Das Hoch "Dieter" hat ganz Europa ungewöhnlich strengen Frost gebracht. Es scheint, als würden solche Kälteperioden immer häufiger werden in Europa.

Belgrad/Berlin/Rom - Eine gute Seite hat die extreme Kälte: In Serbien, wo das öffentliche Leben bei Schnee und Temperaturen von bis zu minus 36 Grad weitgehend zum Erliegen gekommen ist, haben sogar die Diebe keine Lust mehr, ihrem „Handwerk“ nachzugehen. Die Kriminalitätsrate sei um etwa 40 Prozent gesunken, teilte das serbische Innenministerium dieser Tage mit. Es habe sogar einen ganzen Tag ohne einen einzigen Autodiebstahl gegeben.

 

Allerdings hat es weite Teile Osteuropas noch weitaus schlimmer erwischt als Deutschland. Zu der stellenweise mörderischen Kälte sind dank eines dazwischenfunkenden Tiefs im Osten und Süden vielerorts noch beträchtliche Schneemengen vom Himmel gefallen. Im ostrumänischen Dorf Rubia etwa graben die Bewohner Tunnel, um sich aus ihren Häusern zu retten. Selbst am Mittelmeer hat es teilweise kräftig geschneit. So lagen im italienischen Rimini beispielsweise zehn Zentimeter Schnee – erheblich mehr als in Stuttgart und den meisten Orten in Deutschland.Schuld an der seit Ende Januar andauernden extremen Kälte ist bekanntlich das massive Hoch Dieter. Es hat eiskalte und trockene Luft aus Sibirien weit gen Westen bis nach Deutschland, Frankreich und sogar Spanien und Portugal transportiert. Selbst dort wurden bis zu minus sieben Grad Celsius gemessen. Hierzulande sorgte Dieter in den klaren Nächten an verschiedenen Stellen für neue Kälterekorde. Besonders bemerkenswert dabei war, dass die extremen nächtlichen Tiefsttemperaturen vielerorts ohne nennenswerte Schneedecke erreicht wurden. In Frankfurt etwa, so berichtet der Deutsche Wetterdienst (DWD), lehrte bisher die Erfahrung, dass es ohne Schneedecke nicht kälter als minus 13 Grad wird – es wurden aber minus 15 Grad erreicht.

In der Nacht bleibt es bei zweistelligen Minusgraden

Inzwischen hat sich hierzulande der strenge Frost zwar etwas abgeschwächt. Doch immer noch kann das Thermometer zumindest in der Nacht auf zweistellige Minusgrade sinken. In Tschechien werden gar Temperaturen zwischen minus 25 und minus 40 Grad erwartet. Erst zu Wochenbeginn macht sich Hoch Dieter allmählich gen Süden auf den Weg und räumt das Feld für etwas wärmere, dafür aber feuchte Polarluft des Nordmeertiefs Maike. Richtiges Tauwetter ist mithin nicht in Sicht, im Gegenteil: Es wird bei Höchsttemperaturen um null Grad oder vielleicht vielerorts ein bisschen darüber schneien, vielleicht auch regnen, und nachts bleibt es dagegen sicherlich bei Minusgraden. „Die kommende Woche wird meteorologisch brisant und hochinteressant“, formuliert es Jens Hoffmann vom DWD.

Trotz der extremen Kälte der letzten beiden Wochen ist dieser Winter aber immer noch zu warm – und deutlich zu kalt kann er auch nicht mehr werden. Auch wenn der Februar verbreitet mehr als zehn Grad kälter als im langjährigen Mittel war, so liegen laut DWD die Durchschnittstemperaturen dank der äußerst milden Monate Dezember und Januar immer noch ein knappes Grad im Plus. Die Wetterfrösche beeilen sich aber zu betonen, dass die derzeitige große Kälte nicht gegen den Klimawandel spreche.

Die momentane Wetterlage passt vielmehr gut zu einem Szenario, das Forscher des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) bereits im Januar skizziert hatten. Danach steigt die Wahrscheinlichkeit für kalte, schneereiche Winter in Europa und Nordasien, wenn das Nordpolgebiet im Sommer von wenig Meereis bedeckt ist. Und eben dies war dank der Klimaerwärmung in den vergangenen Jahren der Fall – und dieses Szenario wird auch in Zukunft eher die Regel als die Ausnahme sein.

Wechselwirkung von dunklem Ozean und heller Eisfläche

Durch das im Sommer verstärkt abtauende arktische Meereis ergeben sich gleich zwei Effekte, die sich gegenseitig noch verstärken. Zum einen erwärmt sich der dunklere Ozean stärker als die helle Eisfläche, die das Sonnenlicht samt Wärme in die Atmosphäre zurückstrahlt. Zum anderen gibt der Ozean verstärkt die im Wasser gespeicherte Wärme in die Luft ab, da der sogenannte Deckeleffekt der Eisdecke nun wegfällt.

Die fehlende Eisbedeckung sorgt mithin dafür, dass im Herbst und beginnenden Winter die Luft stärker als in früheren Jahren erwärmt wird. Dieser Effekt sei anhand aktueller Messdaten in den arktischen Gebieten auch tatsächlich nachweisbar, berichtet Ralf Jaiser von der AWI-Forschungsstelle in Potsdam.

Die Chance auf Kälteeinbrüche in Europa wird steigen

Der polare „Heizofen“ am Boden sorgt dafür, dass – ähnlich wie bei einem Heißluftballon – die erwärmte Luft nach oben steigt und die Atmosphäre über dem offenen Meer insgesamt labiler macht. Das wirkt sich auf die bisherigen typischen Wettermuster aus, zu denen auch die sogenannte Arktische Oszillation mit den aus den Wetterberichten bekannten Azoren-Hochs und Island-Tiefs gehört. Wenn dieser Gegensatz hoch ist, transportiert ein starker Westwind im Winter warme und feuchte atlantische Luftmassen nach Europa. Andernfalls ist der Weg für die sehr kalte arktische Luft nach Europa frei. Die Modellrechnungen der AWI-Forscher zeigen nun, dass die Luftdruckgegensätze abgeschwächt werden, wenn es im Sommer wenig Eis in der Arktis gibt. Entsprechend steigt die Chance auf Kälteeinbrüche in Europa, so wie dies im vergangenen Jahr der Fall war.

Auch im letzten Sommer war das arktische Meereis kräftig zusammengeschmolzen. Ironischerweise haben Ralf Jaiser und sein Team ihre Forschungsergebnisse bereits Ende Januar veröffentlicht – und der war ja noch ungewöhnlich warm. Entsprechend bemüht waren die Forscher, eine Erklärung für diese Diskrepanz zu finden. Nun aber ist der kalte und zumindest in Osteuropa bereits sehr schneereiche Winter doch noch über uns hereingebrochen. Und in der Arktis ist es tatsächlich – wie prophezeit – warm geworden: Auf der nördlich von Skandinavien gelegenen norwegischen Insel Spitzbergen hat es laut AWI einen Regenrekord gegeben.