Eklat im Bundestag: Die Opposition lässt das Parlamentsplenum platzen, bevor die Debatte über die umstrittene Elternprämie beginnen kann. Nun wird darüber unter Umständen erst nach der Sommerpause entschieden.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Es kommt nicht selten vor, dass freitags um die Mittagszeit im Bundestag mehr verwaiste blaue Stühle als Abgeordnete zu sehen sind. Diesmal endet die Sitzungswoche schon um 11.48 Uhr – weil das Parlament nicht mehr beschlussfähig ist. Die Opposition freut sich, die Koalition schäumt. Der unerwartet frühe Feierabend verhindert, dass über das umstrittene Betreuungsgeld überhaupt nur diskutiert werden kann. SPD, Linke und Grüne verhindern das, indem sie den parlamentarischen Betrieb lahmlegen.

 

Der Reihe nach: Der 185. Sitzungstag dieser Wahlperiode beginnt um 9.15 Uhr. Zunächst soll über ein Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen abgestimmt werden. Die erste Debatte über das Betreuungsgeld ist für 12.35 Uhr vorgesehen. Für die Koalition ist dies ein heikler Punkt, da es intern viele Kritiker der neuen Zulage gibt. Union und Liberale müssen um ihre Mehrheit bangen – und wären deshalb gut beraten gewesen, für eine möglichst hohe Präsenz der eigenen Leute zu sorgen.

Kurz nach elf ist das nicht der Fall. Vor allem die Reihen der C-Parteien sind nur schütter besetzt. Aber es geht da ja auch noch nicht um das Betreuungsgeld. Als ein Antrag von SPD und Grünen in Sachen Pressegrosso zur Abstimmung steht, kann sich das Sitzungspräsidium nicht über die Mehrheitsverhältnisse einigen. Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau von der Linksfraktion, die das Plenum zu dem Zeitpunkt leitet, ordnet prompt einen so genannten Hammelsprung an. Das ist ein Abstimmungsverfahren, bei dem alle Abgeordneten den Plenarsaal zunächst verlassen müssen, um ihn dann durch verschiedene Türen wieder zu betreten – je nachdem, ob sie mit Ja oder mit Nein stimmen wollen. Doch dazu kommt es in diesem Fall nicht. Die Abgeordneten der Opposition weigern sich, in den Plenarsaal zurück zu kehren. Lediglich 211 Parlamentarier machen beim Hammelsprung mit – ein gutes Drittel. Der Bundestag ist aber nur beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder anwesend ist. Vizepräsidentin Pau bricht deshalb die Sitzung ab. Damit entfällt auch der übernächste Tagesordnungspunkt: das Betreuungsgeld.

Wer ist Schuld an dem Schlamassel?

Wie es weitergeht, bleibt unklar. Der Ältestenrat, der den Parlamentsbetrieb regelt, trifft sich nach dem Eklat. Koalitionäre und Oppositionelle giften sich an. Beschlüsse werden nicht gefällt. In der Union gibt es Stimmen für eine Sondersitzung noch vor der Sommerpause, um das brisante Thema unter Dach und Fach zu bringen. Aber die Fraktionsspitze nimmt davon Abstand. So bleibt das Betreuungsgeld ein Stichwort für das politische Sommertheater. Eilbedürftig ist die Abstimmung aber nicht, da die neue Prämie für Eltern frühestens Anfang kommenden Jahres ausgezahlt werden soll.

Wer ist schuld an dem Schlamassel? Da gibt es widersprüchliche Lesarten. „Das war ein kleines dreckiges Foulspiel“, schimpft CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. Der „feige Verfahrenstrick“ offenbare, wie tief die Opposition inzwischen gesunken sei. Sein CDU-Kollege Hermann Gröhe wertet es als „Heuchelei“, einerseits Diskussionsbedarf anzumelden, sich andererseits aber dieser Diskussion zu entziehen. „Das Verhalten der Opposition ist ein schwerer Missbrauch der Parlamentsrechte und schädigt das Ansehen des Bundestages“, beklagen die Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) und Stefan Müller (CSU). Der Liberale Jörg van Essen spricht gar von einem „Anschlag auf den Parlamentarismus“.

Die Opposition kehrt hingegen den Spieß um. SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann verweist auf die Absenz von 126 Abgeordneten aus dem Regierungslager. Das sei ein „stummer Protest“ gegen das auch bei der FDP und bis weit in die CDU hinein ungeliebte Betreuungsgeld. „Es ist Aufgabe der Mehrheit, für Mehrheiten zu sorgen“, sagt der Grüne Volker Beck. Er verteidigt die Obstruktionspolitik seiner Kollegen. Die Entscheidung, an Abstimmungen teilzunehmen oder auch nicht, unterliege der grundgesetzlich garantierten Freiheit des Abgeordneten. Beck widerspricht dem Verdacht, es handle sich um ein gezieltes Manöver der Opposition. „Es gab keine Weisungen“, versichert er und fügt hinzu: „Wir waren von der Situation selbst überrascht.“

Dies gilt wohl auch für Michael Grosse-Brömer, der für die Union die Parlamentsgeschäfte führt. Er ist erst seit wenigen Wochen im Amt, beerbte Peter Altmaier, nachdem der zum Umweltminister befördert worden war. Grosse-Brömer erfreut sich großer Beliebtheit, er wurde von 96 Prozent seiner Abgeordnetenkollegen gewählt. Nun wird Unmut laut. Dem Vernehmen nach waren viele Unionisten am Freitag vorzeitig abgereist. Die Panne sei Folge eines „schweren Managementfehlers der Fraktionsführung“, kritisiert ein führender CDU-Mann. „Eine Koalition muss jederzeit handlungsfähig sein.“