Das Festival von Cannes hat Lars von Trier zur "unerwünschten Person" erklärt und rausgeworfen. Ist er etwa ein halbverrückter Nazi?

Cannes - Diesen Skandal hat sich zunächst keine Werbeagentur zur Erhöhung des Muss-man-dabei-sein-Faktors eines Filmfestivals ausgedacht. Der dänische Regisseur Lars von Trier, einer der Großen des europäischen Kinos, hat, wie bereits berichtet, in Cannes eine groteske Pressekonferenz abgehalten, die in dem Satz gipfelte: "Okay, ich bin ein Nazi." Nun hat die Festivalleitung mit bisher einmaliger Deutlichkeit im Festivalzirkus reagiert und Lars von Trier zur unerwünschten Person erklärt, sprich: hinausgeworfen.

 

"Die Festivalleitung bedauert zutiefst", heißt es in der offiziellen Stellungnahme, "dass dieses Forum von Lars von Trier dazu benutzt wurde, um Kommentare abzugeben, die nicht akzeptabel und untolerierbar sind. Sie stehen im Widerspruch zu den Idealen der Menschlichkeit und Großzügigkeit, die dieses Festival auszeichnen." Das kann man als klare Distanzierung nur begrüßen, sollte Lars von Trier tatsächlich zum Nazi, zum ideologischen Stinkbombenzünder, zum antisemitischen Krakeelbruder geworden sein. Die Frage ist nur: Ist er irgendetwas davon?

Trier wollte die Filmwelt aus den Angeln heben

Lars von Trier, am 30. April 1956 in Kopenhagen geboren, ist ein Ausnahmeregisseur, ein Querdenker, Aufmucker, Eigenbrötler. Als er mit wunderbar versponnenen, sorgfältig komponierten Filmen auffiel, mit "Element of Crime" (1984) etwa, mit "Medea" (1988) und dann mit "Europa" (1991), schien er einer jener begnadeten Sonderlinge zu sein, die ganz in Kinobildern leben, fühlen, denken. Da war er jemand, den man gut unter die Käseglocke im virtuellen Museum setzen und bewundern konnte.

Aber Trier wollte nicht bewundert werden. Er wollte einerseits seine Ruhe haben und andererseits die Filmwelt aus den Angeln heben, eine Schizophrenie, die ihn zum Fernsehen brachte. Dort, wo nicht Festivaljuroren und Cineasten-Minderheiten sitzen und urteilen, sondern Mehrheiten einschalten und Unterhaltung suchen, wollte er die Dinge gründlich durcheinanderrütteln - und hat das mit seiner TV-Serie "Geister" (1994) auch geschafft.

Zurückgezogen in einen Panzer der Schrulligkeit

Trier ging nicht nur frisch, frech, garstig und spannend mit Personal und Themen der üblichen Krankenhausserie um, er kreuzte nicht nur die Onkel-Doktor-Soap mit dem Horrorfilm und füllte sie mit glaubhaften Charakteren auf. Er brach auch mit Bildregeln. Er schnitt ruppig, die Kamera wackelte, das Licht war kein Diener unseres Wissensdurstes, sondern oft nicht da, wo man es brauchte. "Geister" sah streckenweise wie ein Heimvideo aus.

Aus dieser Rebellion gegen die gelackten Bilder ging die Dogma-Bewegung hervor, die selbst junge amerikanische Filmemacher in ihren Bann zog. Lars von Trier aber war schon wieder auf der Flucht vor dem Erfolg der eigenen Idee, als die Wackelkamera noch nicht flächendeckend zur Masche verkommen war, um Verblasenheiten den Anschein von Lebensnähe zu geben. Je mehr man Trier als Guru einer neuen Kargheit fassen wollte, desto genervter entzog er sich, in einen Panzer der Schrulligkeit, von dem Kollegen und Journalisten mal amüsiert, mal konsterniert berichteten.

"Aber Israel ist ein Ärgernis"

In Cannes nun hat er sich tief in den desaströsen Unfug hineingeredet. Mit "Nazi" meinte er zunächst ja nur, dass er entdeckt habe, deutscher Abstammung zu sein. Solche geschmacksarme Grobironie ist im Ausland nicht selten, wenn es um Deutsches geht. Weil er beim missratenen Witzeln merkte, dass er Nerven traf, die er gar nicht treffen wollte, schob er Sätze nach, die das Gesagte abmildern sollten. Er könne sich Hitler in seinem Bunker vorstellen: damit wollte er keine Sympathie bekunden, sondern sein Herangehen als Künstler an Geschichte erklären. Es war der falsche Moment, das so auszusprechen, so wie es ein großer Fehler war, der Bekundung, kein Antisemit zu sein, den Satz hinterherzuschicken: "Aber Israel ist ein Ärgernis."

Trier hat keine Nazisympathien bekundet, er ist auf der eigenen Selbstironie ausgerutscht. Er hat nicht mehr getan, als zu beweisen, dass sich kluge Leute manchmal furchtbar dumm benehmen können. Seine Entschuldigung hätte interessanter sein können als mancher Film. Aber das Festival hat es dann doch vorgezogen, die eigene Wertefestigkeit groß zu inszenieren.