht gesunken. In den anderen Freiluft-Disziplinen existieren keine strikten Limits, Skispringen ist (fast) immer möglich. „Wir sind schon bei minus 25 Grad in Kuusamo gesprungen“, sagt Markus Eisenbichler, „das ist kein Problem.“ Bundestrainer Werner Schuster sieht das derzeitige Klima positiv: „Wir nehmen das als gutes Omen – wenn es sehr kalt ist, ist es nicht so windig.“

Was nur zeigt: Es ist nicht die Kälte, es ist der starke und böige Wind, der die Spiele durcheinanderwirbelt. Ein koreanisches Sprichwort sagt: Es gibt keinen Ort, wo der Wind nicht weht. Darin liegt viel Wahrheit. Männer-Abfahrt verschoben, ebenfalls der Frauen-Riesenslalom. Das Springen von der Normalschanze wurde oft unterbrochen, die Slopestyler klagten über irreguläre Bedingungen. Nicht nur das, sogar Gefahr ist dabei in Verzug. Der Wind hat am Montag im Zielraum der Riesenslalom-Strecke eine TV-Kamera erfasst, sie stürzte von einem zehn Meter hohen Podest. Verletzt wurde niemand. Ein Überblick über Wind und Wetter in Pyeongchang.

Atemwärmer helfen

Die Kälte verursacht bei den Sportlern hauptsächlich zwei Probleme. „Erfrierungen können immer auftreten, dazu Probleme mit der Lunge. Das muss man für den Wettkampf berücksichtigen“, sagt der deutsche Mannschaftsarzt Bernd Wolfarth. Wichtig ist es, freiliegende Körperteile wie Hände und Hautflächen im Gesicht gut zu schützen. „Heiße Schokolade aus Norwegen ist auch beliebt“, betont die norwegische Teamärztin Mona Kjeldsberg. Ob sie es ernst meint? Atemwärmer helfen auf jeden Fall, um den Minusgraden zu begegnen. Die etwa 40 Euro teuren Geräte, ein gutes Stück kleiner als eine Zigarettenschachtel, werden in den Mund gesteckt – beim Ausatmen erwärmt der warme Atem die Aluminiumlamellen im Innern, auch die Feuchtigkeit bleibt daran haften, beim Einatmen wird die kalte Luft erwärmt und befeuchtet. Dadurch fällt das Atmen leichter, es wird zudem das Risiko einer Infektion verringert. Im Training gehören diese Geräte dazu wie dicke Mützen, Schals und Handschuhe.

Rebensburg nimmt’s mit Humor

Viktoria Rebensburg saß am Montag in der Gondel hinauf zum Drachenberg, als ihre Goldmission abgeblasen wurde. „Ich habe eine Runde gedreht mit der Gondelbahn, das passiert mir wirklich sehr selten, dass ich da sitzen bleibe“, sagte Rebensburg und lachte, sie nahm die windbedingte Absage des Riesenslaloms mit Humor. Für die Spiele in Südkorea sind die Wetterkapriolen in den Bergen von Pyeongchang jedoch alles andere als ein Spaß. Den Alpinen droht ein Terminchaos, die Snowboarder beklagen Verletzte und den fragwürdigen Slopestyle-Wettbewerb der Frauen. „Ich hatte Angst um mein Leben“, sagte Silje Norendal (Norwegen) unter Tränen. Beim Einfahren für das Finale war Silvia Mittermüller von einer Böe erfasst worden und zog sich einen Meniskusriss zu – es war nicht die einzige Blessur in Bokwang.

Ammann kühlt fast aus

Die größte Auswirkung hatte die Kälte auf das Springen von der Normalschanze. Der Wettbewerb dauerte bei gefühlten minus 20 Grad nicht nur knapp drei Stunden, sondern erstreckte sich sogar über zwei Tage: Er lief von 22.30 bis 0.20 Uhr. Hinterher waren sich alle Beteiligten einig, so ein Tiefkühlspringen noch selten erlebt zu haben. Besonders hart traf es Simon Ammann, der Schweizer musste wegen des Windes gleich fünfmal vom Balken herunter, wurde in Decken gehüllt, während emsige Funktionäre versuchten, seinen Körper in dem dünnen Anzug nicht völlig auskühlen zu lassen. Vergeblich. „So war ich noch nie am Limit“, sagte Ammann, „das war ein Braveheart-Wettbewerb.“ Nach dem Olympiasieg von Andreas Wellinger war die Stimmung bei Werner Schuster zwar nicht frostig, aber auch der Bundestrainer meinte: „Das war grenzwertig, Karl Geiger wäre uns fast erfroren. Man war oben an der Schanze zu wenig gerüstet, hätte ein paar Heizstrahler hinstellen können.“

Zugepflastert mit Tapestreifen

Wer Dominik Windisch heißt, dem machen Böen nichts aus. Gegen alles andere kann man sich schützen. Nach dem Sprintrennen zog der italienische Biathlet die Handschuhe aus, hielt seine Arme in die Kameras. Jeder Finger und auch die Handrücken waren komplett mit gelben Tapestreifen zugepflastert. „Ich wollte, dass möglichst wenig kalte Luft an die Haut kommt“, sagte Windisch – und grinste. „Weil es so dermaßen kalt war, habe ich die ganze Zeit über die Temperaturen nachgedacht. Und nicht, wo ich eigentlich im Rennen liege. Das ist mein Erfolgsrezept gewesen.“ Windisch war dank der besten Laufzeit auf Rang drei gestürmt. Man könnte sagen: in Windeseile.

Kein Glühwein im Angebot

Auch die Zuschauer werden auf eine harte Probe gestellt. Die Tribünen bieten zwar meist ein Dach, doch das nützt nichts gegen Kälte und Wind. Entweder die Olympiatouristen gehen in die Aufwärmzelte, wo sie das Geschehen aber lediglich am Fernsehen verfolgen können, sie wärmen sich an den wenigen Heizpilzen – oder sie ertragen einfach alles. Anders als in Europa gibt es keine Stände, an denen man Glühwein oder warme Würstchen kaufen kann. Meist hat es ein, zwei Verkaufscontainer, wo aber vor allem Kaltgetränke und Schokoriegel angeboten werden. Vielleicht mal eine Nudelsuppe. Aber das reicht natürlich nicht, um einen ganzen Körper von innen zu wärmen.

Busfahrer kennt keine Gnade

Journalisten sollten sich bei Olympischen Spielen zwar nicht zu wichtig nehmen, aber auch Medienvertreter haben natürlich ihre Not. Ein Fotograf, der mehr als eine Stunde am Eiskanal in Position saß, präsentierte bei der Rückkehr ins Pressezelt den Kollegen seine Wasserflasche – der Inhalt war fast komplett gefroren. Und wenn Journalisten nach dem sportlichen Spätprogramm weit nach Mitternacht ins 40 Kilometer entfernte Media Village nach Gangneung zurück wollen, ist der Bus mitunter ziemlich überfüllt. Der Fahrer aber lässt alle, die keinen Sitzplatz ergattert haben, auch bei minus 15 Grad und eisigem Wind an der Haltestelle stehen. Wartezeit: 30 Minuten. Warum die Wettbewerbe so spät stattfinden? Damit die Spiele in Europa am Nachmittag im Fernsehen zu sehen sind, schließlich haben die Sender viel Geld für die TV-Rechte bezahlt. Wind und Frost spielten bei dieser Terminplanung keine Rolle. Nun schlagen sie eiskalt zurück.

Was bringt das Klima in Peking 2022?

Das Kontrastprogramm zu Pyeongchang bot Sotschi. Dort fanden im Februar 2014 Sommerspiele statt. Mit Temperaturen bis zu 19 Grad. Langläuferinnen, die in T-Shirts trainierten. Sonnencreme als Verkaufsschlager. Wer Daunenjacke oder Winterparka nutzen wollte, musste zum Eishockey, Curling oder Shorttrack: Winter gab es in Sotschi nur in den Hallen. 2022 finden die Winterspiele in Peking statt. Im Februar gibt es dort Temperaturen rund um den Gefrierpunkt. Aber auch ein Klima, das immer für Überraschungen gut ist.